
Der Innenminister und der Verfassungsschutz
„Wechselwirkungen in Extremismus und Terrorismus“ lautete das 10. Symposium des Bundesamtes für Verfassungsschutz, stattgefunden am 23. April 2013 in Berlin, auf der Bundesinnenminister Friedrich die Eröffnungsrede halten durfte.
Die öffentlich zugänglichen Informationen zu diesem Treffen sind leider dürftig. Hätte die Rede von Herrn Friedrich nicht in besonderer Weise Aufmerksamkeit erzeugt, so wäre die Veranstaltung vermutlich weniger bekannt geworden. Auf den Seiten des Verfassungsschutzes findet man mit Hilfe der Suchfunktion nichts, mittels externer Suchmaschinen gelangt man an sehr knapp gehaltene Informationen zu diesem Treffen des Geheimdienstes.
In einem Deutschlandfunk-Beitrag kommt Herr Friedrich aus seiner Ansprache mit folgendem Ausschnitt zu Wort:
„Wenn man sich anschauen will, wie gesenkte Hemmschwellen sich auswirken, dann muss man auf die Konfrontation von Links- und Rechtsextremisten in Deutschland blicken. Die Hemmschwelle der Gewalt ist bei diesen Demonstrationen, die stattfinden – ich denke an Dresden – im Grunde überhaupt nicht mehr feststellbar. Es wird enthemmt aufeinander eingeprügelt und man geht mit gnadenloser Gewalt gegen den anderen vor.“
Weiterhin betont Herr Friedrich, wie wichtig die Videoüberwachung für die Behörden sei. Das habe sich in Boston gezeigt und daher müsse die Überwachung aller Kritik zum Trotz erhöht werden. Und – so der Bericht des DLF – als Antwort auf Fragen, wie sie der Bundesinnenminister dann selber dem Auditorium stellt:
„Wo hat eine Videoaufnahme schon einen Anschlag verhindert. Ich kann ihn dir sagen: Wenn sie den Attentäter nach dem ersten Anschlag wie in Boston festnehmen, gibt es keinen zweiten und keinen dritten. Dann ist der zweite und der dritte Anschlag verhindert, das ist doch im Grunde ganz klar. Also ich weiß gar nicht, wie man darüber diskutieren kann.“
Dann folgt noch diejenige Kritik am Bundesverfassungs-Richters Herrn Voßkuhle, über die nun öffentlich gestritten wird. Ich möchte nur anmerken, dass die Art, wie die von Herrn Friedrich engagiert vorgetragene Schelte mit ansatzweisem Applaus belohnt wurde, bei mir einen sehr merkwürdigen Eindruck hinterlässt.
Im DLF-Bericht wird schließlich noch der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Herr Maaßen zitiert, wie er einerseits die ständig und immer noch hohe Gefahr von Anschlägen beschwört und zum anderen eine aus meiner Sicht seltsam ausgerichtete Selbstkritik zur Rolle des Verfassungsschutzes im Zusammenhang mit dem NSU-Skandal (bzw. -Skandalen!) äußert. Man habe so z.B. mit Sachverhalten zu tun gehabt, die in dieser Form „einfach noch nicht aufgetreten waren.“
o_O
Ich möchte nur auf die ersten beiden Punkte des Berichts zu den Stellungnahmen von Herrn Friedrich Bezug nehmen.
Die Verunglimpfung der Demonstrationsfreiheit
Mag es auch Demonstrationen mit Gewalt (auf welchen Seiten auch immer!) geben – Gewalt ist kein Mittel der Auseinandersetzung.
Wenn aber Herr Friedrich wie im DLF-Beitrag nachhörbar den Eindruck erweckt, als seien Demonstrationen mehr oder weniger grundsätzlich mit Prügeleien oder Gewalttaten verbunden, dann beschädigt er damit wertvolle Errungenschaften unserer Gesellschaft, nämlich Meinungs- und Versammlungsfreiheit.
Die letztjährigen Februar-Demonstrationen in Dresden waren zuallermeist von friedlichen und engagierten Bürgern getragen, die sich gegen die Verherrlichung des Nazi-Regimes gewehrt haben. Vielmehr sogar war es dort die staatliche Gewalt in Form der Polizeiführung, die zumindest 2011 die Versammlungsfreiheit in einem Maße beschnitten haben, wie es einer freien Gesellschaft unwürdig ist.
Die (nicht nur dort!) praktizierte völlig unverhältnismäßige Durchführung von Funkzellenabfragen und die daraus erfolgte Massendatenspeicherung und deren Nutzung zu illegitimen Zwecken hat das Landgericht Dresden erst vor wenigen Tagen in einem konkreten Fall als rechtswidrig verurteilt.
Und nun erweckt der Bundesinnenminister vor einer elitären Riege eines Verfassungsschutz-Symposiums halböffentlich den Eindruck, als sei das alles nichts anderes als die Zusammenkunft aufeinander „einprügelnder und mit gnadenloser Gewalt“ vorgehender Rowdies?
Schallplatte mit Sprung: Unehrliche „Debatte“ zur Videoüberwachung
Vorweg: Zweifellos gibt es seitens der Überwachungsbefürworter und seitens der Gegner solcher Maßnahmen eine Reihe von verallgemeinernden Vorwürfen und unrichtigen Behauptungen.
Nichstdestotrotz: Mit der ständigen Wiederholung der unvernünftigen Forderung zur Ausweitung von Videoüberwachungsmaßnahmen versucht Herr Friedrich, dieses Verlangen im gesellschaftlichen Gedächtnis einzuschleifen. Keine neue Taktik und Herr Maaßen tut sein eigenes dazu, wenn er die diffusen allgemeinen Ängste aufrechtzuerhalten versucht, indem er die „stetig hohe Gefahr von terroristischen Anschlägen“ betont.
Herr Friedrich versucht den Eindruck einer sachlichen Auseinandersetzung zu erwecken, wenn er sich selber die oben zitierte Frage stellt, wann jemals ein Anschlag mittels Videoüberwachung verhindert worden sei. Eine Frage, die er (sich) zugleich selber beantwortet. In der Tat führt er damit aber eine nur scheinbar argumentationsbetonte Debatte, denn zum einen ist die genannte Frage keine, die von ernsthaften Kritikern in dieser Form gestellt werden würde und zum anderen beinhaltet die Argumentation die Behauptung, als würde ein nachweisbarer Erfolg in einem Einzelfall die vom Innenminister ausdrücklich geforderte Ausweitung von Videoüberwachung im öffentlichen Raum rechtfertigen. Schwerwiegende Grundrechtseingriffe derart zu begründen ist kein besonders guter Stil.
Im Dezember 2012 nutzte Herr Friedrich den Hype des angeblichen Versuchs eines Bombenanschlags am Bonner Hauptbahnhof dazu, um in die gleiche Kerbe wie auch nun nach Boston zu schlagen. In einer Pressekonferenz ließ er stolz markant wirkende Zahlen verkünden, die die Nützlichkeit der Videoüberwachung beweisen sollten. Auf Nachfrage musste das Innenministerium später zugestehen, dass man diese Zahlen gar nicht belegen könne. Alles nur erstunken und erlogen? Was bleibt nach so einer Antwort anders zu denken übrig?
Die Bundesregierung musste in diesem Jahr zu zwei Kleinen Anfragen Stellung zu Fragen rund um Videoüberwachung beziehen. (Kleine Anfrage von den „Grünen“: DS 17/12318 vom 11.2.2013 und eine Kleine Anfrage von den „Linken“: DS 17/13071 vom 16.4.2013).
In der letzteren antwortet die Bundesregierung auf die Nachfrage zur Herkunft der Zahlen von der Dezember-Pressekonferenz damit, dass seit 2011 eine statistische Erfassung bei der Bundespolizei gäbe, dass man aber keine genaueren Informationen zu veröffentlichen gedenke. Eine Statistik erst seit 2011? Und nur bei der Bundespolizei? Und dann noch nicht einmal mit Offenlegung des Zustandekommens der Zahlen?
Damit macht sich sich die Bundesregierung unglaubwürdig, wenn nicht lächerlich.
Aber noch weiter aus den Antworten zur Kleinen Anfrage:
Weder ist die Bundesregierung dazu bereit, den Missbrauch von Videoüberwachung zu überprüfen oder zu sanktionieren, noch meint sie in der Lage zu sein, Auskunft darüber geben zu können, was die staatliche Videoüberwachung dem Bund pro Jahr kostet und wie sich diese Zahlen entwickelt haben. Genau diese Antworten wollte Sie im Rahmen einer IFG-Anfrage geben … dafür aber 90 Euro abverlangen. Wie soll man diese Zwiespältigkeit verstehen?
Und dann, zu den Fragen 16 und 17 der Kleinen Anfrage der „Linken“, sagt es die Bundesregierung klipp und klar:
Nein – es liegen weder irgendwelche Zahlen vor, wie oft Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden auf Bilder von Videoüberwachungsmaßnahmen zugegriffen haben und man hat auch keinerlei Kenntnis darüber, ob und in welchem Umfang Videoüberwachung zur Strafverfolgung beigetragen hat!
Deutlicher kann man es wohl nicht zu lesen bekommen:
Die Videoüberwachung durch staatliche Behörden ist unverhältnismäßig, die Forderungen nach mehr Videoüberwachung sind populistisch und spielen mit der Angst der Bevölkerung, ein Spiel mit der gefühlten, der Schein-Sicherheit.
Der Blick nach vorne
Heute wurde ein Diskussionspapier einer „Nationalen Anti-Terror-Strategie (NATS)“ vom Januar 2013 öffentlich, welches beim Lesen befürchten lässt, als ließen sich Bundesregierung und Funktionäre von Geheimdiensten und Polizeien von ihrem Weg zum Ausbau von Überwachungsmaßnahmen abbringen.
Aus Platzgründen gehe ich auf dieses Dokument nicht weiter ein, möchte aber – völlig unkommentiert – einige Punkte aus der Zusammenfassung zur Auflistung des „sicherheitspolitischen Mehrwerts einer NATS“ zitieren. Alles weitere sei dem Leser bzw. der Leserin überlassen:
Zusammenfassung – Sicherheitspolitischer Mehrwert einer NATS:
- (…)
- Eine NATS ist Schrittmacher für die institutionalisierte und vernetzte Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten und stärkt damit die Sicherheitsarchitektur insgesamt (Gemeinsames Terrorismus- und Extremismusabwehrzentrum von Polizei und Nachrichtendiensten).
- Eine NATS dient dem Schulterschluss zwischen Staat und Zivilgesellschaft im Bereich der Extremismus- und Terrorismusprävention.
- Eine NATS erfüllt eine wichtige kommunikative Funktion für die Sicherheitsbehörden und stärkt damit ihre Legitimation im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat insgesamt.
- Eine NATS ist Schrittmacher für eine (noch ausstehende) integrierte sicherheitspolitische Gesamtstrategie Deutschlands.
Bilder: „Offizielle Menschenkette zum Gedenken an die Zerstörung Dresdens und zum Protest gegen den NPD-„Trauermarsch“ zum 13. Februar 2010“, von André Schulze, CC-BY und „Polizist mit Pepperball–Gewehr, Bambusstock und Dienstwaffe (bei einer Anti-Nazi-Demonstration/-Blockade auf der Bergstraße in Dresden 2011)“ von le_chuck, CC-BY
Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung von Micha wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.