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All posts for the month April, 2013

Die Telekommunikationsanbieter wollen sich offensichtlich nach eigenen Aussagen nicht an die Vorgaben des Bundesdatenschutzbeauftragten zur Speicherung von Verbindungsdaten halten. In Bezug auf volumenabhängige Abrechnungsmodelle kann dies bedeuten, dass womöglich doch die IP-Adresse gespeichert und bei diesen Tarifen eine private Vorratsdatenspeicherung stattfinden wird. Zwar wird die Speicherung von IP-Adressen im „Leitfaden zur Verkehrsdatenspeicherung“ von Bundesdatenschutzbeauftragten und Bundesnetzagentur untersagt (wobei trotzdem deutlich mehr Datenspeicherung als bei einfachen Flatrates als „Best Practise“ erlaubt wird), doch die Stellungnahmen der Telekommunikationsanbieter sprechen eine deutliche Sprache. Diese sehen den Leitfaden lediglich als „Empfehlung“ – an die sie sich nicht zwingend halten müssen, wenn es nicht zum Geschäftskonzept passt.
Vorgeschichte des Leitfadens
2012 tauchte im Netz ein Leitfaden zur Datenabfrage der Staatsanwaltschaft auf, in dem detailliert beschrieben wurde, welche Daten durch Behörden bei welchen Anbietern abgefragt werden dürfen. Pikantes Detail: Bei der Auflistung wurde deutlich, dass die Anbieter bei weitem mehr Daten über ihre Kunden erfassen und sie weitaus länger speichern als bisher bekannt. Insbesondere nicht abrechnungsrelevante Daten wie etwa die Funkzelle wurden weitaus länger gespeichert als zulässig. Mit Hilfe der Daten lässt sich durch diese private Vorratsdatenspeicherung ein umfangreiches Bewegungs- und Persönlichkeitsprofil der Nutzer erstellen. Und der Staat greift bei diesen Vorratsdaten eifrig zu. Der Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik reichte daraufhin Klage gegen Vodafone ein, weil eine rechtlich nicht zulässige Speicherung der Bewegungsdaten seiner Mandantin erfolgt. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit und die Bundesnetzagentur haben reagiert und einen Leitfaden zur datenschutzgerechten Speicherung von Verkehrsdaten bei den Telekommunikationsanbietern erarbeitet. Der Leitfaden wird von Daten- und Verbraucherschützern als unzureichend und dem Gesetz nicht entsprechend kritisiert.
Positionen der Telekommunikationsanbieter
Durch eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz sind nun Dokumente der Telekommunikationsanbieter Telefonica, VATM und Deutsche Telekom freigegeben worden, in denen die Unternehmensvertreter vorab ankündigen, die Vorgaben selbst des wegen seiner Weite umstrittenen Leitfadens nicht erfüllen zu wollen.
Die Deutsche Telekom AG weiß genau was sie will – und was nicht: „Wir möchten allerdings festhalten, dass es der Deutschen Telekom nicht vollumfänglich möglich ist, die jeweiligen Empfehlungen zur Speicherdauer, abweichend von der gesetzlichen Speicherfrist aus dem Leitfaden umzusetzen, da es sachliche Gründe für eine längere Speicherfrist als im Leitfaden empfohlen gibt. Dies betrifft beispielsweise die Abrechnung mit anderen Carriern auf der Grundlage des §97 Abs.4 TKG, wie bereits ausführlich mit ihrem Haus diskutiert.“
Telefonica will sich die Rosinen aus dem Leitfaden picken und muss erst mal schauen, was davon sie umsetzen möchte: „Wir werden die enthaltenen Empfehlungen prüfen und umsetzen, soweit dieses möglich ist, technische Restriktionen nicht entgegenstehen und auch ein Speicherzweck nicht mehr gegeben ist.
Bei der Umsetzung der Empfehlung hinsichtlich der Interconnectiondaten wird eine Anpassung aus den bereits dargelegten Gründen, wie unternehmensinternen Prozessabläufen und IC-Verträgen nicht möglich sein.“
VATM ist gar nicht gut auf den Leitfaden zu sprechen und fordert für einige Daten eine Speichererlaubnis für rund sechs Monate: „Eine Verkürzung der Speicherdauer verhindert die Aufklärung von Systemfehlern. Um Systemfehler zu erkennen und beseitigen zu können bedarf es eines Zeitraums von 6 Monaten. Können die Ursachen von Systemfehlern nicht erkannt und somit beseitigt werden, so führt dies zu Ungenauigkeiten in der Abrechnung. Somit würde der Anbieter Gefahr laufen, das notwendige Zertifikat gem. § 45 g TKG nicht zu erhalten und die BNetzA wäre gem. § 126 TKG befugt, dem Telekommunikationsanbieter den Dienst zu untersagen.“
Telekommunikationsanbieter wollen bestehende Systeme oft nicht ändern
Aus den Antworten der Telekommunikationsanbieter geht hervor, dass diese nicht bereit sind, ihre derzeitigen Systeme auf eine datensparsame Datenverarbeitung umzustellen. Der Leitfaden für die Speicherung von Verbindungsdaten ist in eingen Punkten weniger datenschutzfreundlich ausgefallen, als etwa Datenschutzverbände wie der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung gefordert hatten. Insbesondere bei der Frage, welche Daten bei Verbindungen zwischen unterschiedlichen Diensten erfasst werden (Interconection), haben sich die Telekommunikationsanbieter wohl weitgehend durchgesetzt. Bedenklich ist vor allem, dass einige Anbieter in ihren Antworten darauf abstellen, der Leitfaden hätte lediglich den Charakter einer Empfehlung, die in den Punkten, in denen es nicht zum Geschäftskonzept und zu derzeitigen unternehmensinternen Abläufen passt, nicht umgesetzt werden sollen.
Ein Leitfaden scheint daher keine wirksame Lösung zu sein, um die Telekommunikationsanbieter zu datensparsamen Geschäftsmodellen zu verpflichten, auch wenn er ein erster Schritt in die richtige Richtung ist. Auf Selbstregulierung ist hier kein Verlass: Der Bundesdatenschutzbeauftragte und die Bundesnetzagentur müssen jetzt mit Zwangsmitteln und Bußgeldern das Telekommunikations-Datenschutzrecht durchsetzen.

Dieser Text gibt die persönliche Meinung der Autorin Katharina Nocun wieder und stellt keine Mitteilung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung dar.

Eine Woche vor der entscheidenden Abstimmung verteidigt der nordrhein-westfälische Innenminister Jäger (SPD) das umstrittene Gesetz zur Auskunft über Identität und Passwörter von Handy- und Internetnutzern. Im Internet werde teilweise „der Inhalt, die rechtliche Bedeutung und die tatsächliche Tragweite der geplanten Neuregelungen unzutreffend interpretiert“. Das Gesetz bringe effektive Polizeiarbeit und den Schutz der Bürgerrechte in ein „ausgewogenes Verhältnis“.

Damit hängt das Votum Nordrhein-Westfalens von den mitregierenden Grünen ab: Diese können nach dem Koalitionsvertrag eine Enthaltung des Landes im Bundesrat erzwingen. Wenn sich alle Länder, an deren Regierung Grüne oder Linke beteiligt sind, plus ein weiteres Land (z.B. das SPD-regierte Hamburg) enthalten, fehlt dem Gesetz die Mehrheit.

Das rot-grün regierte Niedersachsen hat sich bereits im Innenausschuss enthalten, Schleswig-Holstein wird dem Gesetz ebenfalls nicht zustimmen. Wie sich die übrigen Länder verhalten werden, ist noch nicht bekannt (Antworten werden hier gesammelt). Die entscheidende Kabinettssitzung findet Anfang nächster Woche statt.

So könnt ihr helfen:

Weitere Infos: bestandsdatenauskunft.de

Dieser Text gibt die persönliche Meinung des Autors Patrick Breyer wieder und stellt keine Mitteilung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung dar.

 

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With implementation of the EU Data Retention Directive the European Commission set up an „Experts‘ Group Electronic Data Retention“, refering to commissions decision from March 2008. This group should have been responsible – beneath others – for generating an evaluation. The therefore developed document did not come up to that, what might be called an „evaluation“ … but this shall not be the point of this article.

The experts group has been closed with end of 2012. Til than it mainly worked behind closed doors, without any member from civil society and only 2 out of 25 former members could claim to be elected democratically. Law enforcement authorities and representatives from telecommunication industry dominated that group.

The idea of this group is founded in a note within the Data Retention Directive. This note no. 14 says:

„Technologies relating to electronic communications are changing rapidly and the legitimate requirements of the competent authorities may evolve. In order to obtain advice and encourage the sharing of experience of best practice in these matters, the Commission intends to establish a group composed of Member States’ law enforcement authorities, associations of the electronic communications industry, representatives of the European Parliament and data protection authorities, including the European Data Protection Supervisor.“

This is important, as the perspective of „evolving legitimate requirements“ seemed to be removed a little bit from the experts perspective. Taking care for smoothly, frictionless, cheap and effective data retention was more on topic. It’s like putting blinkers to all „experts“, not to challenge the rightfulness of the whole data retention machine.

In November 2010 German Working Group On Data Retention (Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung = „AK Vorrat“) asked to open the experts group for civil society … and got refused.

Another informal, private and non-public request had been done in the middle of 2011. Unsuccessful again.

Some weeks ago it came out, that EU-Commissions plans to re-implement the experts group, which had to include a new formal commissions decision. After a small discussion on german mailinglist of „AK Vorrat“ on March 27, 2013 I sent a letter to Mrs. Malmström.

I tried to explain the urgent need to change structure and work methods of the experts group, if the phrase „expert’s group“ is being meant seriously. I asked for more transparancy the the opening of the group for people from civil society, as no one else had been able, to open up a critically discussion concerning the sense and rationality of data retention at all – a criticism including competence and sanity as well.

Though not getting any answer til now, a new decision of European Commission from April 18, 2013 went public a few days ago.

This decision is to re-install the „Experts‘ Group Electronic Data Retention“ and – having a short view on its content – it seems, that the group opens now for civil society a little bit more than before.

But there is a „call for applications“ annexed to the decision, that contains following criterias:

  • members shall comply with the obligations of professional secrecy (article 5.4 of decision),
  • proven competence and experience, including at European and/or international level, in the areas of law enforcement and/or the electronic communications industry and/or data protection,
  • a genuine commitment to efficient and effective implementation of the Data Retention Directive,
  • the need to strike a balance within the experts group in terms of representativeness of applicants, gender and geographical origin,
  • members of the experts group must be nationals of a Member State of the European Union or, if appropriate, of an acceding country or a European Economic Area country.

In other words:

The European Commission does not like critical civil society to intervene in practicising a clean, efficient and effective data retention.

But I am still waiting for an answer from Mrs. Malmström.

 

Picture: „Keep out“ from Dru Bloomfield, CC-BY

Blog post by Micha – Opinions voiced in this post reflect the author’s personal point of view. And please apologize my bad abilities for translating german into english! :)

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Zu der Richtlinie, die die umstrittene Vorratsdatenspeicherung in der Europäischen Union begründet, wurde mit einem Beschluß aus dem Jahr 2008 eine so genannte “Expertengruppe” eingerichtet, u.a. auch zuständig für die “Evaluation” der europäischen Richtlinie, die gar keine war, weil sie geringsten wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügte … aber darum soll es in diesem Beitrag nicht gehen.

Diese in der Allgemeinheit wenig bekannte und bislang reichlich intransparent tagende “Expertengruppe” ist zum Ende letzten Jahres aufgelöst worden. Sie enthielt keinen einzigen Vertreter aus der kritischen Zivilgesellschaft und nur 2 von 25 Mitgliedern waren demokratisch gewählte Vertreter der Menschen in EU-Europa. Strafverfolgungsbehörden und Vertreter der IT-Industrie dominierten diese Gruppe.

Die Einrichtung dieses Gremiums beruht auf einer Anmerkung in der EU-Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie. In dieser Anmerkung Nr. 14 heißt es:

„Die technische Entwicklung in der elektronischen Kommunikation schreitet rasch voran, und damit verändern sich möglicherweise auch die legitimen Anforderungen der zuständigen Behörden. Um sich beraten zu lassen und den Austausch von Erfahrungen mit bewährten Praktiken in diesen Fragen zu fördern, beabsichtigt die Kommission, eine Gruppe einzusetzen, die aus Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten, Verbänden der Branche für elektronische Kommunikation, Vertretern des Europäischen Parlaments und europäischen Datenschutzbehörden, einschließlich des Europäischen Datenschutzbeauftragten, besteht.“

Ich zitiere diesen Ausschnitt deshalb, weil der explizite Blick auf die „Veränderung der legitimen Anforderungen“ in der Gestaltung der Expertengruppe nur daraufhin ausgelegt wird, die Vorratsdatenspeicherung ohne Hinterfragung der Legitimität der Gesamtmaßnahme möglichst reibungslos, günstig und effektiv umzusetzen. Man setzt dieser Gruppe also eine Art Scheuklappe auf, die die unmittelbar mit der Umsetzung verknüpften Fragen der Rechtmäßigkeit ausblenden sollen.

Schon im November 2010 hat der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung darum gebeten, diese „Expertengruppe“ zur kritischen Begleitung durch die Zivilgesellschaft zu öffnen, leider vergebens.

Eine weitere informelle und nicht-öffentliche Anfrage Mitte 2011 durch einen Einzelnen wurde ebenfalls abgelehnt.

Da bekannt geworden ist, dass die EU-Kommission plant, die Expertengruppe neu zu beleben bzw. fortzuführen und dieses einen neuen Beschluß der Kommission erforderlich macht, habe ich – nach vorheriger Diskussion auf der Mailingliste des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung – am 27. März 2013 einen offenen Brief an die zuständige Kommissarin, Frau Malmström, geschrieben. Darin habe ich zu erläutern versucht, warum sie Zusammensetzung und Arbeitsweise der Expertengruppe aus meiner Sicht einem deutlichen Wandel zu unterziehen habe, sofern man den Anspruch, den der Name „Expertengruppe“ erhebt, ernst nehmen will. Ich habe mehr Transparenz und die Öffnung der Expertengruppe für Mitarbeit und Einträge durch Zivilgesellschaft gefordert – denn auch in den letzten Jahren waren es engagierte Bürger und Bürgerinitiativen, die wertwolle kritische und gleichzeitig kompetente Beiträge zur Debatte um die Vorratsdatenspeicherung beigetragen haben.

Eine direkte Antwort ist bis heute zwar nicht eingegangen, jedoch wurde vor kurzem ein neuer Beschluß der EU-Kommission vom 18. April 2013 bekannt, der die „neue Expertengruppe“ begründen soll. [Deutsche Übersetzung seit heute hier verfügbar.]

Darin wird der Eindruck erweckt, als würde sich die neu zu etablierende Gruppe in geringem Maße der Zivilgesellschaft öffnen – rein theoretisch bis zu zwei von 20 Mitgliedern dürfen „Einzelpersonen mit besonderer Eignung“ oder „Personen, die das Allgemeininteresse und eine nach Kommissions-Regeln definierte Organisation vertreten“ sein.

Im Anhang zum Beschluß befinden sie die Regelungen, nach denen sich nun an der Mitarbeit interessierte Menschen bewerben können. Die sich für drei Jahre zur Mitarbeit Bewerbenden müssen …

  • sich einer Geheimhaltungspflicht unterordnen,
  • eine „bewiesene“ Kompetenz in Form eines europäisch anerkannten Bildungsabschlusses entweder bezüglich Strafverfolgung, Informationstechnik oder Datenschutz nachweisen,
  • sich grundsätzlich zur „effektiven und effizienten“ Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung bekennen,
  • die Anforderungen einer ausgewogenen Besetzung der Gruppe u.a. hinsichtlich Geschlecht und Herkunftsland erfüllen,
  • Europäer sein.

Diese Anforderungen sprechen eine deutliche Sprache:

Die EU-Kommission möchte nicht, dass sich die Zivilgesellschaft Europas bei der Umsetzung und Begleitung der Vorratsdatenspeicherung kritisch einmischt.

Auf die Antwort von Frau Malmström bin ich noch immer gespannt.

 

Bild: „Keep out“ von Dru Bloomfield, CC-BY

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung von Micha wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

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Der Innenminister und der Verfassungsschutz

„Wechselwirkungen in Extremismus und Terrorismus“ lautete das 10. Symposium des Bundesamtes für Verfassungsschutz, stattgefunden am 23. April 2013 in Berlin, auf der Bundesinnenminister Friedrich die Eröffnungsrede halten durfte.

Die öffentlich zugänglichen Informationen zu diesem Treffen sind leider dürftig. Hätte die Rede von Herrn Friedrich nicht in besonderer Weise Aufmerksamkeit erzeugt, so wäre die Veranstaltung vermutlich weniger bekannt geworden. Auf den Seiten des Verfassungsschutzes findet man mit Hilfe der Suchfunktion nichts, mittels externer Suchmaschinen gelangt man an sehr knapp gehaltene Informationen zu diesem Treffen des Geheimdienstes.

In einem Deutschlandfunk-Beitrag kommt Herr Friedrich aus seiner Ansprache mit folgendem Ausschnitt zu Wort:

„Wenn man sich anschauen will, wie gesenkte Hemmschwellen sich auswirken, dann muss man auf die Konfrontation von Links- und Rechtsextremisten in Deutschland blicken. Die Hemmschwelle der Gewalt ist bei diesen Demonstrationen, die stattfinden – ich denke an Dresden – im Grunde überhaupt nicht mehr feststellbar. Es wird enthemmt aufeinander eingeprügelt und man geht mit gnadenloser Gewalt gegen den anderen vor.“

Weiterhin betont Herr Friedrich, wie wichtig die Videoüberwachung für die Behörden sei. Das habe sich in Boston gezeigt und daher müsse die Überwachung aller Kritik zum Trotz erhöht werden. Und – so der Bericht des DLF – als Antwort auf Fragen, wie sie der Bundesinnenminister dann selber dem Auditorium stellt:

„Wo hat eine Videoaufnahme schon einen Anschlag verhindert. Ich kann ihn dir sagen: Wenn sie den Attentäter nach dem ersten Anschlag wie in Boston festnehmen, gibt es keinen zweiten und keinen dritten. Dann ist der zweite und der dritte Anschlag verhindert, das ist doch im Grunde ganz klar. Also ich weiß gar nicht, wie man darüber diskutieren kann.“

Dann folgt noch diejenige Kritik am Bundesverfassungs-Richters Herrn Voßkuhle, über die nun öffentlich gestritten wird. Ich möchte nur anmerken, dass die Art, wie die von Herrn Friedrich engagiert vorgetragene Schelte mit ansatzweisem Applaus belohnt wurde, bei mir einen sehr merkwürdigen Eindruck hinterlässt.

Im DLF-Bericht wird schließlich noch der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Herr Maaßen zitiert, wie er einerseits die ständig und immer noch hohe Gefahr von Anschlägen beschwört und zum anderen eine aus meiner Sicht seltsam ausgerichtete Selbstkritik zur Rolle des Verfassungsschutzes im Zusammenhang mit dem NSU-Skandal (bzw. -Skandalen!) äußert. Man habe so z.B. mit Sachverhalten zu tun gehabt, die in dieser Form  „einfach noch nicht aufgetreten waren.“

o_O

Ich möchte nur auf die ersten beiden Punkte des Berichts zu den Stellungnahmen von Herrn Friedrich Bezug nehmen.

 

Die Verunglimpfung der Demonstrationsfreiheit

Mag es auch Demonstrationen mit Gewalt (auf welchen Seiten auch immer!) geben – Gewalt ist kein Mittel der Auseinandersetzung.

Wenn aber Herr Friedrich wie im DLF-Beitrag nachhörbar den Eindruck erweckt, als seien Demonstrationen mehr oder weniger grundsätzlich mit Prügeleien oder Gewalttaten verbunden, dann beschädigt er damit wertvolle Errungenschaften unserer Gesellschaft, nämlich Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

Polizist_Pepperball_DresdenDie letztjährigen Februar-Demonstrationen in Dresden waren zuallermeist von friedlichen und engagierten Bürgern getragen, die sich gegen die Verherrlichung des Nazi-Regimes gewehrt haben. Vielmehr sogar war es dort die staatliche Gewalt in Form der Polizeiführung, die zumindest 2011 die Versammlungsfreiheit in einem Maße beschnitten haben, wie es einer freien Gesellschaft unwürdig ist.

Die (nicht nur dort!) praktizierte völlig unverhältnismäßige Durchführung von Funkzellenabfragen und die daraus erfolgte Massendatenspeicherung und deren Nutzung zu illegitimen Zwecken hat das Landgericht Dresden erst vor wenigen Tagen in einem konkreten Fall als rechtswidrig verurteilt.

Und nun erweckt der Bundesinnenminister vor einer elitären Riege eines Verfassungsschutz-Symposiums halböffentlich den Eindruck, als sei das alles nichts anderes als die Zusammenkunft aufeinander „einprügelnder und mit gnadenloser Gewalt“ vorgehender Rowdies?

 

Schallplatte mit Sprung: Unehrliche „Debatte“ zur Videoüberwachung

Vorweg: Zweifellos gibt es seitens der Überwachungsbefürworter und seitens der Gegner solcher Maßnahmen eine Reihe von verallgemeinernden Vorwürfen und unrichtigen Behauptungen.

Nichstdestotrotz: Mit der ständigen Wiederholung der unvernünftigen Forderung zur Ausweitung von Videoüberwachungsmaßnahmen versucht Herr Friedrich, dieses Verlangen im gesellschaftlichen Gedächtnis einzuschleifen. Keine neue Taktik und Herr Maaßen tut sein eigenes dazu, wenn er die diffusen allgemeinen Ängste aufrechtzuerhalten versucht, indem er die „stetig hohe Gefahr von terroristischen Anschlägen“ betont.

Herr Friedrich versucht den Eindruck einer sachlichen Auseinandersetzung zu erwecken, wenn er sich selber die oben zitierte Frage stellt, wann jemals ein Anschlag mittels Videoüberwachung verhindert worden sei. Eine Frage, die er (sich) zugleich selber beantwortet. In der Tat führt er damit aber eine nur scheinbar argumentationsbetonte Debatte, denn zum einen ist die genannte Frage keine, die von ernsthaften Kritikern in dieser Form gestellt werden würde und zum anderen beinhaltet die Argumentation die Behauptung, als würde ein nachweisbarer Erfolg in einem Einzelfall die vom Innenminister ausdrücklich geforderte Ausweitung von Videoüberwachung im öffentlichen Raum rechtfertigen. Schwerwiegende Grundrechtseingriffe derart zu begründen ist kein besonders guter Stil.

Im Dezember 2012 nutzte Herr Friedrich den Hype des angeblichen Versuchs eines Bombenanschlags am Bonner Hauptbahnhof dazu, um in die gleiche Kerbe wie auch nun nach Boston zu schlagen. In einer Pressekonferenz ließ er stolz markant wirkende Zahlen verkünden, die die Nützlichkeit der Videoüberwachung beweisen sollten. Auf Nachfrage musste das Innenministerium später zugestehen, dass man diese Zahlen gar nicht belegen könne. Alles nur erstunken und erlogen? Was bleibt nach so einer Antwort anders zu denken übrig?

Die Bundesregierung musste in diesem Jahr zu zwei Kleinen Anfragen Stellung zu Fragen rund um Videoüberwachung beziehen. (Kleine Anfrage von den „Grünen“: DS 17/12318 vom 11.2.2013 und eine Kleine Anfrage von den „Linken“: DS 17/13071 vom 16.4.2013).

In der letzteren antwortet die Bundesregierung auf die Nachfrage zur Herkunft der Zahlen von der Dezember-Pressekonferenz damit, dass seit 2011 eine statistische Erfassung bei der Bundespolizei gäbe, dass man aber keine genaueren Informationen zu veröffentlichen gedenke. Eine Statistik erst seit 2011? Und nur bei der Bundespolizei? Und dann noch nicht einmal mit Offenlegung des Zustandekommens der Zahlen?

Damit macht sich sich die Bundesregierung unglaubwürdig, wenn nicht lächerlich.

Aber noch weiter aus den Antworten zur Kleinen Anfrage:

Weder ist die Bundesregierung dazu bereit, den Missbrauch von Videoüberwachung zu überprüfen oder zu sanktionieren, noch meint sie in der Lage zu sein, Auskunft darüber geben zu können, was die staatliche Videoüberwachung dem Bund pro Jahr kostet und wie sich diese Zahlen entwickelt haben. Genau diese Antworten wollte Sie im Rahmen einer IFG-Anfrage geben … dafür aber 90 Euro abverlangen. Wie soll man diese Zwiespältigkeit verstehen?

Und dann, zu den Fragen 16 und 17 der Kleinen Anfrage der „Linken“, sagt es die Bundesregierung klipp und klar:

Nein – es liegen weder irgendwelche Zahlen vor, wie oft Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden auf Bilder von Videoüberwachungsmaßnahmen zugegriffen haben und man hat auch keinerlei Kenntnis darüber, ob und in welchem Umfang Videoüberwachung zur Strafverfolgung beigetragen hat!

Deutlicher kann man es wohl nicht zu lesen bekommen:

Die Videoüberwachung durch staatliche Behörden ist unverhältnismäßig, die Forderungen nach mehr Videoüberwachung sind populistisch und spielen mit der Angst der Bevölkerung, ein Spiel mit der gefühlten, der Schein-Sicherheit.

 

Der Blick nach vorne

Heute wurde ein Diskussionspapier einer „Nationalen Anti-Terror-Strategie (NATS)“ vom Januar 2013 öffentlich, welches beim Lesen befürchten lässt, als ließen sich Bundesregierung und Funktionäre von Geheimdiensten und Polizeien von ihrem Weg zum Ausbau von Überwachungsmaßnahmen abbringen.

Aus Platzgründen gehe ich auf dieses Dokument nicht weiter ein, möchte aber – völlig unkommentiert – einige Punkte aus der Zusammenfassung zur Auflistung des „sicherheitspolitischen Mehrwerts einer NATS“ zitieren. Alles weitere sei dem Leser bzw. der Leserin überlassen:

Zusammenfassung – Sicherheitspolitischer Mehrwert einer NATS:

  • (…)
  • Eine NATS ist Schrittmacher für die institutionalisierte und vernetzte Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten und stärkt damit die Sicherheitsarchitektur insgesamt (Gemeinsames Terrorismus- und Extremismusabwehrzentrum von Polizei und Nachrichtendiensten).
  • Eine NATS dient dem Schulterschluss zwischen Staat und Zivilgesellschaft im Bereich der Extremismus- und Terrorismusprävention.
  • Eine NATS erfüllt eine wichtige kommunikative Funktion für die Sicherheitsbehörden und stärkt damit ihre Legitimation im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat insgesamt.
  • Eine NATS ist Schrittmacher für eine (noch ausstehende) integrierte sicherheitspolitische Gesamtstrategie Deutschlands.

 

Bilder: „Offizielle Menschenkette zum Gedenken an die Zerstörung Dresdens und zum Protest gegen den NPD-„Trauermarsch“ zum 13. Februar 2010“, von André Schulze, CC-BY und „Polizist mit Pepperball–Gewehr, Bambusstock und Dienstwaffe (bei einer Anti-Nazi-Demonstration/-Blockade auf der Bergstraße in Dresden 2011)“ von le_chuck, CC-BY

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung von Micha wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.