Übersichtsaufnahmen

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Das Verwaltungsgericht Berlin hatte schon mit Urteil vom 26.04.2012 (Az. VG 1 K 818.09) entschieden, „dass die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen, die anlässlich früherer Aufzüge des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung in Berlin durch den Beklagten [den Polizeipräsidenten in Berlin, d.h. die Berliner Polizeibehörde] erfolgt ist, rechtswidrig war.“ Berlin hat seinen Rechtsbehelf gegen dieses Urteil nun zurückgezogen, so dass es rechtskräftig ist (Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 10.07.2013, Az. 1 N 64.12).

Leider haben CDU und SPD in Berlin in Reaktion auf das Urteil zwischenzeitlich ein Gesetz beschlossen, das die anlasslose Videoüberwachung legalisiert („Gesetz über Aufnahmen und Aufzeichnungen von Bild und Ton bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen„). Grüne, Piraten und Linke haben eine Verfassungsklage dagegen angekündigt, doch einstweilen gilt das Gesetz – und wird auch genutzt. Deshalb wird möglicherweise auch die diesjährige „Freiheit statt Angst – Stoppt den Überwachungswahn!“-Demo überwacht werden. Wehrt euch:

www.freiheitstattangst.de

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors Patrick Breyer wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

Die Ortsgruppe Berlin des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ist Teil des Berliner Bündnis für Versammlungsfreiheit, welches sich gegen die geplante anlasslose Videobeobachtung von Demonstrationen formiert hat. In diesem Zusammenhang möchten wir hier folgende Pressemitteilung des Bündnis zum aktuellen Änderungsvorschlag der Regierungskoalition dokumentieren:

Berliner Bündnis für Versammlungsfreiheit: Gesetzentwurf zu Übersichtsaufnahmen bleibt versammlungsfeindlich

Das Berliner Bündnis für Versammlungsfreiheit lehnt das Gesetz zur Ermöglichung von sogenannten Übersichtsaufnahmen bei Versammlungen auch mit den von der Koalition vorgeschlagenen Änderungen ab.

Der am Freitag (12.4.2013) dem Innenausschuss vorgelegte Änderungsantrag von SPD und CDU beinhaltet lediglich kosmetische Änderungen und soll bereits am kommenden Montag dort beschlossen werden; eine gründliche und sachliche Analyse wird so abgeschnitten.

An der Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit durch die anlasslose Kameraüberwachung ändert sich auch durch den geänderten Gesetzesvorschlag nichts. Es bleibt bei dem Grundsatz, dass jede Demonstration allein deshalb gefilmt werden darf, weil sich an ihr eine Vielzahl von Menschen beteiligt. Dies stellt das Grundrecht gleichsam auf den Kopf, wenn gerade eine hohe Mobilisierung zur Begründung einer anlasslosen Videoüberwachung dienen soll.

Die Festlegung auf eine offene Durchführung der Videoüberwachung geht an den Realitäten vorbei, weil zum Beispiel Videokameras auf Hausdächern, im Hubschrauber oder bei Verwendung von Drohnen nicht erkennbar sind.

Die in dem Änderungsantrag vorgesehene Verpflichtung zur Bekanntgabe eines Kameraeinsatzes an die Versammlungsleitung bleibt weit hinter dem zurück, was die Rechtsprechung bei anderen Maßnahmen der Videoüberwachung fordert. Danach muss jedem von einer Videoüberwachung Betroffenen mitgeteilt werden, dass gefilmt wird.
Im Bereich der Versammlungsfreiheit ist diese Maßnahme indes grundsätzlich ein massiver Eingriff in dieses grundrechtlich geschützte Recht, das nicht durch eine bloße Mitteilung an den Versammlungsleiter ausgehebelt werden kann, zumal dieser nicht als „verlängerter Arm der Polizei“ deren Maßnahmen an die Versammlungsleiter kommunizieren muss. Hinzu kommt, dass nicht wenige Versammlungen keinen Versammlungsleiter haben.

Das vorgeschlagene Verbot, die Bilder zur Identifikation von Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmern zu nutzen, ist wirkungslos. Es kann weder kontrolliert werden noch ist es technisch umsetzbar. Das Bundesverfassungsgericht und das Verwaltungsgericht Berlin haben festgestellt, dass beim heutigen Stand der Technik eine Individualisierung stets möglich ist. Bereits der Begriff der Übersichtsaufnahme ist daher irreführend. Aus diesem Grund wurde der Begriff „Übersichtsaufnahme“ am letzten Freitag (12.4.) mit dem Big Brother Award in der Kategorie „Neusprech“ ausgezeichnet.

Der Einschüchterungseffekt durch die Präsenz von Kameras bleibt in jedem Falle erhalten. Das Gesetz ist deshalb auch mit den Änderungen im Ergebnis ein Versammlungsverhinderungsgesetz, das den hohen Rang der durch Art. 8 GG geschützten Versammlungsfreiheit in verfassungsrechtlich nicht akzeptabler Weise verkennt.

Für Nachfragen: Anja Heinrich (Humanistische Union): 030 / 204 2504

Dokumente: Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU zum Gesetzentwurf über Übersichtsaufnahmen zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen

Morgen soll der verfehlte Änderungsantrag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses beraten und vermutlich dann auch direkt beschlossen werden. Die Ignoranz der Regierungskoalition gegenüber einem gesellschaftlichen Diskurs zu diesem Thema, hatte sich zuletzt bei einer Podiumsdiskussion des Bündnis gezeigt: Kein*e Regierungsvertreter*in konnte oder wollte daran teilnehmen. Das Gesetz ist daher auch Ausdruck einer obrigkeitsstaatlichen Überwachungskultur, die der Effizienz von Polizeieinsätzen sämtliche Grund- und Freiheitsrechte unterordnet.

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung von V. wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.