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All posts for the month Juli, 2012

anonym-maennchen03Ein Kommentar von Michael.

Im September 2011 hat sich der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung an den Bundestag gewendet, um vor den Auswirkungen einer Gesetzesinitiative zu warnen: In dem von CDU/CSU und FDP vorgeschlagenen Gesetzentwurf zur so genannten „Optimierung der Geldwäscheprävention“ sollte jegliche anonyme Bezahlung im Internet grundsätzlich verboten werden.

Die Furcht von Mißbrauch anonymer Internet-Bezahlmodelle wie z.B. Paysafecard oder UKash sollte deren Aus bedeuten – selbst für kleinere Bezahlsummen war ein Verbot anonymer Online-Bezahlungen geplant.

Anonymes Bezahlen

Die Möglichkeit anonymen Bezahlens ist Teil eines Gesellschaftsentwurfs, in dem anonyme Handlungs- und Bewegungsräume wesentlich sind, damit sich Menschen frei und ohne Dauerüberwachung entwickeln können. Seit Jahren ist aber in der Entwicklung und Fortschreibung von Gesetzen und Regeln mit erschreckender Beständigkeit nur eine einzige Richtung feststellbar: Mehr Überwachung, mehr Kontrolle, mehr Datenspeicherungen.

Diese Tendenz tut uns nicht gut und damit setzen wir als Gesellschaft viel auf’s Spiel.

Das grundsätzliche Verbot des Bezahlens ohne Zwangs-Identifizierung, wie in dem Entwurf der Bundesregierung für den Online-Bereich gefordert, ist ein weiterer Meilenstein auf diesem Weg.

Zudem belegen die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik, dass die Aufklärungsquote bei Geldwäsche auch ohne diese Gesetzesverschärfung bereits besonders hoch war. Und dafür, dass es überhaupt (nennenswerte) Geldwäsche mittels anonymen E-Geldes gab, sind überhaupt keine Belege vorhanden. Das Vorhaben ist also insgesamt völlig unverhältnismäßig.

Wegen alledem hat der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung insgesamt 112 Briefe an Wirtschafts-, Innen- und Finanzausschuß des Bundestages sowie an den Staatssekretär des Finanzausschusses, Jörg Asmussen geschrieben. Dazu gab’s dann auch noch eine Pressemitteilung.

Rund zehn Monate ist das nun her.

Was ist daraus geworden?

Der Arbeitskreis hat ein paar einzelne, mehr oder minder gehaltvolle Rückmeldungen aus Berlin erhalten und auch die Bundes- und Landesdatenschutzbehörden setzten sich Ende September 2011 in ähnlicher Weise gegen das Gesetzesvorhaben ein. Im Entschluß der 82. Konferenz der Datenschutzbeauftragten heißt es unter anderem:

Eine generelle Identifizierungspflicht würde außerdem dazu führen, dass anonymes Einkaufen und Bezahlen im Internet selbst bei Bagatellbeträgen praktisch ausgeschlossen werden. Anonyme Bezahlsysteme im Internet bieten ihren Nutzern jedoch Möglichkeiten, die Risiken eines Missbrauchs ihrer Finanzdaten beispielsweise durch Hackerangriffe zu minimieren. Sie sind zugleich ein wichtiger Baustein, um die Möglichkeit zum anonymen Medienkonsum zu erhalten, da Online-Medien zunehmend gegen Bezahlung angeboten werden. Auf jeden Fall muss verhindert werden, dass personenbeziehbare Nutzungsdaten über jeden einzelnen Artikel in Online-Zeitungen oder einzelne Sendungen im Internet-TV schon immer dann entstehen, wenn eine Nutzung gebührenpflichtig ist.

Ohne allzuviel Publicity erfuhr das umfangreiche und unübersichtliche Gesetzespaket dann noch ein paar Veränderungen. Ein grundsätzliches Umdenken, wie dann auch noch von einigen Oppositionsparteien verlangt, erfolgte leider nicht – am 29. Dezember 2011 trat das „Gesetz zur Optimierung der Geldwäscheprävention“ in Kraft.

Immerhin

Das im gesamten Änderungspaket mit betroffene Kreditwesengesetz erhielt einen zusätzlichen Paragraphen 25i, wonach die weitere Verwendung anonymer Geldbezahldienste möglich bleibt. Wenn auch nur unter den folgenden (drastischen) Bedingungen:

  • Je Karte dürfen nicht mehr als 100€ pro Monat umgesetzt werden.
  • Auch dürfen je Karte nicht mehr als 20€ des Guthabens in bar ausbezahlt werden.
  • Sofern der Besitzer oder Benutzer der „E-Geld-Karte“ jedoch „bereits identifiziert“ ist, müssen ausführliche Informationen zu den Geldtransaktionen erfasst und gespeichert werden.

Vor allem aber:

  • Die Absätze 4 und 5 des Paragraphen erlauben bei Verdacht auf mißbräuchliche Benutzung des anonymen Zahlungsmittels die Praktizierung umfangreicher Einschränkung bei der Verwendung des E-Geldes.

Insbesondere die letzten beiden Absätze könnten die gut gemeinten Restfreiheiten anonymer Online-Bezahlungen zur Makulatur werden lassen … die Praxis wird beweisen müssen, ob der § 25i KwG ein Papiertiger ist oder nicht.

Hinweis

Leider sind die Gesetzestexte für „normale“ Menschen fast nicht oder gar nicht lesbar, geschweige denn verständlich. Ich bin also für jeden Hinweis dankbar, falls die im Wiki niedergeschriebene Interpretation falsch ist oder Wichtiges übersehen wurde.

Weitere Informationen

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors Michael wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

According to a previously unpublished letter dated 25/10/2010 (pdf), the EU Commission considered lifting the obligation on all EU Member States to have communications data retained indiscriminately („data retention“). Member States were to be allowed to opt out of the controversial scheme.

The letter written by the General Director of DG Home Affairs to the Commission’s Legal Service says:

Subject to a favourable opinion from your services, such non-participation by Member States could take different forms. In particular:

  1. The proposal could exhaustively list those Member States that are not participating in the amended data retention measure;
  2. The proposal could include a provision allowing Member States not to participate in the amended data retention measure.

In each scenario, the proposal could require Member States that are not participating/opt not to participate in the amended data retention measure not to maintain any domestic measures providing for compulsory data retention.

It is quite a sensation to read these detailed plans for lifting the EU-wide obligation to retain communications data without cause. The Commission’s thinking was probably influenced by Germany’s Constitutional Court having declared unconstitutional the German data retention law, and by civil society protesting against data retention throughout Europe.

It is all the more disappointing that the Commission’s Legal Service in its reply dated 10/11/2010 falsely claimed that the plans could not be carried out for legal reasons. On the basis of this false advice the Commission has given up its original intention to accept the targeted preservation of suspect’s communications data (data preservation) as an alternative to blanket data retention. Despite legal opinions by several experts to the contrary (in German), the Commission has since refused to reconsider its stance.

Lately, the Commission has decided to delay revising the data retention directive indefinitely (in German). Due to the EU’s undemocratic structure the European Parliament cannot itself put forward a proposal to scap or amend the unpopular directive.

It will therefore be up to the European Court of Justice, having been seized by the Irish High Court, to annul the data retention directive for violating the right to privacy. I think it likely that the directive will be annulled, as have national data retention laws in Romania, Germany and the Czech Republic (legal analysis). The German Minister of Justice also believes the case will be successful (in German).

Note: The EU Commission has deleted parts of its letter (pdf) before releasing it.

read this post in German…

The above is the author Patrick Breyer’s personal opinion and is not necessarily the opinion of AK Vorrat.

Wie sich aus einem hier erstmals veröffentlichten Schreiben der EU-Innendirektion vom 25.10.2010 ergibt (pdf), ließ die EU-Kommission eine Aufhebung des EU-weiten Zwangs zur Vorratsdatenspeicherung prüfen. Mitgliedsstaaten sollten das Recht erhalten, die Richtlinie nicht anzuwenden.

In dem Schreiben des EU-Innendirektors an den Juristischen Dienst heißt es wörtlich:

Eine positive Einschätzung Ihrer Dienste vorausgesetzt könnte eine derartige Nichtteilnahme von Mitgliedsstaaten in verschiedener Form erfolgen. Insbesondere

  1. könnte der Vorschlag abschließend diejenigen Mitgliedsstaaten auflisten, die an dem überarbeiteten Rechtsakt zur Vorratsdatenspeicherung nicht teilnehmen;
  2. könnte der Vorschlag eine Bestimmung enthalten, die es Mitgliedsstaaten erlaubt, an dem überarbeiteten Rechtsakt zur Vorratsdatenspeicherung nicht teilzunehmen.

In beiden Fällen könnte der Vorschlag Mitgliedsstaaten, die an dem überarbeiteten Rechtsakt zur Vorratsdatenspeicherung nicht teilnehmen, verpflichten, keine nationalen Maßnahmen beizubehalten, die eine Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung vorsehen.

Es ist eine kleine Sensation, dass die EU-Kommission so konkret plante, den EU-weiten Zwang zur Vorratsdatenspeicherung aufzuheben. Dies ist wohl unter dem Eindruck der Nichtigerklärung durch das Bundesverfassungsgericht und der europaweiten zivilgesellschaftlichen Initiative gegen Vorratsdatenspeicherung erfolgt.

Umso trauriger, dass der Juristische Dienst der EU-Kommission in seiner Antwort vom 10.11.2010 fälschlich behauptete, das Vorhaben sei rechtlich nicht umzusetzen. Auf der Grundlage dieser falschen Auskunft hat die Kommission ihre anfängliche Absicht, Quick Freeze als Alternative zuzulassen, wieder aufgegeben und lässt sich auch von abweichenden juristischen Stellungnahmen nicht mehr davon abbringen.

Zuletzt hat die EU-Kommission die Überarbeitung der EU-Richtlinie insgesamt auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben. Wegen der undemokratischen Struktur der EU hat das Europäische Parlament keine Möglichkeit, selbst einen Vorschlag zur Aufhebung oder Änderung der Richtlinie einzubringen.

Vor diesem Hintergrund liegt es nun am Europäischen Gerichtshof, die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in dem vom irischen High Court angestoßenen Verfahren für unverhältnismäßig, grundrechtswidrig und ungültig zu erklären. Ich halte die Erfolgsaussichten für hoch (ähnlich die Bundesjustizministerin).

Anmerkung: Das Schreiben der EU-Kommission ist von dieser teilweise geschwärzt worden.

Artikel in englischer Sprache lesen…

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors Patrick Breyer wieder und ist keine offizielle Erklärung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

Ein Kommentar von Michael.

Wie alles anfing

Einige bemerkenswerte Äußerungen „unseres“ Innenministers Schünemann und des Präsidenten des hiesigen Fußballvereins Hannover 96, Herr Martin Kind, haben uns in der Ortsgruppe Hannover aufhorchen lassen: Von mehr Videoüberwachung im Niedersachsenstadion, einer zwangsweisen Gesichtsscannung aller Besucher eines Fußballspiels, elektronische Fußfesseln für „auffällige Fans“ und von großflächigen Innenstadtverboten war die Rede. Man ließ sich sogar zu Begriffen wie „Problemfan“ hinreissen, was uns frappierend an den „Problembären“ des Edmund Stoiber und sein tragisches Ende erinnerte …

Die Antworten auf unsere Fragen an die Polizeidirektion Hannover blieben mäßig aussagekräftig und Herr Kind erteilte uns eine diplomtatische Abfuhr.

Wie es so geht, sind wir nun aber mit zwei weiteren Bausteinen der Überwachungsmaßnahmen von Fußballfans konfrontiert worden und darum dieser Bericht.

So durfte ich zum einen in der vergangenen Woche an einem Workshop des von der EU-Kommission initiierten Projektes namens „SAPIENT“ teilnehmen. Dieses zeichnet unter anderem ein dystopisches Szenario der Überwachungsmaßnahmen, mit denen wir zur Fußball-Weltmeisterschaft in 2022 eventuell konfrontiert sein könnten.

Zum anderen fanden gestern zwei dokumentierungswürdige Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht Hannover statt, die deutlich machen, mit welchen (aus meiner Sicht: überbordenen) Repressionen manche Fußballfans heutzutage zu kämpfen haben.

Und damit soll es auch gleich losgehen:

 

Überwachung von Fußballfans heute

Zwei Fans aus der hannoverschen Fußballfan-Szene klagen vor dem Verwaltungsgericht Hannover gegen die Polizeidirektion Hannover.

In dem ersten Fall geht es um dreierlei: eine fragwürdige Ingewahrsamsnahme samt der nachfolgenden Inrechnungstellung der behördlichen Kosten dafür, um die Bewertung und Rechtmäßigkeit eines „Gelbe-Karte“-Schreibens an einige Fans in Hannover sowie um den Eintrag des Fans in die berühmt berüchtigte Sonderdatei „Gewalttäter Sport“.

Im zweiten Fall setzt sich ein anderer Fan dagegen zur Wehr, aufgrund von einigen polizeilichen Personalienfeststellungen und mehreren Ingewahrsamsnahmen mit umfangreichen Platzverweisen und Besuchsverboten belegt worden zu sein. Wohlgemerkt: ohne auch nur ein einziges mal verurteilt worden zu sein!

Schon Tage vor der Verhandlung begann die „Story“ damit, dass das Verwaltungsgericht Hannover den Gerichtstermin derart angekündigt hat, dass ein „Hooligan“ gegen die Polizeidirektion Hannover klagen würde. Nach Intervention durch die Fangemeinde entschuldigte und korrigierte sich das Verwaltungsgericht ordentlich und öffentlich.

Vorweggenommen sei der Ausgang der Verfahren (soweit mir bis jetzt bekannt): Sämtliche insgesamt vier Verfahrensteile wurden abschlägig beschieden. Allerdings hatte die Polizeidirektion Hannover bereits im Vorfeld den Heranziehungsbescheid für die Kosten der Ingewahrsamsnahme (erster Fall) zurückgezogen, weil sie deren Unrechtmäßigkeit inzwischen selber erkannt hatte. (Ob Sie diesen Schritt auch ohne das eingeleitete Gerichtsverfahren vollzogen hätte, bleibt der Spekulation überlassen.)

Ich möchte im Folgenden nur relativ knapp und auszugsweise einige der mir besonders erwähnenswerten Äußerungen in und Erkenntnisse aus der Gerichtsverhandlung wiedergeben, eine Kommentierung versuche ich mir so weit wie möglich zu verkneifen.

Es gibt laut Polizei ca. 250 Ultras in Hannover. Ultras seien (so der aussagende Polizeikommissar) keineswegs mit Hooligans gleichzusetzen. Im Gegenteil hätten sie sogar einen „sehr positiven Einfluß“ auf die Fanszene und zu einer „positiven Prägung“ geführt. Gleichzeitig gäbe es dort einige einzelne, die ein „typisches Hooligan-Gehabe“ aufweisen würden: Revierverteidigung, das Suchen von Gewalt und die Nichtbereitschaft zur Kooperation mit der Polizei seien typisch. „Es gibt fünf bis sechs Personen, die alles anfangen.“

Aus einem der konkret behandelten Fälle: Eine Gruppe von ca. 50 Fans zieht in die Altstadt von Hannover. Vor einem Lokal, in dem sich Fans eines anderen Fußballvereins aufhalten fliegen Steine und andere Dinge, Pyrotechnik wird angezündet. Daraufhin fliehen die Fans in verschiedene Richtungen. Ob sie im Einzelnen als Steinewerfer vor der Polizei flüchten oder weil sie mit diesem Gehabe nichts zu tun haben möchten, bleibt unklar. Dennoch meint die Polizei, allen Beteiligten pauschal den vorsätzlichen Angriff auf das Lokal vorwerfen zu können. Beweise: keine. Man spricht von „Anscheinstörern“, „Störereigenschaften“ und „ex-ante-Perspektiven“. Fünf von ca. fünzig Leuten werden festgenommen, man entzieht ihnen für mehrere Stunden die Freiheit. Ein Ermittlungsverfahren wegen „Landfriedensbruch“ wird mangels Substanz eingestellt. Einer dieser fünf Menschen klagt nun dagegen, dass er nicht nur die Kosten für seine Einsperrung bezahlen soll, sondern seitdem auch noch mit Platzverweisen und Stadionaufenthaltsverbote belegt wird. Zudem wurde er in der über lange Jahre illegal betriebene Sonderdatei „Gewalttäter Sport“ eingetragen und soll dort mindestens fünf Jahre lang als ein solcher geführt werden. Nochmals: Dieser Mensch ist weder vor noch nach dem beschriebenen Vorfall polizeilich auffällig gewesen. Er wurde auch aufgrund des Vorfalls nicht verurteilt. Seine Rolle im Geschehen ist unklar.

Es scheint der Grundsatz zu gelten: „Wer flüchtet, der war dabei.“ Was ist dann mit denjenigen, die am Tatort, ohne selber tätig geworden zu sein, stehen bleiben, um sich dieser Vermutung nicht auszusetzen?

Nachfragen des Klägers, ob er denn auf irgendwelchen polizeilichen Listen geführt werden würde, wurden verneinend beantwortet. Seltsam, dass ihm aber später beim Besuch eines Fußball-Spiels in Bremen dieser Fußballspielbesuch mit der Begründung verwehrt worden ist, und das unter dem ausdrücklichen Verweis auf den genannten Vorfall …

Dieser Fan erhielt genau so wie 87 andere „auffällig“ gewordene Fans im Februar 2011 ein Schreiben der Polizeidirektion Hannover namens „Gelbe Karte“.

Unabhängig davon, warum der/die einzelne Angeschriebene „auffällig“ geworden ist, droht man den Empfängern mit dem Entzug des Führerscheins bzw. der Nichtausstellung für Menschen, die die Führerscheinprüfung noch vor sich haben. Denn nicht nur bei Alkohol- oder Drogenproblemen, sondern auch beim Vorhandensein „eines hohen Agressionspotentials“ sei man nicht befähigt, Auto zu fahren. Man zieht auch die Anordnung eines Idiotentests (Amtsdeutsch: MPU) in Erwägung. Die Kosten in Höhe von mehreren hundert Euro gehen dabei selbstverständlich auf Kosten des-/derjenigen, der/die gerne Auto, Lastkraftwagen oder Moped fahren möchte (oder aus beruflichen Gründen muß!)

Weitere Auszüge aus dem „Gelbe-Karte-Schreiben“:

  • „Wir werden Ihr aktuelles und zukünftiges Verhalten vor dem geschilderten Hintergrund fortlaufend prüfen.“
  • „Gewalt und Sicherheitsgefährdenden Verhaltensweisen werden wir (…) nachdrücklich begegnen und die uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten vollständig ausschöpfen.“
  • „In Ihrem eigenen Interesse bitten wir Sie ausdrücklich darum, Ihr Verhalten vor diesem Gesamthintergrund zu überdenken und sich von Gewalt und Gewalttätern zu distanzieren!“

Handelt es sich hierbei nun „lediglich um ein Informationsschreiben“, wie die Polizei meint, oder aber um ein „Gefährderanschreiben“, wie es nach Urteil des OVG Lüneburg (11 LC 51/04 vom 22.9.2005) nur in engen Grenzen und unter Berücksichtigung des § 11 Nds.SOG ausgeführt werden darf?

Darüber gehen die Meinungen auseinander. Was ist die Absicht des Schreibens und vor allem: Wie wird das Schreiben vom Empfänger subjektiv wahrgenommen? Liegt eine ausreichende Rechtsgrundlage vor?

Dass das Schreiben mit der Bezeichnung „Gelbe Karte“ insbesondere für einen Fußballfan einen klar verwarnenden Eindruck erweckt hat dem Verwaltungsgericht Hannover nicht ausgereicht, um den Brief als „Gefährderanschreiben“ zu klassifizieren – so jedenfalls das Urteil, soweit hier bekannt. Damit geht allerdings auch einher, dass das Schreiben der PD Hannover als (aus juristischer Sicht) völlig belanglos klassifiziert werden kann/soll.

Der Eintrag in die Sonderdatei „Gewalttäter Sport“ (nur eine von mehreren umstrittenen Spezialdateien) war das nächste Thema.

Ein solcher Eintrag wird frühestens fünf Jahre nach Erstellung wieder gelöscht. Bis 2010 wurden diese Sonderdateien von den Bundesländern mangels rechtsgültiger Verordnung illegal betrieben. Erst am Freitag vor der für den darauffolgenden Dienstag anberaumten Sitzung vor dem Bundesverwaltungsgericht verabschiedete der Bundesrat die notwendige Verordnungsgrundlage – wie gewohnt ohne jede Beratung oder Diskussion. Somit war die Grundlage für die bevorstehende Fußball-Weltmeisterschaft 2010 und den damit verbundenen Datenerfassungen und -eintragungen gegeben.

Besonders bemerkenswert die Aussage eines „szenekundigen“ Polizeibeamten:

„Jeder Beamte von Polizei und Bundespolizei kann dort speichern, aber wir haben uns geeinigt, daß das im Zusammenhang mit Fußball nur szenekundige Beamte tun.“

Zur Wiederholung:

Jeder Polizeibeamte hat schreibenden Zugriff auf die Sonderdateien! Aus meiner Sicht ist das völlig unhaltbar.

Er führte weiter aus:

„In Bayern wird anders als bei uns alles gespeichert, selbst wenn da jemand in einen Bierbecher gepinkelt hat.“

o_O

Um dieses Kapitel abzuschließen, noch ein paar Zitate der Polizei aus dem Gerichtsverfahren:

„Ja klar – nicht alle Ultras sind gewaltbereit, einige sind ansprechbar und kooperativ. (…) Es gibt nicht DIE Ultras. (…) Ein unkontrolliertes Aufeinandertreffen [gegnerischer Fans] muß verhindert werden. (…) Es gibt so pfiffige Leute, die sich nie erwischen lassen und deswegen zieht auch das Argument ‚Der ist doch bislang polizeilich noch nie aufgefallen!‘ nicht. (…) Es gibt da welche, die stehen immer in der 1. Reihe. (…) Wir haben uns [mit der Eintragung in der ‚Arbeitsdatei‘] ein Problem vom Hals geschafft. (…) Wenn wir einen von denen aus der Szene rausgekriegt haben, dann haben wir erfolgreich gearbeitet. (…) Wir müssen an den Brandherrn, den Herrn xy heran.“

Die Klageabweisungen waren aus Sicht der Fans vermutlich nicht überraschend. Soweit den mündlichen Ankündigungen zu entnehmen, wird man nun Berufung einlegen und vor das Oberverwaltungsgericht Lüneburg ziehen.

Weitere Informationen:

 

Überwachung von Fußballfans morgen

Im Rahmen des reichlich umstrittenen Forschungsförderprogrammes der Europäische Union wurde im letzten Jahr ein (relativ kleines) Projekt namens „SAPIENT“ ins Leben gerufen.

SAPIENT steht für „Supporting fundamentAl rights, PrIvacy and Ethics in surveillaNce Technologies“ – nun gut …

Schwerpunkt soll die Betrachtung der Bewahrung und Umsetzung von Grund- und Menschenrechten im Zusammenhang mit Überwachungsmaßnahmen sein. Ziel des Projekts sei ein Handbuch für Politiker, Unternehmen und Entscheidungsträger mit Ratschlägen und Hinweisen.

Das Projekt, dass sich in besonderer Weise auf den neuen Trendbegriff „smart surveillance“ bezieht, teilt sich in die folgenden drei Bereiche auf:

a.) Überwachung des öffentlichen Raums
b.) Personalisierte Werbung und dazugehörige Überwachung von Onlineverhalten
c.) Überwachung von Grenzen, von Flüchtlingen und „Illegalen“

Während mit der Arbeit am dritten Thema erst nach den Sommerferien begonnen wird (warum?) wurde zu den ersten beiden Bereichen bereits Vorarbeit geleistet. So gab es einen nicht-öffentlichen Workshop im November 2011, aus dem unter anderem die Grundlage für Treffen mit drei Gruppen von Betroffenen geschaffen wurde. Eingeladen wurden/werden (sofern ich das richtig verstanden) Vertreter der Zivilgesellschaft, der Datenschutzbehörden und der Industrie.

Ich durfte beim vormittäglichen Workshop zur Überwachung im öffentlichen Raum als Teil der Zivilgesellschaft am 27. Juni 2012 teilnehmen und habe dort ausdrücklich nur für mich alleine gesprochen, also nicht im Namen des AK Vorrat, was in so einem Rahmen prinzipiell gar nicht geht.

Auch hier möchte ich, um diesen Blog nicht zu „sprengen“, nur das aus meiner Sicht allerwichtigste teilen:

Diskussionsgrundlage war ein Szenario der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 und die in diesem Zusammenhang durchgeführten Erfassungs- und Überwachungsmaßnahmen. Dass es sich hierbei um ein ausdrücklich übertriebenes und als Horrorszenario („black scenario“) ausgestaltetes dystopisches Bild handelt, ging aus dem erst kurz vor der Veranstaltung zugesendeten Dokument nicht oder fast gar nicht hervor, wurde dann aber vor Ort erläutert. Das führte dann zu einer angeregten Diskussion, was sicherlich nicht schlecht ist.

Andererseits störe ich mich sehr daran, dass es eben im offiziellen Dokument nicht derart klassifiziert wurde. Somit gilt es (offiziell) als Grundlage für einen Disput über den Schutz von Grund- und Menschenrechten bzw. Privatsphäre bei massivsten Überwachungsfantasien. Für mich ist dieses ein absurder Ansatz, weil wir uns dem Thema und den Fragen dadurch aus der (für mich) falschen Perspektive nähern.

Mir kommt es subjektiv so vor, als diene SAPIENT als Feigenblatt für die EU-Kommission, das keinen Beitrag zur Klärung ernsthafter grundsätzlicher Fragstellungen leistet. Aber mal abwarten …

Doch zurück zum Inhaltlichen:

Ich möchte jedem englisch verstehenden Menschen raten, sich das Original-Dokument zu Gemüte zu führen, insbesondere das hier behandelte Kapitel 2 dieser Unterlage.

Für diejenigen, die das Englische nicht oder nicht gut genug beherrschen, gibt es hier eine ausdrücklich subjektiv gefärbte, unvollständige sowie nur stichpunktartige Übersetzung. Nochmals: Vorrangig empfehle ich das Lesen des englischen Originals.

Einige Auszüge aus dem beschriebenen Horrorszenario:

  • Wunsch einer vollständigen Kontrolle, Minimierung von Sicherheitsrisiken „so weit wie möglich“
  • Umfangreiches Profiling und Scoring, vollständige Bewegungsprotokollierung und Identifizierung aller Beteiligten
  • Nutzen der Smartphonetechnologie inklusive eID-Zwang, aktiver Smartphone- und Verhaltensüberwachung
  • Direktes Ansprechen bzw. Aussprechen von Bedrohungen an einzelne Fußballfans bei „auffälligem Verhalten“
  • Einzeln ausgesprochene und durchgesetzte Verbote der Benutzung von Ego-Shooter-Software, Paintball etc.
  • Grundsätzliche Ausgrenzung von bestimmten Personengruppen („Gefährder“, Hyperaktive und besonders kranke Menschen)
  • Umfassender Einsatz neuer Technologien wie: Identifizierende und trackende Videoüberwachung, Gesichtsscanner, Nacktscanner, Molekül-Sensoren, Augen-Iris-Scan, virtuelle Retina Displays, Drohnen aller Art, zum Teil mit DNA-Markierung ausgerüstet, hochsensitive Mikrofone für Lauschangriffe, Crowd control Maßnahmen …

An einigen Stellen werden die Interessen verschiedener Lobbygruppen ungewöhnlich deutlich wiedergegeben:

  • „Da die Veranstalter der WM den Anschein einer offenen und liberalen Gesellschaft bewahren wollen, werden die meisten der in den Städten eingesetzten Überwachungsanlagen und deren Komponenten clever versteckt und miniaturisiert verborgen eingesetzt.“
  • Man betont die hervorragende Überschneidung von Interessen am Beispiel der Public Viewing Plätze: einerseits die „wunderbare“ Gelegenheit PR und Marketing durchzuführen und an den Mann zu bringen [Werbeeinahmen!] und andererseits ein ideales Feld zur Durchführung der versteckten und effizienten Überwachungsmaßnahmen.
  • „Der größte Teil der Menschen hat schon seit langem zu akzeptieren begonnen, unter Generalverdacht gestellt zu werden, insbesondere wenn sie sich zu Großveranstaltungen begeben. (…) Aber weitaus wichtiger ist, dass die Leute die dahinter stehende Überwachungstechnologie als neutral, meistens präzise, unumgänglich und gut für eine bessere Sicherheit zu beurteilen zu scheinen.“
  • Einmal erst (aufgrund eines Großevents) neu angeschaffte Überwachungstechnik wird nicht wieder abgebaut oder heruntergefahren. Selbst wenn der eigentliche Grund dafür nicht mehr vorhanden ist. Vielmehr werden die Einsatzzwecke sogar noch ausgeweitet und einmal in Praxis eingesetzte Methoden und Techniken immer wieder neuen Einsatzzwecken zugeführt.

Weitere Informationen:

 

Abschließend

Überwachte Fußballfans mögen für Nicht-Fußballfans uninteressant sein – erst recht, wenn der Anschein erweckt wird, dass es sich doch nur um die Überwachung schlimmster Gewaltverbrecher handeln würde. Soziale Fragen und die Erörterung von Hintergründen für bestimmte gesellschaftliche Phänomene werden weitgehend ausgeblendet, Fußballfans, die nicht einem Standardschema entsprechen pauschalisiert zu „Ultras“ oder gar „Hooligans“ deklariert.

Vor allem aber:

Wie bei der Überwachung von anderen sozial schwachen Gruppen (siehe: Hartz-IV / ALG2 oder Flüchtlinge, Asylbewerber, Kranke, Sicherungsverwahrte, Gefängnisinsassen, Psychiatrisierte oder Menschen mit Behinderungen) dienen diese Gesellschaftsgruppen als Spielfeld der Überwachungsliebhaber, denn hier ist kein oder nur wenig öffentlicher Widerstand zu erwarten.

Bei der letzten Innenministerkonferenz noch die Forderung zum Gesichts-Scannen sämtlicher Besucher eines Fußballspiels.

Und morgen schon Zwangs-Gesichtsscans für alle, die einen Bus besteigen wollen?

 

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors Michael wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.