Zu der Richtlinie, die die umstrittene Vorratsdatenspeicherung in der Europäischen Union begründet, wurde mit einem Beschluß aus dem Jahr 2008 eine so genannte “Expertengruppe” eingerichtet, u.a. auch zuständig für die “Evaluation” der europäischen Richtlinie, die gar keine war, weil sie geringsten wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügte … aber darum soll es in diesem Beitrag nicht gehen.
Diese in der Allgemeinheit wenig bekannte und bislang reichlich intransparent tagende “Expertengruppe” ist zum Ende letzten Jahres aufgelöst worden. Sie enthielt keinen einzigen Vertreter aus der kritischen Zivilgesellschaft und nur 2 von 25 Mitgliedern waren demokratisch gewählte Vertreter der Menschen in EU-Europa. Strafverfolgungsbehörden und Vertreter der IT-Industrie dominierten diese Gruppe.
Die Einrichtung dieses Gremiums beruht auf einer Anmerkung in der EU-Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie. In dieser Anmerkung Nr. 14 heißt es:
„Die technische Entwicklung in der elektronischen Kommunikation schreitet rasch voran, und damit verändern sich möglicherweise auch die legitimen Anforderungen der zuständigen Behörden. Um sich beraten zu lassen und den Austausch von Erfahrungen mit bewährten Praktiken in diesen Fragen zu fördern, beabsichtigt die Kommission, eine Gruppe einzusetzen, die aus Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten, Verbänden der Branche für elektronische Kommunikation, Vertretern des Europäischen Parlaments und europäischen Datenschutzbehörden, einschließlich des Europäischen Datenschutzbeauftragten, besteht.“
Ich zitiere diesen Ausschnitt deshalb, weil der explizite Blick auf die „Veränderung der legitimen Anforderungen“ in der Gestaltung der Expertengruppe nur daraufhin ausgelegt wird, die Vorratsdatenspeicherung ohne Hinterfragung der Legitimität der Gesamtmaßnahme möglichst reibungslos, günstig und effektiv umzusetzen. Man setzt dieser Gruppe also eine Art Scheuklappe auf, die die unmittelbar mit der Umsetzung verknüpften Fragen der Rechtmäßigkeit ausblenden sollen.
Schon im November 2010 hat der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung darum gebeten, diese „Expertengruppe“ zur kritischen Begleitung durch die Zivilgesellschaft zu öffnen, leider vergebens.
Eine weitere informelle und nicht-öffentliche Anfrage Mitte 2011 durch einen Einzelnen wurde ebenfalls abgelehnt.
Da bekannt geworden ist, dass die EU-Kommission plant, die Expertengruppe neu zu beleben bzw. fortzuführen und dieses einen neuen Beschluß der Kommission erforderlich macht, habe ich – nach vorheriger Diskussion auf der Mailingliste des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung – am 27. März 2013 einen offenen Brief an die zuständige Kommissarin, Frau Malmström, geschrieben. Darin habe ich zu erläutern versucht, warum sie Zusammensetzung und Arbeitsweise der Expertengruppe aus meiner Sicht einem deutlichen Wandel zu unterziehen habe, sofern man den Anspruch, den der Name „Expertengruppe“ erhebt, ernst nehmen will. Ich habe mehr Transparenz und die Öffnung der Expertengruppe für Mitarbeit und Einträge durch Zivilgesellschaft gefordert – denn auch in den letzten Jahren waren es engagierte Bürger und Bürgerinitiativen, die wertwolle kritische und gleichzeitig kompetente Beiträge zur Debatte um die Vorratsdatenspeicherung beigetragen haben.
Eine direkte Antwort ist bis heute zwar nicht eingegangen, jedoch wurde vor kurzem ein neuer Beschluß der EU-Kommission vom 18. April 2013 bekannt, der die „neue Expertengruppe“ begründen soll. [Deutsche Übersetzung seit heute hier verfügbar.]
Darin wird der Eindruck erweckt, als würde sich die neu zu etablierende Gruppe in geringem Maße der Zivilgesellschaft öffnen – rein theoretisch bis zu zwei von 20 Mitgliedern dürfen „Einzelpersonen mit besonderer Eignung“ oder „Personen, die das Allgemeininteresse und eine nach Kommissions-Regeln definierte Organisation vertreten“ sein.
Im Anhang zum Beschluß befinden sie die Regelungen, nach denen sich nun an der Mitarbeit interessierte Menschen bewerben können. Die sich für drei Jahre zur Mitarbeit Bewerbenden müssen …
- sich einer Geheimhaltungspflicht unterordnen,
- eine „bewiesene“ Kompetenz in Form eines europäisch anerkannten Bildungsabschlusses entweder bezüglich Strafverfolgung, Informationstechnik oder Datenschutz nachweisen,
- sich grundsätzlich zur „effektiven und effizienten“ Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung bekennen,
- die Anforderungen einer ausgewogenen Besetzung der Gruppe u.a. hinsichtlich Geschlecht und Herkunftsland erfüllen,
- Europäer sein.
Diese Anforderungen sprechen eine deutliche Sprache:
Die EU-Kommission möchte nicht, dass sich die Zivilgesellschaft Europas bei der Umsetzung und Begleitung der Vorratsdatenspeicherung kritisch einmischt.
Auf die Antwort von Frau Malmström bin ich noch immer gespannt.
Bild: „Keep out“ von Dru Bloomfield, CC-BY
Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung von Micha wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.
Die Franken hatten schon immer ein Problem mit Verschlüsselung – erinnere an PGP. Brüssel ist ein Vorhof von Paris. Vergessen sie Brüssel, das Salzamt in Wien hat mehr Durchsetzungsvermögen. Der erste Fehler der Bürger war noch immer mit der Diktatur zu verhandeln. Was will man sich engagieren.
Die Franken mögen an Hierarchien und Regeln glauben, aber Habsburg hat noch immer obsiegt – unsere Waffe ist die Ignoranz – die ist unbezwingbar.
Die Zivilgesellschaft soll ihr Talent für sich selbst nutzen. Selbst die Telefonanalyse scheitert an der Vielfältigkeit der Afrikanischen Sprachen… wenn sie wollen können sie was immer sie kommunizieren wollen … in Klartext. Schicken sie einen Klartext und ändern sie die Semantik in dem sie den der Kommunikation zugrundliegenden Erfahrungsschatz tauschen – Darmok und Jalad auf Tanagra.
Nutzen sie die Zeit, eine parallele Kommunikationsinfrastruktur auf den Weg zu bringen und die Staaten auszuschließen. Das ist umständlich. Wer sagt, dass das Internet die beste Struktur ist. Sie hat sich bewährt entlang ihres Designziels – Es ist ja ein Relikt aus dem kalten Krieg.
Bin aber gespannt, wenn die erste 90jährige Oma zum Verhör abeholt wird, da sie nie Spuren am Internet hinterließ – sehr verdächtig. Diese Speicherung lebt vom Content. Im Kollektiv den Content versauen ist bestimmt urlustig.
Gruß aus Agypten:) mögen die Experten die Kommission erleuchten.
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