Verfassungsbeschwerde

All posts tagged Verfassungsbeschwerde

Morgen verhandelt der Europäische Gerichtshof in Luxemburg über die Gültigkeit und Verhältnismäßigkeit der EU-Richtlinie zur verdachtslosen Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten.

Die Bedeutung der Entscheidung des Gerichtshofs könnte größer kaum sein: Die unterschiedslose Vorratsspeicherung von Informationen über jedes Telefonat, jede SMS, jede E-Mail und jede Internetverbindung der gesamten Bevölkerung stellt alle anderen deutschen Überwachungsmaßnahmen in den Schatten. Eine Vorratsdatenspeicherung zeichnet dauerhaft das alltägliche Kommunikations-, Bewegungs- und Internetnutzungsverhalten aller 80 Mio. Menschen in Deutschland auf, durchschnittlich alle vier Minuten werden Informationen über jede/n von uns festgehalten. Es handelte sich vermutlich um die größte deutsche Informationssammlung überhaupt.

Von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hängt ab, ob der Staat potenziell unser gesamtes Leben und menschliches Verhalten „auf Vorrat“ aufzeichnen (lassen) darf oder ob unschuldige Menschen auch in einer Informationsgesellschaft einen Anspruch auf nicht rückverfolgbare, unmittelbare Kommunikation und Interaktion haben werden. Die Entscheidung des Gerichtshofs wird mittelbar auch Auswirkungen darauf haben, ob die jetzt bekannt gewordenen flächendeckenden Geheimdienst-Abzapfprogramme Großbritanniens („Tempora“) und Frankreichs fortgesetzt werden dürfen oder ob sie wegen Verstoßes gegen die europäischen Grundrechte eingestellt werden müssen.

Wichtige Informationen zu dem Prozess

Ort und Zeit der Verhandlung:
http://akvorrat.de/s/EuGH-Termin

Diese Personen und Staaten werden vor dem Europäischen Gerichtshof sprechen:
http://blog.vorratsdatenspeicherung.de/?p=1122

Die verhandelten Fragen des obersten irischen Gerichtshofs und die Begründung dazu (Auszug: „Es ist klar, dass Überwachungsmaßnahmen gerechtfertigt sein müssen und in der Regel gezielt erfolgen sollten“):
http://akvorrat.de/s/HighCourt-Fragen
http://www.bailii.org/ie/cases/IEHC/2010/H221.html

Die verhandelten Fragen des österreichischen Verfassungsgerichtshofs und die Begründung dazu (Auszug: „Nicht zuletzt auch im Hinblick auf Zweifel an der Eignung zur Zielerreichung erscheint der damit verbundene Eingriff unverhältnismäßig.“):
http://akvorrat.de/s/VerfGH-Vorlage

Die Fragen des Europäischen Gerichtshofs, zu denen die Beteiligten am Dienstag Stellung nehmen sollen:
http://akvorrat.de/s/EuGH-Fragen

Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung: Dossier mit Hintergrundinformationen und Fakten zur Vorratsdatenspeicherung
http://akvorrat.de/s/Hintergrundinfos

Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung: Handreichung zum Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen Nichtumsetzung der Vorratsdatenspeicherung
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/handreichung.pdf

Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung: Häufige Argumente der Befürworter einer Vorratsdatenspeicherung widerlegt
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/83/87/lang,de/

Meinungsumfragen:
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/77/85/lang,de/#Umfrage

Protestaktionen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung:
http://akvorrat.de/s/Aktionen

Fotos von Protestaktionen zur freien Verwendung:
http://akvorrat.de/s/CC-Fotos
http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Aktuelle_Fotos

Appell von über 100 Organisationen aus 23 europäischen Ländern zur Aufhebung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/363/158/lang,de/

Wenn Sie Fragen zu dem Verfahren haben oder Interviewpartner suchen, wenden Sie sich einfach an die Presse-Ansprechpartner des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung:
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/235/141/lang,de/

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors Patrick Breyer wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

Icons via iconarchive.com, aus den Sätzen iFunny Icons von Dirceu Veiga – FastIcon Studio sowie Kids Icons von Everaldo Coelho und desweiteren aus Redfresh CI Icons von TpdkDesign.net. Bundestrojaner vom Chaos Computer Club. Schriftart Yanone Kaffeesatz von Jan Gerner. (Creative Commons Namensnennung 2.0).  Komposition Was weiß mein großer Bruder alles über mich? v0.3-rc2 vom 19. Dezember 2007 von Matthias „wetterfrosch“ Mehldau  Lizenz Creative Commons Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung 2.0. Nicht-Kommerzielles Kopieren und Bearbeiten unter Quellangabe (CC) BY-NC-SA) Wetterfrosch, ak-vds.de (Schrift: Jan Gerner, Icons: Dirceu Veiga – FastIcon Studio, Everaldo Coelho, TpdkDesign.net, ccc.de) erbeten! Am Dienstag wird vor dem Europäischen Gerichtshof darüber gestritten, ob die EU Informationen über jede unserer Telefon-, Handy-, E-Mail- und Internetverbindung speichern lassen darf – rein vorsorglich („auf Vorrat“) für den Fall, dass sich die Polizei einmal dafür interessieren könnte. Festgehalten werden soll, mit wem wir privat oder beruflich in Kontakt stehen, mit welchem „Nummernschild“ (IP-Adresse) wir im Internet unterwegs sind und an welchen Orten wir wann unser Handy oder Smartphone benutzt haben.

Viele Menschen (in Deutschland 66%) wollen nicht, dass ohne jeden Grund alle ihre Verbindungen und Bewegungen protokolliert werden. Deshalb haben sie bei Gericht beantragt, die Speicherung ihrer Daten zu stoppen. In Irland klagen Datenschützer der Organisation „Digital Rights Ireland“ gegen das irische Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Und in Österreich haben sich über 10.000 Menschen bei dem Verfassungsgerichtshof beschwert.

Vor ihrer Entscheidung wollen das irische und das österreichische Gericht wissen, ob sie den von der Europäischen Union angeordneten Zwang zur Vorratsdatenspeicherung akzeptieren müssen. Über die Gültigkeit und Verhältnismäßigkeit dieser EU-Richtlinie entscheidet nun der Europäische Gerichtshof.

Wie wird der Europäische Gerichtshof entscheiden?

Foto: Gerichtshof der Europäischen UnionDer Europäische Gerichtshof könnte entscheiden, dass die Aufzeichnung sämtlicher unserer Verbindungen erforderlich ist, um Verbrechen besser verfolgen zu können. Dann müsste auch Deutschland ein Gesetz zur verdachtslosen Vorratsspeicherung aller unserer Verbindungen wieder einführen – oder als Strafe jährlich 1,43 Euro pro Bürger bezahlen.

Wahrscheinlich wird der Gerichtshof die Datensammelei aber beanstanden. Er hat nämlich eine Menge Fragen dazu gestellt. Auch mehrere andere Gerichte (die Verfassungsgerichte Rumäniens, Deutschlands und Tschechiens) haben Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung schon aufgehoben.

Foto: Digitale Gesellschaft, Lizenz: CC BY-SA 2.0Einige Gerichte finden, solange wir keines Verbrechens verdächtig sind, darf der Staat unsere Telefonate, SMS, E-Mails und Internetverbindungen nicht ins Blaue hinein protokollieren lassen. Datenschützer sind derselben Meinung. Sie befürchten sonst eine schrittweise immer weiter reichende Aufzeichnung unseres alltäglichen Verhaltens und Lebens „auf Vorrat“ – bis hin zu Videokameras in unseren Schlafzimmern, weil ja auch dort einmal Verbrechen begangen werden könnten. Unter ständiger Überwachung kann man nicht frei und unbefangen leben.

Das deutsche Bundesverfassungsgericht ist dagegen der Meinung, der Staat darf alle unsere Kontakte und Bewegungen ohne Verdacht sammeln lassen, wenn diese Informationen gut vor Missbrauch gesichert und nur in Ausnahmefällen eingesehen werden. Es hat das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung nur aufgehoben, weil es diese Bedingungen nicht erfüllte. Wenn der Europäische Gerichtshof das auch so sehen sollte, werden EU-Politiker schon bald darüber streiten, ob sie eine neue Richtlinie zur verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung erlassen.

Wer wird am Dienstag mitreden?

Die folgenden Personen und Organisationen werden am Dienstag vor dem Europäischen Gerichtshof sprechen:

  1. Digital Rights Ireland: Die Datenschutzorganisation, die in Irland klagt (15 Minuten)
  2. Die irische Menschenrechtskommission (Human Rights Commission), die die Klage unterstützt (15 Minuten)
  3. Die Kärntner Landesregierung, die in Österreich klagt (15 Minuten)
  4. Der Anwalt von Herrn Seitlinger, der in Österreich klagt (15 Minuten)
  5. Herr Tschohl in Vertretung von über 11.100 klagenden Österreichern (15 Minuten)
  6. Die irische Regierung, die die Datenspeicherung verteidigt (15 Minuten)
  7. Die österreichische Regierung, die die Datenspeicherung verteidigt (15 Minuten)
  8. Die spanische Regierung, die die Datenspeicherung verteidigt (10 Minuten)
  9. Die französische Regierung, die die Datenspeicherung verteidigt (10 Minuten)
  10. Die italienische Regierung, die die Datenspeicherung verteidigt (10 Minuten)
  11. Die polnische Regierung, die die Datenspeicherung verteidigt (10 Minuten)
  12. Die portugiesische Regierung, die die Datenspeicherung verteidigt (10 Minuten)
  13. Die britische Regierung, die die Datenspeicherung verteidigt (10 Minuten)
  14. Der EU-Rat, der die Datenspeicherung verteidigt (15 Minuten)
  15. Das Europäische Parlament, das die Datenspeicherung verteidigt (15 Minuten)
  16. Die EU-Kommission, die die Datenspeicherung verteidigt (15 Minuten)
  17. Der Europäische Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx, der die Datenspeicherung kritisiert (15 Minuten)

Ort und Zeit der Verhandlung finden sich hier.

Wo finde ich weitere Informationen?

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors Patrick Breyer wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

Gestern haben Patrick Breyer und Katharina Nocun, beide seit langer Zeit hochverdiente Mitarbeiter im AK Vorrat und inzwischen auch für die Piratenpartei tätig, öffentlich angekündigt, gegen die kürzlich auch vom Bundesrat verabschiedete Neuregelung der Bestandsdatenauskunft eine Verfassungsbeschwerde einzulegen.

Über eine eigens dafür eingerichtete Webseite kann sich jeder Bürger dieser Beschwerde ohne Kostenrisiko anschließen. Auch bei diesem Gang nach Karlsruhe vertritt, wie u.a. beim erfolgreichen Zufallbringen der Vorratsdatenspeicherung, Rechtsanwalt Meinhard Starostik die Beschwerdeführer.

Die Überparteilichkeit des AK Vorrat verbietet es, einen Aufruf zur Beteiligung an dieser aus einer Partei heraus initiierten Sammelbeschwerde zu veröffentlichen – gerade in Zeiten des beginnenden Wahlkampfes. In der Sache an sich aber gibt es eine überwältigende Meinungsmehrheit dafür, dass dieser Gang nach Karlsruhe sinnvoll und notwendig ist.

Wer also – ganz gleich, ob erstmalig oder erneut – den Gesetzgeber in Berlin wegen der unverhältnismäßigen Verletzung seiner Freiheitsrechte vor das Bundesverfassungsgericht bringen will, hat hier dazu Gelegenheit, sich an dem Verfahren zu beteiligen.

Ich habe es getan.

 

Dieser Text gibt die persönliche Meinung des Autors Kai-Uwe Steffens wieder und stellt keine Mitteilung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung dar.