In der langandauernden Auseinandersetzung zwischen Gesetzgeber und portugiesischem Verfassungsgericht zur Frage des geheimdienstlichen Zugriffs auf Vorratsdaten wird erwartet, daß in Kürze ein neues Kapitel geschrieben werden wird. Im Januar 2018 hatten 35 Parlamentsabgeordnete aus drei Parteien das Verfassungsgericht offiziell darum gebeten, in Bezug auf die verfassungsmäßige Rechtmäßigkeit des neuen Gesetzes, welches den Geheimdiensten Zugriff auf die Daten der Vorratsdatenspeicherung gestattet, ein Urteil zu fällen.
Das Verfassungsgericht hatte bereits einmal ein ähnliches Gesetz aus dem Jahre 2015 für verfassungswidrig erklärt, nachdem der Präsident vor Unterzeichnung des Gesetzes eine Vorabentscheidungs des Gerichts eingefordert hatte. Angesichts dessen allerdings, daß sich die größeren Partien in dieser Frage auch weiterhin einig sind, wurde 2017 ein neues Gesetz verabschiedet, welches die vom Gericht vorgebrachten Hauptbedenken versuchte zu berücksichtigen. Trotz des vorausgegangenen verfassungsgerichtlichen Urteils entschied sich der neue Präsident dagegen, einen Vorabentscheidung des Gerichts zu erbitten und unterzeichnete das neue Gesetz, welches damit in Geltung trat.
Jetzt bietet sich dem Verfassungsgericht in der Folge die Chance, eine neue Entscheidung zu fällen. Als größter Stein des Anstoßes gilt, daß die portugiesische Verfassung es Behörden verbietet, auf Korrespondenz und Telekommunikation der Bürger zuzugreifen, ausgenommen bei Straftatbeständen. Da Geheimdienste über keinerlei kriminalrechtliche Befugnisse verfügen, ist folglich unklar, ob im Rahmen der derzeitigen Verfassungsordnung ein solcher Zugriff gestattet werden kann.
Betrüberlicherweise scheiterten diese selben Parlamentsabgeordneten sowohl daran, die größeren Zusammenhänge zu erkennen, wie auch dahingehend, die volle Auswirkung der Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in der Rechtsprechung Digital Rights Ireland und Tele2 versus Watson anzuerkennen. Die exakt selben Argumente, mit Hilfe derer der EuGH die Richtlinie zur Europäischen Vorratdatenspeicherungs ad acta legte, können in Bezug auf das portugiesische Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung verwendet werden, da die Grundrechtecharta der Europäischen Union wie auch die Verfassung Portugals eine ähnliche Vorschrift der Verhältnismäßigkeit hinsichtlich einer Einschränkung grundlegender Rechte aufweisen.
Einige Wochen zuvor hatte das EDRI Beobachtermitglied Associação D3 – Defesa dos Direitos Digitais beim Bürgerbeauftragen für das Justizwesen eine Beschwerde mit der Bitte dahingehend eingereicht, das vorliegende Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung dem Verfassungsgericht zwecks Überprüfung vorzulegen – da den Bürgern kein anderer Weg offensteht, ein bestimmtes Gesetz vor das Verfassungsgericht zu bringen. Allerdings bleibt es allein der Entscheidung des Bürgerbeauftragten vorbehalten, ob er dem Gericht die Angelegenheit vorträgt. Es schaut danach aus, als ob portugiesische Gesetzgeber die Urteile des EuGH auch weiterhin nicht beachten wollen.
Parlamentsabgeordnete linker Parteien schließen sich zusammen, um Geheimdienstzugriff auf Vorratsdatenspeicherung dem Verfassungsgericht vorzulegen (nur auf Portugiesisch, 11.1.2018): https://www.publico.pt/2018/01/11/politica/noticia/be-e-verdes-juntamse-a-pcp-na-fiscalizacao-sucessiva-da-lei-dos-metadados-pelo-tc-1798936
D3 bittet Bürgerbeauftragen für das Justizwesen, Vorratsdatenspeicherung vor das Verfassungsgericht zu bringen (nur auf Portugiesisch, 27.12.2017): https://direitosdigitais.pt/comunicacao/25-comunicados-de-imprensa/38-d3-pede-a-provedora-de-justica-que-leve-metadados-ao-constitucional
Eurojust: Kein Fortschritt bei der Umsetzung der EuGH-Urteile in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung (29.11.2017): https://edri.org/eurojust-no-progress-to-comply-with-cjeu-data-retention-judgements/
EU-Mitgliedsstaaten beabsichtigen, EuGH-Urteile zur Vorratsdatenspeicherung zu ignorieren (29.11.2017): https://edri.org/eu-member-states-plan-to-ignore-eu-court-data-retention-rulings/
European Digital Rights bittet Europäische Kommission, illegale Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung innerhalb der EU zu untersuchen (2.7.2015): https://edri.org/edri-asks-european-commission-investigate-illegal-data-retention-laws/
EuGH: Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung widerspricht europäischer Gesetzgebung (9.4.2014): https://edri.org/ecj-data-retention-directive-contravenes-european-law/
(Unter Mitwirkung von Eduardo Santos, Associação D3 – Defesa dos Direitos Digitais, Portugal)
Übertragung aus dem Englischen von Tariq Habib Guddat, 12.3.2018