Am Montag dieser Woche fand an der Universität Hamburg ein durchaus hochkarätig besetztes Symposium zum Thema Cybercrime statt. Vertreter von Polizei, Staatsanwaltschaften, kriminologischen Forschungsinstituten, Gerichten und Politik referierten und diskutierten über die Herausforderungen für die Strafermittlung und Strafverfolgung in Zeiten der gar nicht mehr so neuen Medien. Nicht als Referent geladen waren, wie bei solchen Veranstaltungen leider üblich, Vertreter der Zivilgesellschaft. Aber das nur am Rande.
Wer nun ein fortgesetztes Herunterbeten des Mantras für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung erwartet hatte, wurde zunächst enttäuscht. Die Referenten der Wissenschaft zeichneten vielmehr ein durchaus differenziertes Bild, in dem auch die Schädlichkeit und begrenzte Wirksamkeit dieses Überwachungswerkzeugs Erwähnung fand. Sehr glaubwürdig skizzierte Daniel Hammer, Professor für IT-Sicherheit in Offenburg, ein Szenario, in dem man nach einer Wiedereinführung feststellen würde, dass die Erfolge unzureichend wären und man praktisch keinen Schritt weitergekommen sei. Man war als Zuhörer mit Grundrechtsbewusstsein geneigt, auf einen durchwegs konstruktiven und sachlichen Fortgang der Veranstaltung zu hoffen.
Das war, wie sich nach der Mittagspause herausstellen sollte, ein Trugschluss.
Als dann nämlich Jürgen Lewandrowski, Oberstaatsanwalt in Osnabrück und für gut Informierte kein Unbekannter, sein Referat zu Ende geführt hatte, war die innere Erwartungshaltung nach Grausamkeiten und Maßlosigkeit mehr als befriedigt. Nicht nur, dass er unter heftigem Schwingen der KiPo-Keule eine umfassende Vorratsdatenspeicherung für ‚möglichst lange Zeit‘ forderte. Nein, auch Dinge wie Generalschlüssel für die Strafverfolgung, mit denen die üblichen elektronischen Verschlüsselungswerkzeuge aufgebrochen werden können, standen auf seiner Wunschliste. Als er dann auch noch suggerierte, man könne doch verurteilten ‚Hackern‘ teilweise Haftverschonung anbieten, wenn sie im Gegenzug einige Zeit für die Ermittler arbeiten und so deren Bedarf an qualifiziertem Personal decken würden, wurde wohl den meisten Zuhörern klar, dass das Problem mangelnder Bodenhaftung kein Alleinstellungsmerkmal von Rennfahrern ist. Dieses Konzept der selbstbedienenden Personalversorgung des Justizapparates ging dem Auditorium dann doch zu weit, und entlockte selbst seinem Nachfolger am Redepult, dem BGH-Richter Jürgen-Peter Graf, eine spitze Bemerkung.
Nach der abschließenden Diskussionsrunde, die leider viel zu wenig Raum für Publikumsfragen bot, kam dann im Schlusswort des Staatsrats Ralf Kleindiek auch noch der subtil formulierte, aber dennoch erkennbare Vorwurf der Strafvereitelung an die Bundesjustizministerin wegen deren Verweigerung eines VDS-Gesetzes. Damit war dann auch die Strichliste der üblichen Ungeheuerlichkeiten abgearbeitet.
So weit, so gut. Oder schlecht, je nach Perspektive. Der Besuch der Veranstaltung war jedenfalls lohnend und aufschlussreich, und dem Veranstalter gebührt dafür Dank.
Nach der Veranstaltung hatte ich Gelegenheit für ein kurzes Gespräch mit Jürgen-Peter Graf. In dessen Verlauf bestätigte er meine Einschätzung, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Nutzung von Vorratsdaten für nicht-schwere Straftaten ausschießt, und man folglich für die Verfolgung dieser Straftaten andere Wege beschreiten muss.
Daraus ergibt sich aber, dass jene, die beharrlich die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung fordern und sich der Evaluierung und Umsetzung von ‚quick freeze‘ und anderen Werkzeugen verwehren, mittelbar und teilweise unmittelbar dafür sorgen, dass manche minderschweren Straftaten nicht verfolgt werden können. Wenn wir für einen Moment den Gedanken zulassen, dass die so oft bemühten rechtsfreien Räume im Internet tatsächlich existieren, dann ist festzustellen, dass es nicht die Gegner der Vorratsdatenspeicherung sind, die dafür die Verantwortung tragen, sondern vielmehr jene, die die Einführung von Alternativen blockieren. Interessanterweise sind das häufig die gleichen Personen, die auch für unzureichende Personalstärke, Ausbildung und Ausrüstung in Ermittlungsbehörden verantwortlich sind.
Jene, die das Verhalten der Bundesjustizministerin in die Nähe der Strafvereitelung rücken und der Freiheitsrechtsbewegung Blindheit gegenüber Schutzlücken vorwerfen, sollten sich besser an die eigene Nase fassen und, wo verantwortlich, ihre Hausaufgaben machen. Wäre das in den seit dem Urteil aus Karlsruhe vergangenen Jahren geschehen, dann wären wir heute wohl an einem Punkt, wo funktionierende Alternativen zur Vorratsdatenspeicherung erfolgreich im Einsatz sind und die Idee dieses Grundrechtseingriffs endgültig zu den Akten gelegt werden kann.