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All posts for the month April, 2012

EU-Innenkommissarin Malmström ist der Auffassung, es sei der EU nicht möglich, den einzelnen Mitgliedsstaaten eine Vorratsdatenspeicherung freizustellen.

Die EU-Kommission führt zurzeit eine Abschätzung der Folgen verschiedener Möglichkeiten zur Änderung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung durch. Bis Juli 2012 will die EU-Kommission einen Vorschlag zur Änderung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vorlegen.

Unseren Vorschlag, eine verdachtslose flächendeckende Vorratsdatenspeicherung europaweit zu verbieten und stattdessen eine anlassbezogene, gezielte Aufbewahrung der Daten Verdächtiger einzuführen, will die EU-Kommission aus rechtlichen und politischen Gründen leider nicht prüfen.

Sie will nicht einmal den Kompromissvorschlag in ihre Folgenabschätzung einbeziehen, wonach die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung den nationalen Parlamenten und Verfassungsgerichten das „Ob“ einer flächendeckenden Vorratsdatenspeicherung freistellen und nur noch das „Wie“ etwaiger nationaler Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung regeln und begrenzen soll.

Wörtlich schreibt die Kommissarin:

Hinsichtlich der Frage des Herrn Abgeordneten nach der Möglichkeit einer optionalen Anwendung der Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Daten muss betont werden, dass dies aus folgenden Gründen nicht möglich ist:

Das EU-Recht ist entsprechend den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der einheitlichen Anwendung in allen Mitgliedstaaten einheitlich anwendbar. Ausnahmen für einzelne Mitgliedstaaten sind nur möglich, wenn diese im Primärrecht vorgesehen sind. Entsprechend den gegenwärtigen Vertragsbestimmungen gilt dies nicht für die Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Daten. Da diese Richtlinie in der gesamten EU umzusetzen ist, würde es bei einer optionalen Vorratsspeicherung zu einer Wiedereinführung von Hemmnissen für den Binnenmarkt kommen.

Da es keine Ausnahmen gibt, die sich direkt aus dem Primärrecht herleiten, kann das Sekundärrecht Ausnahmen zugunsten des betreffenden Mitgliedstaates vorsehen, wenn spezifische objektiv unterschiedliche Umstände vorliegen. Der Kommission sind keine derartigen objektiv unterschiedlichen Umstände bekannt, die im Falle der Vorratsdatenspeicherung eine Ausnahme von diesem Grundsatz rechtfertigen könnten. Die Tatsache, dass einige Mitgliedstaaten aus verfassungsrechtlichen, juristischen oder politischen Gründen Schwierigkeiten hatten, diese Richtlinie in einzelstaatliches Recht umzusetzen, kann nicht als Rechtfertigung für eine derartige Ausnahme herangezogen werden. Optionale Maßnahmen mit offenkundigen Konsequenzen für das Recht auf Datenschutz und Privatsphäre würden im Gegenteil dem Bürger gemeinsame Mindeststandards für diese Grundrechte in der EU vorenthalten.

Die Argumentation ist juristisch nicht haltbar:

Dass es möglich ist, den EU-Mitgliedsstaaten die Einführung einer verdachtslosen Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten freizustellen, zeigt schon die Rechtslage vor 2006. Es gibt auch eine Vielzahl anderer Beispiele von EU-Recht, das den Mitgliedsstaaten bestimmte Maßnahmen freistellt. Eine ausführliche Analyse findet sich auf daten-speicherung.de.

Vollkommener Unfug ist schließlich das Argument, die Freistellung einer Vorratsdatenspeicherung würde den Bürgern „gemeinsame Mindeststandards für diese Grundrechte in der EU vorenthalten“. Eine verdachtslose Totalprotokollierung jeder Telekommunikation schafft keinen „Grundrechtsstandard“, sondern stellt einen massiven Grundrechtsabbau dar, wie er größer kaum vorstellbar ist. Der Europäische Datenschutzbeauftragte hat zutreffend erklärt: „Die Richtlinie ist zweifellos das am meisten in die Privatsphäre eingreifende Instrument, das jemals von der EU im Hinblick auf Umfang und Anzahl der Menschen, die davon betroffen werden, angenommen wurde.“

Aus meiner Sicht dürfen wir es nicht zulassen, dass sich die EU-Kommission unter Berufung auf vermeintliche Rechtszwänge nicht einmal mit der Möglichkeit auseinandersetzt, eine Vorratsdatenspeicherung wenn nicht schon EU-weit zu verbieten, dann doch wenigstens nur in denjenigen Mitgliedsstaaten zu harmonisieren, deren Parlamente und Verfassungsgerichte sich dazu entschließen.

Zwar prüft die EU-Kommission im Rahmen der Folgenabschätzung die Möglichkeit einer ersatzlosen Aufhebung der Richtlinie. Diese Möglichkeit wird sie aber leicht verwerfen können, weil dadurch keine Harmonisierung erreicht und keine Datenschutzstandards verankert würden (die Mitgliedsstaaten könnten dann ohne jede Begrenzung und Kostenerstattung auf Vorrat speichern lassen).

Um die falsche Rechtsauffassung der Kommission zu überwinden und eine vollständige Prüfung aller Optionen durch die EU-Kommission zu erreichen, bitte ich in dem folgenden Punkt um Unterstützung: Haben Sie eine Idee, wie wir der rechtlichen Bewertung des juristischen Dienstes der EU-Kommission eine andere, zutreffende Bewertung der Rechtslage entgegen setzen könnten? Gibt es eine Institution oder Europarechtler, die Sie um eine juristische Stellungnahme bitten könnten?

Beitrag von Patrick – Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.

Die Fachgruppe Strafrecht der Neuen Richtervereinigung fordert heute, zur Bekämpfung von Internetkriminalität Quick Freeze anstelle einer IP-Vorratsdatenspeicherung einzusetzen (siehe Pressemitteilung).

Während das Bundesjustizministerium eine IP-Vorratsdatenspeicherung mit der falschenBegründung der Verfolgung von Kinderpornografie voran treibt, hat die Neue Richtervereinigung einen solchen völlig unverhältnismäßigen Generalverdacht gegen alle Internetnutzer schon im letzten Jahr zurückgewiesen.

Diese Position hatte der Vorstand der Vereinigung beschlossen. Die in der „Fachgruppe Strafrecht“ zusammengeschlossenen Strafrichter und Staatsanwälte, also die „Basis“, wollten sich jedoch eine eigene Meinung bilden und luden sowohl Strafverfolger als auch mich zu einem Vortrag zu der Streitfrage ein (Bericht von der Anhörung hier). Das Ergebnis:

Die grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber jeglicher verdachtsloser Vorratsdatenspeicherung wurde bestätigt. Es handele sich um einen „die gesamte Bevölkerung erfassenden Grundrechtseingriff“. Bereits nach bestehender Rechtslage (ohne Vorratsdatenspeicherung) gebe es effektive Möglichkeiten, Gefahren abzuwehren und Straftaten wirksam zu verfolgen, auch im Internet.

Aber: „Den Anbietern von Telekommunikations-Zugangsdiensten wird dabei abverlangt werden müssen, schnell – in Echtzeit – auf Anfragen reagieren zu können. Die Neue Richtervereinigung würde es begrüßen, wenn hierzu alsbald ein konkret ausformulierter Regelungsentwurf in die Diskussion gegeben wird.“ Für eine solche verdachtsabhängige Datensicherung während bestehender Internetverbindungen bin auch ich in meinem Vortrag eingetreten.

Eine zum Schutz vor Internetdelikten wohl weit wichtigere Forderung der Strafrichter und Staatsanwälte: „So sollten die PCs mit geeigneten datenschützenden Grundeinstellungen ausgestattet und die Hersteller bzw. Händler verpflichtet werden, die Anwender über Sicherheitsrisiken besser aufzuklären und bei IT-Sicherheitsproblemen in Hotlines zu unterstützen.“ Konkrete Vorschläge dazu finden sich hier.

Die Presse meldet unterdessen erfreulicherweise, die Bundesregierung wolle „vorerst“ auf eine Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung verzichten. Was dieses „vorerst“ bedeutet, liegt auf der Hand: Die FDP will aus wahltaktischen Gründen die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen abwarten, bevor sie den Vorschlag des Bundesjustizministeriums einer verdachtslosen Vorratsspeicherung aller Internetverbindungen Deutschlands weiter verfolgt. Es ist also nur ein kurzes Aufatmen angebracht – das aber haben sich alle verdient, die am Samstag an der Aktion „Nicht umfallen, FDP“ teilgenommen haben.

Blog-Beitrag von Patrick – Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.

Gestern waren auf Internetkriminalität spezialisierte Strafverfolger und ich zu Referaten über das Streitthema Vorratsdatenspeicherung eingeladen. Hier eine Aufzeichnung meines Referats und ein Bericht vom Referat der Strafverfolger.

Videoaufzeichnung meines Referats

Aus technischen Gründen ist die zweite Hälfte meines Referats nicht aufgezeichnet, jedoch kann man das Manuskript nachlesen und die Präsentation ansehen (odtpdf).

Referat der Strafverfolger

Die Strafverfolger haben in ihrem Referat für eine IP-Vorratsdatenspeicherung plädiert, weil die IP-Adresse bei vielen der von ihnen behandelten Straftaten der einzige Ermittlungsansatz sei. In der Präsentation gezeigt wurden unter anderem echte Darstellungen von Kindesmissbrauch, was natürlich eine entsprechend emotionale Wirkung auf die Teilnehmer hatte. Ungeachtet der wenig überraschenden Zielrichtung des Referats gab es doch etliche neue Erkenntnisse:

So stellte sich heraus, dass sich der E-Mail-Anbieter GMX nicht als Telekommunikationsdienst ansieht und die IP-Adresse seiner Nutzer ohne richterliche Anordnung herausgibt. GMX speichert 30 Tage lang die IP-Adresse, mit der sich jeder Nutzer zuletzt angemeldet hat. Weil nach der Anmeldung bei GMX neben E-Mail auch andere Dienste erreichbar sind, stellt sich GMX auf den Standpunkt, die genutzte IP-Adresse unterliege nicht dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses. Wer noch GMX für E-Mail nutzt, dem kann ich nur empfehlen, schleunigst den Anbieter zu wechseln (datensparsame Anbieter hier).

Weiter berichteten die Ermittler, dass sie mit Bestandsdatenabfragen „in aller Regel nicht weiter“ kommen, weil Straftäter bei der Registrierung regelmäßig falsche Daten angeben. Insbesondere der Identifizierungszwang bei Prepaidkarten sei weitgehend nutzlos. Auf die Frage einer Teilnehmerin, ob eine Verifikationspflicht der Anbieter sinnvoll wäre, erklärte der Ermittler, er halte dies nicht für sinnvollerweise machbar.

Die Ermittler bestätigten, dass Kabelanbieter Internetnutzern regelmäßig sog. „semipermanente“ IP-Adressen zuweisen, die monatelang unverändert bleiben. (Anm. d. Autors: Wer einen solchen Internetzugang nutzt, sollte einen Anonymisierungsdienst einsetzen oder auf DSL ausweichen, um sich vor irrtümlichen Ermittlungen aufgrund eines falschen Verdachts zu schützen.)

Zu der Frage des Nutzens von Vorratsdaten konnten die Ermittler einen einzigen Fall aus ihrer benennen, in dem im Jahr 2009 auf Vorrat gespeicherte IP-Adressen weiter geführt hätten: Im Zuge der Ermittlungen gegen ein Internetforum, in dem Kinderpornografie und Missbrauchsdarstellungen ausgetauscht wurden, seien 160 von 500 Teilnehmern identifiziert worden, meist über die IP-Adresse. Die übrigen Teilnehmer hatten wohl Anonymisierungsdienste wie TOR genutzt.

Auf meine Frage, welcher Anteil der Teilnehmer an solchen Tauschringen nach dem Ende der IP-Vorratsdatenspeicherung aufgeklärt werden kann, nannte der Ermittler ein aktuelles Verfahren, in dem (über einen Internet-Chat) ca. 150 von 500 Beteiligte über reale IP-Adressen hätten identifiziert werden können, und zwar über eine Echtzeitüberwachung des Chats. Man könne gegenwärtig also auch etwa ein Drittel der Teilnehmer identifizieren.

Auf meinen Einwand, dies spreche nicht gerade für die Wirksamkeit einer IP-Vorratsdatenspeicherung, entgegneten die Ermittler, bei Kleinverfahren wie Internetbetrug sei eine solche Echtzeitüberwachung zu aufwändig und eine Vorratsdatenspeicherung nötig. Dies bestätigt, dass es bei der IP-Vorratsdatenspeicherung um Kleinkriminalität und nicht um schwere Straftaten wie den Austausch von Missbrauchsdarstellungen geht.

Die Ermittler vertraten die Auffassung, sie könnten nicht selbst verdeckt in entsprechenden Tauschkreisen ermitteln, weil sie keine Straftaten begehen dürften. Tatsächlich ist es zur „Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten“ von Strafverfolgern aber legal, sich oder einem Dritten den Besitz von pornographischen Schriften zu verschaffen, die den sexuellen Mißbrauch von Kindern zum Gegenstand haben (§ 184 Abs. 6 StGB). Hier werden Ermittlungsmöglichkeiten bislang offenbar nicht ausgeschöpft.

Meinem Hinweis darauf, dass während einer bestehenden Internetverbindung der Anschlussinhaber auch ohne Vorratsdatenspeicherung zu ermitteln ist, hielten die Ermittler entgegen: Erstens seien Dorfpolizisten oder nicht spezialisierte Amtsanwälte nicht dazu ausgebildet, hinreichend schnell die erforderlichen Maßnahmen zu veranlassen. Zweitens sei bei den Internet-Zugangsanbietern abends meist nur noch die Putzfrau erreichbar. Drittens würden Straftäter oft über das Ausland operieren.

All diese Hindernisse sind aus meiner Sicht auch ohne flächendeckende verdachtslose Vorratsdatenspeicherung überwindbar, nämlich durch kompetente und erreichbare Zentralstellen bei den Ermittlern sowie erreichbare Internet-Zugangsanbieter. Es verblieb zuletzt das Argument, dies sei teurer als eine Vorratsdatenspeicherung. Ich bin sicher, dass die große Masse der Internetnutzer gerne bereit wäre, etwas mehr zu zahlen, damit ihr Anbieter eine Erreichbarkeit für Eilermittlungen gewährleisten kann, wenn dafür keine verdachtslose Totalprotokollierung aller ihrer Verbindungen erfolgt.

Spannenderweise teilte ein Ermittler mit, nach Inkrafttreten des letzten Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung sei eine „massenhafte Abwanderung zu Anbietern erfolgt, die nicht auf Vorrat speicherten“. Dies bestätigt unser Argument, dass im Fall einer IP-Vorratsdatenspeicherung eine eben solche Massenabwanderung zu ausländischen Anonymisierungsdiensten droht, die dann auch im Verdachtsfall nicht mehr überwachbar sind. Die Ermittler argumentierten, TOR sei für Videos zu langsam. Es gibt aber auch schnelle, kommerzielle Anonymisierungsdienste.

Die Ermittler kannten überraschenderweise alle Zahlen und Statistiken des AK Vorrat zur Vorratsdatenspeicherung. Sie hielten der Aussagekraft der amtlichen Kriminalstatistik aber entgegen, Polizeibeamte würden Bürgern teilweise Strafanzeigen ausreden, weil diese mangels Vorratsdatenspeicherung aussichtslos seien, und diese Fälle würden nicht in die Statistik eingehen. Ich habe darauf hingewiesen, dass diese Behauptung empirisch nicht untermauert ist und ein solches Vorgehen den Straftatbestand der Strafvereitelung im Amt erfüllen würde, was ich mir nicht vorstellen möchte.

Weiteres Gegenargument war, nicht zuzuordnende IP-Adressen würden von der Polizei nicht als Straftat registriert und gingen daher nicht in die Statistik ein. Auch dies belegt aber nicht, dass im Fall einer Vorratsdatenspeicherung mehr IP-Adressen zuzuordnen wären, gerade wenn man die „Massenabwanderung“ zu Anonymisierungsdiensten im Fall einer Vorratsdatenspeicherung berücksichtigt. Auch habe ich argumentiert, dass im Fall des beschriebenen Umgangs mit der Statistik ein Anstieg der registrierten Straftaten im Jahr 2009 (mehr zuzuordnende IP-Adressen) und ein Rückgang im Jahr 2010 (weniger zuzuordnende IP-Adressen) zu beobachten sein müsste, was aber nicht der Fall ist.

Die Ermittler beriefen sich zuletzt auf einen Umstand, der mir neu ist: Angeblich hätten die Internet-Zugangsanbieter die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts so angewandt, dass sie mithilfe von Vorratsdaten nur bei Verdacht schwerer Straftaten im Sinne des § 100a StPO (einschließlich des Austauschs von Kinderpornografie) IP-Adressen identifiziert hätten. Die IP-Vorratsdatenspeicherung sei so, wie sie nun geplant sei (zur Aufklärung auch von Kleinkriminalität), noch nie in Kraft gewesen.

Ich kann diese Information nicht überprüfen. Falls sie zutrifft, zeigt sie jedenfalls, dass eine IP-Vorratsdatenspeicherung zur Verfolgung schwerer Straftaten keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Aufklärung von Internetdelikten hatte. Die Vorratsdatenspeicherung u.a. von IP-Adressen soll ja laut EU-Richtlinie der Verfolgung schwerer Straftaten dienen. Schwere Straftat ist beispielsweise der Austausch von Kinderpornografie und Missbrauchsdarstellungen über das Internet. Verbreitung, Besitz und Verschaffung kinderpornografischer Darstellungen ist während und nach dem Ende der IP-Vorratsdatenspeicherung im Jahr 2009 aber massiv rückläufig (2008: 9.585 Fälle, 2009: 7.069 Fälle, 2010: 5.944 Fälle). Auch die Aufklärungsquote in diesem Bereich weist keinen „Knick“ während der Geltung des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung auf.

Letztlich waren wir uns wohl darin einig, dass nach dem bisherigen Kenntnisstand kein Beleg dafür existiert, dass eine Vorratsdatenspeicherung zu einer signifikant höheren Zahl aufgeklärter Straftaten oder verurteilter Straftäter führte. Wir wollen den Meinungsaustausch fortsetzen. Bei unseren Forderungen zur Verhütung von Internetdelikten beispielsweise gibt es große Übereinstimmung. Die Ermittler sagten, sie könnten fast jede Forderung unterschreiben.

Blog-Beitrag von Patrick. Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.

 Von einer Initiative des Arbeitskreises angeregt habe ich alle 620 Abgeordneten des Deutschen Bundestags mit einen Infozettel mit einer sachlichen Aufklärung über angebliche Pro- und tatsächliche Contra-Argumenten zur Vorratsdatenspeicherung darauf persönlich angeschrieben.

Ich appelliere an die Abgeordneten, in dieser von viel unsachlicher und zum Teil populistischer Stimmungsmache geprägten Zeit nicht den nüchternen Blick auf das zu verlieren, was eine Neueinführung irgendeiner Vorratsdatenspeicherung auch bedeuten würde: Das Einleiten eines tiefgreifenden rechtsstaatlichen Paradigmenwechsels mit schwerwiegenden Folgen für Gesellschaft, ohne Sinn, Verstand und Verhältnismäßigkeit. Und das Vor-den-Kopf-Stoßen vieler bürgerschaftlich und ehrenamtlich engagierter Menschen, die ihren Protest seit Jahren mit viel Geduld und Beharrlichkeit an die verantwortlichen Politiker heranzutragen versucht haben.

Ob der Appell was bringt … ?

Blog-Beitrag von Micha. – Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder. (Ausführlicherer Beitrag hier.)

+++ Entscheidung zur Identifizierung von Internetnutzern gegenüber Rechtsinhabern betrifft Vorratsdatenspeicherung nicht +++

Der Europäische Gerichtshof hat heute ein schwedisches Gesetz „im Prinzip“ abgesegnet, demzufolge ein Gericht anordnen kann, dass Internet-Zugangsanbieter mutmaßliche Rechtsverletzer gegenüber Rechteinhabern („Abmahnkanzleien“) namhaft zu machen haben, wenn ihnen die zur Auskunfterteilung erforderlichen Verbindungsdaten rechtmäßigerweise vorliegen.

Netzpolitik.org schließt daraus fälschlich, der Europäische Gerichtshof habe die Nutzung von Vorratsdaten für Abmahnungen erlaubt. Tatsächlich aber hat das Gericht ausdrücklich nur für Fälle entschieden, in denen die verwendeten Daten „in Übereinstimmung mit den nationalen Rechtsvorschriften unter Beachtung der in Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 festgelegten Voraussetzungen […] gespeichert worden sind“ (Abs. 37).

Nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 dürfen nationale Gesetze von der Pflicht zur Löschung von Verkehrsdaten mit Verbindungsende abweichen, sofern dies für die nationale Sicherheit sowie die Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten oder des unzulässigen Gebrauchs von elektronischen Kommunikationssystemen „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, angemessen und verhältnismäßig“ ist. Die Vorschrift lässt offen, ob eine gezielte Sicherung bestimmter Daten aus besonderem Anlass oder eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung aller Nutzer zugelassen wird. Auch der EuGH hat sich erneut nicht zur Frage der Notwendigkeit, Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit einer verdachtslosen, flächendeckenden Vorratsdatenspeicherung geäußert.

Nur unter der Voraussetzung also, dass ein Internet-Zugangsanbieter zulässigerweise Verkehrsdaten auf anderer Grundlage als der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung speichert, kann (nicht: muss) das nationale Recht richterliche Auskunftsanordnungen zugunsten von Rechteinhabern erlauben, so der EuGH. Ob auch die Verwendung von Vorratsdaten zugelassen werden darf, brauchte der EuGH nicht zu entscheiden, denn Schweden hatte die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung im maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht umgesetzt (inzwischen schon).

Der EuGH hat dem schwedischen Gericht aufgetragen, zu prüfen, ob die zur Auskunft heranzuziehenden Verkehrsdaten rechtmäßig auf anderer Grundlage als der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gespeichert waren (Abs. 37). Spannend an dieser Entscheidung ist die Frage, ob künftig auch deutsche Gerichte vor Auskunftsanordnungen prüfen müssen, ob die zur Auskunfterteilung erforderlichen Verkehrsdaten überhaupt legal gespeichert sind. Bisher findet eine solche Prüfung leider nur selten statt.

Ob Internet-Zugangsanbieter jede Internetverbindung und zugewiesene IP-Adresse ohne Anlass „vorsorglich“ protokollieren dürfen, ist hoch umstritten und noch nicht rechtskräftig entschieden. Unproblematisch ist die Zulässigkeit der Speicherung allerdings während der bestehenden Internetverbindung. Zusammen mit Speicheranordnungen im Verdachtsfall ermöglicht dies eine ausreichende Rechtsverfolgung auch ohne IP-Vorratsdatenspeicherung.

Dennoch will die FDP-Bundesjustizministerin künftig eine verdachtslose Vorratsspeicherung aller Internet-Verbindungsdaten vorschreiben. Eine Auskunfterteilung an private Rechteinhaber wäre nach ihrem Gesetzentwurf zwar nicht möglich. Die Rechteinhaber könnten aber Strafanzeige wegen Urheberrechtsverletzung stellen und dann die Ermittlungsakte mitsamt der eingeholten Auskunft über die Identität des mutmaßlichen Rechtsverletzers einsehen. Dadurch droht die geplante IP-Vorratsdatenspeicherung Massenabmahnungen zu begünstigen, die oft Unschuldige treffen (laut Verbraucherzentraleetwa Menschen, die weder Computer noch DSL-Router besitzen oder zum fraglichen Zeitpunkt nachweislich nicht im Netz waren).

Siehe auch:

Blog-Beitrag von Patrick – Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.