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Am 20. Dezember 2017 reichte das EDRI‐Mitglied Iuridicum Remedium (IuRe) beim Verfassungsgericht der Tschechischen Republik einen Antrag ein, die Gesetzgebung zur tschechischen Vorratsdatenspeicherung aufzuheben.

Dieser Antrag wurde in enger Zusammenarbeit mit der tschechischen Piratenpartei bewerkstelligt, deren 22 Abgeordnete erstmalig im Oktober 2017 zu Mitgliedern des Abgeordnetenhauses des Parlaments der Tschechischen Republik gewählt worden waren. Abgesehen von der tschechischen Piratenpartei fand der Antrag Unterstützung von Parlamentsabgeordneten fünf weiterer im Abgeordnetenhaus vertretener Parteien. Insgesamt kamen 58 Unterschriften zustande.

Die Vorlage konnte auch dank der Unterstützung von seiten des Digital Rights Fonds vorbereitet werden. Sie beruht auf einem ähnlich erfolgreichen Gesuch, welches IuRe im Jahr 2011 beim Verfassungsgericht der Tschechischen Republik eingereicht hatte. 2012 war dann ein neues Vorratdatenspeicherungssystem verabschiedet worden, welches die damals gültige EU‐Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umsetzte. Die aktuelle Vorlage zielt darauf ab, dieses neue Gesetz aufzuheben.

Insbesonders hinterfragt die Vorlage das Gesetz über die elektronische Kommunikation, das Polizeigesetz und die Strafprozeßordnung sowie jene Rechtsvorschriften, die definieren, welche Palette an Daten vorgehalten wird. Derzeit werden Verbindungsdaten und Positionsdaten für sechs Monate gespeichert. Abgesehen von Polizei und anderen Strafverfolgungsbehörden, können diese Daten von Geheimdiensten und sogar von der Tschechischen Nationalbank genutzt werden. Dem Tschechischen Telekommunikationsamt zufolge wurden allein im Jahre 2016 mehr als 470.000 Mobilfunkverbindungsdaten abgefragt.

Als Hauptroblem betrachtet die Beschwerde vor Gericht das Prinzip einer generellen und wahllosen Datenerhebung. Sie beruft sich auf zwei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) – die Fälle Digital Rights Ireland sowie Watson versus Tele2. In beiden Fällen wurde ebendiese Maßnahme abgewiesen. Die Vorlage verdeutlicht darüber hinaus, wie tschechische und deutsche Statistikdaten zeigen, daß das Fehlen einer Vorratsdatenspeicherung weder die Kriminalitätsrate steigere noch die Anzahl gelöster Kriminalfälle beeinflusse. Desgleichen enthält die Vorlage die Forderung, bestimmte Verfügungen des Polizeigesetzes aufzuheben, welche eine Datenanfrage ohne gerichtliche Anordnung gestatten. Des weiteren wird die Aufhebung einiger Bestimmungen der Strafprozeßordnung gefordert, die die Möglichkeit zur Datenerhebung nicht ausdrücklich und alleinig auf Kapitalverbrechen begrenzen.

Gestützt auf IuRes Erfahrungen aus dem Jahr 2011 kann mit einer Entscheidung des Verfassungsgerichts der Tschechischen Republik in ungefähr einem Jahr gerechnet werden.

IuRe und die Piratenpartei reichen beim Verassungsgericht Beschwerde gegen eine allgemeine Überwachung von Bürgern ein (nur in tschechischer Sprache, 20.12.2017):
http://www.iure.org/15/pirati-iure-podali-navrh-na-zruseni-plosneho-sledovani-obcanu-ustavnimu-soudu-cr

Tschechische Republik: Vorratsdatenspeicherung – fast wieder zurück im Geschäft (01.08.2012):
https://edri.org/edrigramnumber10-15czech-republic-new-data-retention-law/

Tschechisches Verfassungsgericht lehnt Gesetzgebung zur Vorratsdatenspeicherung ab (6.4.2011):
https://edri.org/edrigramnumber9-7czech-data-retention-decision/

Tschechisches Parlament – kurz vor Verabschiedung einer Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (4.6.2008):
https://edri.org/edrigramnumber6-11czech-data-retention/

Start des Europäischen Digital Rights Fonds (8.2.2017):
https://edri.org/european-fund-for-digital-rights-launched/

(Unter Mitwirkung von Jan Vobořil, EDRI‐Mitglied Iuridicum Remedium – IuRe, Tschechische Republik)

Quelle

Übertragung aus dem Englischen von Tariq Habib Guddat, 19.3.2018