Archives

All posts for the month April, 2013

Europe_Boardman_Robinson-mod

Der vor kurzem von „Facebook“ präsentierte „Leitfaden für Politiker und Amtsträger – Facebook erfolgreich nutzen“ ist ein bemerkenswerter Meilenstein in der Geschichte des Verhältnisses zwischen diesem Unternehmen und der Gesellschaft.

Es gibt die erste Kritik und offene Briefe an die vier „Netzpolitiker“, die in dieser 22seitigen Broschüre für den Konzern Werbung machen, heute veröffentlichte zudem das ULD eine Pressemitteilung, in der es die Verwendung eines Bildes von Thilo Weichert in einem verstellenden Zusammenhang beklagt und auf zum Teil unrichtige Darstellungen der facebookschen Datenschutzpolitik verweist.

Hier noch ein weiter Baustein zur sich anbahnenden Debatte – ein Blick auf das Bild von einer demokratisch organisierten Gesellschaft, das der Konzern in diesem Dokument mehr oder minder offen transportiert oder transportieren möchte.

Vorab die Frage, warum es Facebook gefällt, für die Gruppe von „Politiker und Amtsträger“ einen eigenen Ratgeber zu entwerfen und zu veröffentlichen. Gibt es etwa vergleichbare „Leitfäden“ für „Menschen mit geringem Einkommen“, für „Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen“ oder einen eigenen Leitfaden für „Freunde der Privatsphäre“? Wenn nein – warum wird die „Politiker-Kaste“ bevorzugt hofiert?

Der Leitfaden erscheint an manchen Stellen eher wie eine abzuarbeitende Liste von Befehlen und strotzt nur so vor Imperativen. Alleine auf Seite 10 des Heftchens gibt es neun davon und es zeugt nicht von besonders viel Freiheit, wenn z.B. geraten wird: „Bauen Sie (…), rufen Sie (…), definieren Sie (…), veröffentlichen Sie (…), seien Sie (…), nehmen Sie (…), zeigen Sie (…), binden Sie (…), bieten Sie (…), feiern Sie (…), schaffen Sie (…), planen Sie (…), posten Sie (…), optimieren Sie (…), laden Sie (…), arbeiten Sie (…), werben Sie (…)“ usw. usf.

Interessanter ist aber, zu welchem Verhalten Facebook die Politiker (und Politikerinnen!) anzuleiten gedenkt.

Der Politiker und das Publikum

Schon auf der Titelseite ist die Rede vom „Publikum“, dem sich die Politiker gegenüber stehen sehen (sollen). Der Begriff taucht auch innerhalb des Leitfadens weitere zehn mal auf: Der Politiker solle „dauerhafte Verbindungen zu seinem Publikum aufbauen“, er soll das Publikum „erreichen“, „einbinden“, „einladen“ und „erweitern“. Und dann, auf Seite 5: „Ihr Publikum wartet.“

Was bedeutet das für die Stellung des Politikers? Der Politiker als Unterhalter, als Schauspieler oder als Zauberkünstler, der sein Publikum in den Bann zu ziehen hat, damit es bloß nicht wegläuft oder – schlimmer noch – zu weiteren Veranstaltungen und Aufführungen nicht wiederkommt? Handelt es sich bei der von gewählten Volksvertretern verrichteten politischen Arbeit um Theater, Drama oder um einen Zirkus? Eine Schmierenkomödie?

Der Politiker und die Performance

Die vorletzte Seite gibt einen weiteren Hinweis darauf, wie Facebook die Arbeit von „Politikern und Amtsträgern“ versteht:

„Um zu vergleichen, wie andere Politiker und Amtsträger Facebook für ihre Kommunikation einsetzen, empfehlen wir einen Blick auf das Social-Media-Analyse- und Benchmarking-Portal Pluragraph.de. (…) Pluragraph ermöglicht z.B. mit wenigen Klicks die Anzeige aller Facebook-Fanseiten der Bundestagsabgeordneten. Anhand der Fananzahl werden diese übersichtlich dargestellt. Mit Klick auf das jeweilige Profil erhält man die Entwicklung der   Fanzahlen in Wachstumskurven angezeigt: Auf Basis dieser Graphen kann man tagesaktuell das Wachstum der Profile verfolgen und sehen, welche Politiker erfolgreich Fans hinzugewinnen. Dies ermöglicht dann weitere Recherchen auf den jeweiligen Facebook-Seiten, um sich konkrete Best Practice-Beispiele für den Dialog mit seinem Publikum abzuschauen.“

Politiker sollen also – im Rahmen der facebookschen Auffassung von Volksvertretung – ständig einen schielenden Blick auf die politische Parteikonkurrenz werfen, sich von den dort „erfolgreichen“ Politikergrößen „Best-Practice“-Methoden „abschauen“ (so wie früher in Schule, Ausbildung und Uni?) und (Seite 4 des Leitfadens) ihre „Performance anhand von Statistiken bewerten und optimieren“?

Der Politiker und die Populär-Demokratie

Politische Arbeit hat nichts mit „Leistung“ zu tun die „mit Statistiken optimiert“ werden muss oder kann. Politiker (egal welcher Partei) zeichnen sich m.E. nicht dadurch aus, dass Sie Ihr Tun und Lassen am Maßstab der Popularität ausrichten.

Ein politisch aktiver Mensch hat eine Überzeugung aus der heraus er sich verhält. Diese mag sich in ihren Facetten ändern, wenn der Mensch für Eindrücke und Erfahrungen offen ist, diese reflektiert und Denkprozesse durchläuft. Und doch durchzieht eine Erzählung, einen erkennbarer Strang das Handeln und Wirken.. Falls sich dieser Mensch in einer Partei engagiert, kann man ihn wählen. Aber eben wegen seines Wesens, aus dem heraus er handelt. Und nicht, weil er sich so verhält, um möglichst vielen anderen darin zu gefallen.

Um so tragischer, dass sich vier gewählte Volksvertreter von CDU, SPD, FDP und Grünen so explizit vor diesen Karren der Populär-Demokratie haben spannen lassen.

 

Weitere Informationen

 

Bild: Eigene Bearbeitung von „Europe 1916“ von Boardman Robinson, public domain, Bearbeitung unter CC-BY-SA

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung von Micha wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

remotewarsclip

Die hannoversche Gruppe des AK Vorrat ist Teil der so genannten „Drohnen-Kampagne“, die sich gegen Drohnentechnologie zur Kriegsführung, Überwachung und Unterdrückung ausspricht und einsetzt.

In einer heute veröffentlichten Pressemitteilung weist das inzwischen auf 120 Unterstützergruppen angewachsene Bündnis auf die nicht-öffentlichen Vorentscheidungen zur Anschaffung von Kampfdrohnen oder einer entsprechenden Nachrüstung von bereits vorhandenen Überwachungsdrohnen für die ‚Bundeswehr‘ hin.

Bislang wird der Appell von vier Parteien auf Bundesvorstands-Ebene unterstützt.

 

Pressemitteilung 2/2013 der Drohnen-Kampagne
17. April 2013

Stoppt die klammheimliche Entscheidung zu Bundeswehr-Kampfdrohnen!

Drohnen-Kampagne wird von mehreren Parteien unterstützt

Das aus zahlreichen Gruppen und Einzelpersonen bestehende Bündnis der Drohnen-Kampagne weist deutlich darauf hin, dass bereits jetzt und unter Ausschluß der Öffentlichkeit wichtige Fakten hinsichtlich der Anschaffung von Kampfdrohnen für die Bundeswehr geschaffen werden. Darüber hinaus teilt das Bündnis mit, dass der Appell „Keine Kampfdrohnen“ nun von mehreren Parteien auf Bundesvorstands-Ebene unterstützt wird.

Während die Vertreter der derzeitigen Bundesregierung immer wieder betonen, dass die Entscheidung zur Anschaffung von Kampfdrohnen für die Bundeswehr angeblich erst nach der Bundestagswahl gefällt würde, werden hinter den Kulissen bereits seit Monaten Fakten geschaffen.

Die Bundeswehr verhandelt bereits mit dem israelischen Drohnenhersteller IAI und das Verteidigungsministerium will noch in diesem Sommer die Anschaffung bewaffneter Drohnen beschließen. Vor allem werden jetzt schon hinter verschlossenen Türen die Arbeiten für eine internationale Ausschreibung von Kampfdrohnen vorangetrieben, die einer Beschlussfassung des Deutschen Bundestags vorauszugehen hat. Weitere Berichte belegen das starke Interesse und Engagement der Bundesregierung zur Einführung von Kampf- und Kamikazedrohnen.

Dieses alles widerspricht der medienwirksam verbreiteten Darstellung, man wolle zunächst eine öffentliche und ergebnisoffene Debatte abwarten, bevor man über bewaffnete Drohnen im Dienste des deutschen Militärs entscheide.
Das bundesweite Bündnis der Drohnen-Kampagne fordert die sofortige Einstellung aller Vorbereitungen zur Anschaffung von Kampfdrohnen für die Bundeswehr.

Das Bündnis hatte am 24. März einen Appell gegen die Anschaffung von Kampfdrohnen für die Bundeswehr veröffentlicht, der inzwischen von 120 Organisationen, Verbänden, Gruppen und Initiativen aus der Friedens- und Bürgerrechtsbewegung, aus Kirche und Gewerkschaften mitgetragen wird.

Dem Appell haben sich jetzt auch vier Parteien angeschlossen: „Die Linke“, „Bündnis 90/Die Grünen“, die „Piraten“ und die „DKP“ unterstützen ab sofort den Appell „Keine Kampfdrohnen“ auf Bundesvorstands-Ebene. Damit dürfte der Versuch der Bundesregierung, dieses wichtige Thema aus dem Bundeswahlkampf herauszuhalten, endgültig gescheitert sein.

Das Bündnis der Drohnen-Kampagne informiert auf seinen Seiten unter www.drohnen-kampagne.de über Hintergründe zum Thema Überwachungs- und Kampfdrohnen und  ermöglicht es einzelnen Personen wie Gruppen, den Appell „Keine  Kampfdrohnen!“ online wie offline zu zeichnen und damit zu unterstützen.

 

Weitere Informationen

 

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung von Micha wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

Die Ortsgruppe Berlin des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ist Teil des Berliner Bündnis für Versammlungsfreiheit, welches sich gegen die geplante anlasslose Videobeobachtung von Demonstrationen formiert hat. In diesem Zusammenhang möchten wir hier folgende Pressemitteilung des Bündnis zum aktuellen Änderungsvorschlag der Regierungskoalition dokumentieren:

Berliner Bündnis für Versammlungsfreiheit: Gesetzentwurf zu Übersichtsaufnahmen bleibt versammlungsfeindlich

Das Berliner Bündnis für Versammlungsfreiheit lehnt das Gesetz zur Ermöglichung von sogenannten Übersichtsaufnahmen bei Versammlungen auch mit den von der Koalition vorgeschlagenen Änderungen ab.

Der am Freitag (12.4.2013) dem Innenausschuss vorgelegte Änderungsantrag von SPD und CDU beinhaltet lediglich kosmetische Änderungen und soll bereits am kommenden Montag dort beschlossen werden; eine gründliche und sachliche Analyse wird so abgeschnitten.

An der Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit durch die anlasslose Kameraüberwachung ändert sich auch durch den geänderten Gesetzesvorschlag nichts. Es bleibt bei dem Grundsatz, dass jede Demonstration allein deshalb gefilmt werden darf, weil sich an ihr eine Vielzahl von Menschen beteiligt. Dies stellt das Grundrecht gleichsam auf den Kopf, wenn gerade eine hohe Mobilisierung zur Begründung einer anlasslosen Videoüberwachung dienen soll.

Die Festlegung auf eine offene Durchführung der Videoüberwachung geht an den Realitäten vorbei, weil zum Beispiel Videokameras auf Hausdächern, im Hubschrauber oder bei Verwendung von Drohnen nicht erkennbar sind.

Die in dem Änderungsantrag vorgesehene Verpflichtung zur Bekanntgabe eines Kameraeinsatzes an die Versammlungsleitung bleibt weit hinter dem zurück, was die Rechtsprechung bei anderen Maßnahmen der Videoüberwachung fordert. Danach muss jedem von einer Videoüberwachung Betroffenen mitgeteilt werden, dass gefilmt wird.
Im Bereich der Versammlungsfreiheit ist diese Maßnahme indes grundsätzlich ein massiver Eingriff in dieses grundrechtlich geschützte Recht, das nicht durch eine bloße Mitteilung an den Versammlungsleiter ausgehebelt werden kann, zumal dieser nicht als „verlängerter Arm der Polizei“ deren Maßnahmen an die Versammlungsleiter kommunizieren muss. Hinzu kommt, dass nicht wenige Versammlungen keinen Versammlungsleiter haben.

Das vorgeschlagene Verbot, die Bilder zur Identifikation von Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmern zu nutzen, ist wirkungslos. Es kann weder kontrolliert werden noch ist es technisch umsetzbar. Das Bundesverfassungsgericht und das Verwaltungsgericht Berlin haben festgestellt, dass beim heutigen Stand der Technik eine Individualisierung stets möglich ist. Bereits der Begriff der Übersichtsaufnahme ist daher irreführend. Aus diesem Grund wurde der Begriff „Übersichtsaufnahme“ am letzten Freitag (12.4.) mit dem Big Brother Award in der Kategorie „Neusprech“ ausgezeichnet.

Der Einschüchterungseffekt durch die Präsenz von Kameras bleibt in jedem Falle erhalten. Das Gesetz ist deshalb auch mit den Änderungen im Ergebnis ein Versammlungsverhinderungsgesetz, das den hohen Rang der durch Art. 8 GG geschützten Versammlungsfreiheit in verfassungsrechtlich nicht akzeptabler Weise verkennt.

Für Nachfragen: Anja Heinrich (Humanistische Union): 030 / 204 2504

Dokumente: Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU zum Gesetzentwurf über Übersichtsaufnahmen zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen

Morgen soll der verfehlte Änderungsantrag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses beraten und vermutlich dann auch direkt beschlossen werden. Die Ignoranz der Regierungskoalition gegenüber einem gesellschaftlichen Diskurs zu diesem Thema, hatte sich zuletzt bei einer Podiumsdiskussion des Bündnis gezeigt: Kein*e Regierungsvertreter*in konnte oder wollte daran teilnehmen. Das Gesetz ist daher auch Ausdruck einer obrigkeitsstaatlichen Überwachungskultur, die der Effizienz von Polizeieinsätzen sämtliche Grund- und Freiheitsrechte unterordnet.

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung von V. wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

Passend zum Medienhype rund um den angeblichen versuchten Terroranschlag am Bonner Hauptbahnhof (siehe hier und hier) wurde Ende 2012 eine Umfrage von infratest dimap öffentlich, wonach sich 81% der Befragten für eine Ausweitung von Videoüberwachung ausgesprochen haben.

Ob es sich bei der angeblichen Bombe tatsächlich um einen Anschlagsversuch handelt ist genau so unklar wie die Frage, ob die bei dieser Umfrage antelefonierten Bürger überhaupt umfänglich Bescheid wussten, wozu sie da mal eben um Meinung gefragt wurden.

Sicher ist dagegen, dass sich die kernige Überschrift des Stern-Artikels  „Umfrage: Deutsche wünschen sich mehr Videoüberwachung“ als Marker im kollektiven Unterbewußtsein eingraben hat: „Ach ja – da gab’s doch mal diese Umfrage, wonach sowieso schon alle für Überwachung sind. Na dann …“

Die britische Bürgerrechtsbewegung NoCCTV, die sich seit Jahren engagiert und kompetent gegen Videoüberwachung in Großbritannien einsetzt, hat vor etwa einem Monat einen lesenswerten Beitrag dazu geliefert, wie Politiker gezielt den Eindruck zu erwecken und einzuschleifen versuchen, als seien Überwachungsmaßnahmen inzwischen mehrheitlich akzeptiert und willkommen.

Anhand einer ausführlichen historischen und sachbezogenen Analyse zeigen die britischen Aktivisten, dass es sich dabei jedoch nur um einen Anschein handelt, den immer wieder zu erwecken und damit eine Scheinwirklichkeit zu erschaffen das Ziel des einen oder der anderen Überwachungsbefürworter sein dürfte.

Der ausführliche Text liegt nun in einer deutschen Übersetzung mit einer thematischen Einführung für „deutsche“ Leser*innen vor (hier als Webseite und hier als pdf-Dokument) – zur Anregung möchte ich einen darin enthaltenen Ausschnitt bezüglich eines Textes des Medienwissenschaftlers Neil Postman zitieren:

Neil Postmann, der Autor des Buches “Das Technopol”, hat sechs Fragen vorgeschlagen, die dem besseren Verständnis dafür dienen können, in welcher Art und Weise eine Technologie Einfluss über Gesellschaften ausübt. Solche Fragen sollten der Ausgangspunkt für jede Diskussion über Überwachungstechnologien sein:

1.) Was ist das Problem, für das diese Technologie die Lösung ist?

2.) Wessen Problem ist es?

3.) Welche neuen Probleme können bei der Lösung des Ausgangsproblems entstehen?

4.) Welche Menschen und welche Einrichtungen leiden durch die neue Technologie am stärksten?

5.) Welche Änderungen des Sprachgebrauchs wird durch diese Technologie erzwungen?

6.) Welche Menschengruppen und Einrichtungen profitieren durch die Einführung dieser neuen Technologie in ökonomischer oder politischer Hinsicht am allermeisten?

(Aus: Neil Postman, „Building a Bridge to the 18th Century“, 1999, Seite 42)

Das in dem Artikel erwähnte Buch „Das Technopol“ empfehle ich ebenso wie den Artikel selber zum Lesen.

Und weil dieser Beitrag mit dem Verweis auf eine Meinungsumfrage begonnen hat, hier nun ein Auszug aus ebendiesen Buch, in dem Neil Postman das Einholen und Vorführen von Meinungsumfragen im Rahmen seiner Terminologie als „unsichtbare Technologie“ bezeichnet und u.a. wie folgt dazu ausführt:

Man könnte nun argumentieren, die Erforschung der öffentlichen Meinung stelle die Demokratie auf eine vernünftige, wissenschaftliche Basis. Wenn unsere Politiker uns repräsentieren sollen, dann brauchen sie schließlich Informationen darüber, was wir »glauben« oder »denken«. Doch die Probleme liegen anderswo, und es sind ihrer wenigstens vier.

Das erste betrifft die Form der Fragen, die dem Publikum gestellt werden. Ich erinnere den Leser an das Problem, ob es zulässig sei, gleichzeitig zu rauchen und zu beten. Oder, um ein realistischeres Beispiel zu nehmen: Wenn wir Menschen die Frage stellen, ob sie es für akzeptabel halten, daß die Umwelt weiter verschmutzt werde, erhalten wir höchstwahrscheinlich ganz andere Antworten als auf die Frage: Sind Sie der Meinung, daß dem Umweltschutz vorrangige Bedeutung zukommt? Oder: Halten Sie die Sicherheit auf den Straßen für wichtiger als den Umweltschutz? Die »Meinung« der Öffentlichkeit dürfte in bezug auf die allermeisten Probleme ganz und gar abhängig sein von der Art, wie die Frage gestellt wird. (…)

Die Fragen, die Meinungsforscher stellen, zielen normalerweise auf eine Ja- oder Nein-Antwort. Muß man noch darauf hinweisen, daß in solchen Antworten kein allzu großer Spielraum für die sogenannte »öffentliche Meinung« bleibt? Wenn Sie zum Beispiel auf die Frage »Glauben Sie, das Drogenproblem lasse sich durch staatliche Programme eindämmen?« mit »Nein« antworten, dann wäre über Ihre Meinung wenig Interessantes oder Wertvolles zutage gekommen. Würde man es Ihnen aber ermöglichen, ausführlicher über diese Frage zu sprechen oder zu schreiben, so wäre der Einsatz der Statistik ausgeschlossen. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, daß die Verwendung der Statistik in der Meinungsforschung die Bedeutung des Begriffs »öffentliche Meinung« genauso dramatisch verändert, wie das Fernsehen die Bedeutung von »öffentlicher Debatte« verändert. Unter dem amerikanischen Technopol ist die öffentliche Meinung eine Ja- oder Nein-Antwort auf eine ungeprüfte Frage.

Zweitens: die Verfahren der Meinungsforschung propagieren die Vorstellung, eine Meinung sei ein Ding im Innern des Menschen, das durch die Fragen des Meinungsforschers lokalisiert und zutage gefördert werden könne. Aber es gibt dazu auch eine ganz andere Ansicht, und Jefferson gehörte zu denen, die sie vertraten. Eine Meinung ist kein momentanes Ding, sondern ein Denkvorgang, der durch den ständigen Erwerb von Wissen, durch ständiges Fragen, Diskutieren und Debattieren geformt wird. Eine Frage kann eine Antwort »nahelegen«, sie kann eine Antwort aber auch modifizieren und neu formen; es wäre eigentlich richtiger, zu sagen, daß Menschen Meinungen nicht einfach »haben«, sondern in einem ständigen Prozeß des »Meinens« oder der »Meinungsbildung« begriffen sind. Die Meinung als meßbares Ding aufzufassen, verfälscht den Prozeß, in dem sich die Menschen ihre Meinung tatsächlich bilden, und dieser Prozeß steht in engster Beziehung zu dem, was den Kern einer demokratischen Gesellschaft ausmacht. Die Meinungsforschung sagt uns hierüber nichts und neigt dazu, diesen Vorgang unserem Blick zu entziehen.

Womit wir beim dritten Punkt wären. Meinungsumfragen ignorieren in der Regel, was die Menschen über die Themen, zu denen sie befragt werden, eigentlich wissen. In einer Kultur, die nicht von dem zwanghaften Bedürfnis besessen ist, alles zu messen und Rangfolgen herzustellen, würde eine solche Blindstelle wahrscheinlich höchst sonderbar erscheinen. Aber überlegen wir doch einmal, was wir von Meinungsumfragen halten würden, wenn stets zwei Fragen gestellt würden, eine, die ermittelt, was die Menschen »meinen«, und eine, die ermittelt, was sie über das jeweilige Thema »wissen«. Unter Verwendung von ein paar fiktiven Zahlen könnte dabei etwa folgendes herauskommen: »Die jüngste Umfrage ergibt, daß 72 Prozent der Amerikaner der Meinung sind, wir sollten Nicaragua die Wirtschaftshilfe entziehen. Von denen, die diese Meinung vertraten, glaubten 28 Prozent, Nicaragua liege in Mittelasien, 18 Prozent glaubten, es sei eine Insel in der Nähe von Neuseeland, und 27,4 Prozent vertraten die Ansicht, >die Afrikaner sollen selbst sehen, wie sie zurechtkommen<, wobei sie offensichtlich Nicaragua mit Nigeria verwechselten. Darüber hinaus wußten 61,8 Prozent der Befragten nicht, daß Amerika überhaupt Wirtschaftshilfe für Nicaragua bereitstellt, und 23 Prozent wußten nicht, was >Wirtschaftshilfe< bedeutet.« Wären Meinungsforscher bereit, uns solche Informationen mitzuliefern, so würden das Ansehen und der Einfluß der Meinungsforschung darunter gewiß erheblich leiden. Vielleicht würden angesichts von derart geballter Unwissenheit sogar Kongreßabgeordnete dem eigenen Verstand wieder mehr trauen.

Das vierte Problem im Zusammenhang mit der Meinungsforschung besteht darin, daß sie zu einer Verschiebung der Verantwortung zwischen den Politikern und ihren Wählern führt. Gewiß sollen Kongreßabgeordnete die Interessen ihrer Wähler so gut wie eben möglich verfechten. Aber ebenso gewiß ist, daß Kongreßabgeordnete ihre eigene Urteilskraft nutzen sollen, um herauszufinden, worin diese Interessen bestehen. Hierzu müssen sie sich an ihre eigenen Erfahrungen und ihr eigenes Wissen halten. Vor dem Aufkommen der Meinungsforschung wurden Politiker, denen die Meinungen ihrer Wähler auch damals nicht gleichgültig waren, im wesentlichen nach ihrer Fähigkeit beurteilt, Entscheidungen auf der Grundlage dessen zu treffen, was ihnen an Weisheit zur Verfügung stand; mit anderen Worten, diese Politiker waren verantwortlich für ihre Entscheidungen. Mit der Verfeinerung und Ausweitung der Meinungsumfragen geraten sie immer mehr unter den Druck, auf eigenverantwortliche Entscheidungen zu verzichten und sich statt dessen den Meinungen ihrer Wähler zu fügen, gleichgültig, wie uninformiert oder kurzsichtig diese Meinungen sind.

(Aus: Neil Postman, „Das Technopol“, 1991, Seiten 144-147)

 

Weitere Informationen

 

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung von Micha wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

Ich habe die juristische Stellungnahme zum Gesetz zur Bestandsdatenauskunft nun aktualisiert. Sie berücksichtigt auch die vom Bundestag noch vorgenommenen Änderungen. Es bleibt dabei:

In mehreren Punkten halten wir das Gesetz für klar verfassungswidrig:

  1. Es fehlt bereits die verfassungsrechtlich gebotene abschließende Bestimmung, welche Vorschriften einen Zugriff auf Kommunikationsdaten erlauben sollen (einfachgesetzliches Zitiergebot).
  2. Entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sollen Zugriffe auf Kommunikationsdaten durch Polizeibehörden nicht beschränkt werden auf Fälle konkreter Gefahr oder des Verdachts einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat.
  3. Entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts soll die Identifizierung von Internetnutzern zur Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nicht auf „besonders gewichtige Ordnungswidrigkeiten“ beschränkt werden. Entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts soll die Identifizierung von Internetnutzern durch Geheimdienste keine tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer konkreten Gefahr voraussetzen.
  4. Es ist unklar und nicht kontrollierbar, unter welchen Voraussetzungen Anbieter Zugangssicherungscodes wie Mailbox-PINs oder E-Mail-Passwörter an Staatsbehörden herausgeben dürfen. Es fehlt an einer eindeutigen und normenklaren gesetzlich Regelung, unter welchen Voraussetzungen Zugangssicherungscodes erhoben und genutzt werden dürfen.
  5. Der Bund will Anbietern verbieten, ihre Kunden von Datenabfragen zu benachrichtigen, selbst wo die Länder Stillschweigen nicht anordnen (z.B. bei Suizidgefahr oder Vermissten). Dazu fehlt ihm die Gesetzgebungskompetenz.
  6. Den Datenzugriff durch eine elektronische Schnittstelle weiter zu erleichtern, ist unverhältnismäßig und verfassungswidrig.

Unsere Position ist: Der Staat darf auf Kommunikationsdaten allenfalls mit richterlicher Anordnung und zur Aufklärung schwerer Straftaten oder zur Abwehr von Gefahren für wichtige Rechtsgüter zugreifen. Einen Zugriff durch Geheimdienste lehnen wir in jedem Fall ab, ebenso wie die Herausgabe von Zugriffscodes wie PINs und Passwörtern.

Stellungnahme im Volltext lesen…

Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors Patrick Breyer wieder und ist keine Stellungnahme des AK Vorrat.