Archives

All posts for the month Januar, 2013

Bonn, Protest gegen § 218

Mit der Occupy-Bewegung, aCAMPada, den Flüchtlings-Protesten und in anderen Zusammenhängen haben Menschen in diesem Land ihr Grundrecht auf Versammlung und Meinungsfreiheit wahrgenommen und die Idee einer Dauermahnwache neu belebt. Viele dieser Demonstrationen wurden polizeilich in umstrittener Weise geräumt (Beispiel Occupy Frankfurt), zum Teil unter Anwendung von erheblicher Gewalt (Beispiel aCAMPada Berlin).

Freedom_FastDie Versammlungsfreiheit ist ein Grund- und Menschenrecht. Eine Zersplitterung und die zunehmende Beschneidung dieses einzigen auf gemeinschaftlichem Handeln und Agieren beruhenden Grundrechts hat mit der Föderalismusreform 2006 eingesetzt. Denn mit dieser Reform wurde den Bundesländern das Recht auf ländereigene Versammlungsgesetze eingeräumt und Deutschland wird seitdem zunehmend zum Flickenteppich unterschiedlicher, komplexer und zumeist behördenorientierter und -freundlicher Länder-Versammlungsgesetze.

Umso mehr ein Grund dafür, das Verständnis von Bedeutung und Wesen der Versammlungsfreiheit vom Grunde auf neu zu überdenken und aufzufrischen.

Grundlage ist der mit Leben zu erfüllende Artikel 8 GG Absatz 1:

„Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“

Peace_camp,_St_Margaret_Street_-_DSC08112Ist damit nicht alles gesagt? Sind Versammlungsgesetze, wie sie der zweite Absatz des Artikel 8 erlaubt, überhaupt notwendig?

Die bisherigen zur Versammlungsfreiheit ergangenen Rechtsprechungen, die nach wie vor und abseits aller Gesetzgebungen Gültigkeit besitzen, sind nur in wenigen anderen Fällen so klar und belebend wie der Brokdorf-Beschluß vom 14. Mai 1985.

Darin heißt es unter anderem:

„[Versammlungen bieten] die Möglichkeit zur öffentlichen Einflussnahme auf den politischen Prozeß, zur Entwicklung pluralistischer Initiativen und Alternativen oder auch zu Kritik und Protest …; sie enthalten ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren.“

Und an anderer Stelle:

„[Der Schutz von Versammlungen] umfaßt vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen. Es gehören auch solche mit Demonstrationscharakter dazu, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird.“

Gyurcsány_-_Hunger_Strike_for_the_Free_Elections-2Mahnwachen und Protestcamps sind genau solche zu schützende Versammlungen, bei denen Menschen in persona durch ihre andauernde Anwesenheit mahnen, hinweisen, aufrütteln wollen. Sie nehmen ihr über Jahrhunderte erstrittene Recht auf Teilnahme am politischen Meinungsbildungsprozess wahr, zu der ihnen z.B. mangels Geld, Macht, Einfluß und Wortgewandtheit keine oder kaum eine andere Möglichkeit als die eines wirksamen und Aufmerksamkeit erregenden Protestes bleibt.

Einigen (oder vielen?) Polizei- und Versammlungsbehörden sind diese Mahnwachen ein Dorn im Auge. Aus der Sicht der „Ordnungshüter“ durchaus nachvollziehbar: Ursprünglich-ungebändigter Protest, der sich nicht nach starren Gesetzen oder normierenden Vorschriften „behandeln“ oder kategorisieren lässt, ist aus der Sicht der Polizeikräfte nichts, was wünschenswert wäre. Es ist ein fraglos schwieriges Geschäft.

Doch damit muss die Polizei leben, sie muss es aushalten können und sie darf schwierige Einsatzlagen im Zusammenhang mit friedlichen Protesten nicht zu unerwünschten Ereignissen deklarieren oder gar diese zu bekämpfen versuchen.

Genau aber dahin scheint die Reise zu gehen …Tahrir_Square_-_Flickr_-_Al_Jazeera_English_(7)

Der Düsseldorfer Polizeipräsident spricht

In der aktuellen Ausgabe des monatlich erscheinenden „Behörden-Spiegels“ hat sich der Düsseldorfer Polizeipräsident Herbert Schenkelberg über sein Verhältnis zu Protestcamps und Mahnwachen geäußert.

Anlass ist der in Düsseldorf durchgeführte Protest im Rahmen der „Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migranten“ in 2012 gewesen. Das Polizeipräsidium Düsseldorf hatte strenge und einschränkende Auflagen zur Verwendung von Schlaf- und Ruhegelegenheiten gemacht, zunächst vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf dazu Recht bekommen, dann aber vom Oberverwaltungsgericht NRW zurechtgewiesen und korrigiert worden.

Herr Schenkelberg offenbart eine merkwürdige Einstellung gegenüber den Demonstrierenden, wenn er in dem (leider online nicht verfügbaren) Beitrag des „Behörden-Spiegels“ die Überzeugung vertritt, dass Protestcamps „naturgemäß“ Konflikte erzeugen würden. Dass „Beschwerden an den Oberbürgermeister oder den Polizeipräsidenten vorprogrammiert“ seien, scheint weiterhin von besonderer Bedeutung für den Autor zu sein.

Erfurt, Hungerstreik für Einsicht in Stasiakten„Nach ordnungspolitischen Maßstäben ließen sich diese Camps schnell beseitigen“ schreibt Herr Schenkelberg. Schließlich fehle die „erforderliche Sonderbenutzungserlaubnis“. Leider aber, so führt der „beseitigungs“-willige Behördenvertreter sinngemäß weiter aus, würden die in diesem Rahmen demonstrierenden Menschen der Meinung sein, dass sie eine Versammlung im Sinne der Versammlungsfreiheit darstellen würden und deswegen die „Privilegien des Versammlungsrechts für sich in Anspruch nehmen.“

Die Versammlungsfreiheit als missbräuchlich in Anspruch genommenes Privileg?

Der Polizeipräsident vertritt die außerdem Ansicht, dass auf einer Mahnwache nicht ausgeruht oder gar geschlafen werden dürfe:

„Mahnwache kommt von Wachen und nicht vom Schlafen.“

Und weiter in diesem kruden Interpretationsstil:

„Wer in den Schlaf hinübergleitet, verlässt gleichsam die Versammlung, nimmt also bis zum Erwachen nicht mehr an dieser Teil. Nimmt er jedoch nicht mehr an der Versammlung teil, so unterliegt er den Regelungen des allgemeinen Ordnungsrechts, das das Campieren auf öffentlichen Straßen und Plätzen ausdrücklich verbietet.“

800px-Armenian_Presidential_Elections_2008_Protest_Day_10_-_Opera_Square_-_tents_southeast_from_east_podiumDass ein Hungerstreik, eine Mahnwache, ein Protestcamp gerade erst durch den zum Teil aufopfernden und körperlich zehrenden persönlichen Einsatz der Demonstrierenden diejenige bedeutsame Ausdruckskraft erhält, die das Wesen dieses Protests ausmacht, das wird bei dieser Auffassung völlig verkannt und unter den Teppich gefegt.

Zum Schlafen und Duschen könne ein Mahnwachen-Teilnehmer ja „seine Wohnung aufsuchen“ und müsse deswegen nicht ununterbrochen an der Mahnwache teilnehmen, so der Polizeipräsident. Mit dieser Interpretation greift die Polizei allerdings tief in das Selbstbestimmungsrecht zur Ausgestaltung eines Protests ein und bricht die Kraft der selbstgewählten Form des Dauerprotests. Und angesichts der konkreten Umstände der Düsseldorfer Proteste, wo einige der Protestierenden gar keine „Wohnung zum Schlafen und Duschen“ besitzen, wirkt dieser Kommentar fast zynisch.

Eine höchst fragwProtest_encampment_in_Lewinsky's_garden._South_Tel_Aviv._Sep._2011ürdige Handlungsanweisung

Was darf sich die Polizei erlauben?

Herr Schenkelberg beendet seine Erläuterungen mit einer Aufforderung, die man aus meiner Sicht fast als Aufruf zum Brechen der Versammlungsfreiheit verstehen könnte:

„Die bisherige Rechtsprechung [zur Protestform der Dauermahnwache] vermag keine verlässliche Orientierung zu geben. Den sich damit bietenden Ermessungsspielraum sollten die Versammlungsbehörden nutzen.“

Ich finde das skandalös.

Wie weiter?

Versammlungsfreiheit muss immer wieder verteidigt, neue Formen der friedlichen und Versammlung spielerisch ausprobiert und durchgesetzt werden.

Die Versammlungsgesetzgebung muss von der immer weiter ausufernden Zersplitterung zu einer bundesweiten Einheit zurückgeführt werden.

Day_53Ausgehend von der ernst gemeinten Frage, ob überhaupt ein Versammlungsgesetz notwendig ist, gehört die dazugehörige Debatte in die breite Öffentlichkeit. Das heißt: Versammlungsfreiheit darf nicht mehr von Rechtsexperten und Behördenvertretern behandelt und festgelegt werden sondern muß ein Thema für jeden Menschen werden.

Gesetze zur Versammlungsfreiheit müssen – wenn überhaupt notwendig – in einfacher und verständlicher Sprache, klar, kompakt und übersichtlich gestaltet werden. Sie müssen sich vorrangig an den Bedürfnissen der Protestierenden und nicht an den Öffnungszeiten, Bearbeitungsprozessen und Wünschen der Behörden orientieren.

Etwaige neue Versammlungsgesetze müssen kürzer statt länger werden!

Versammlungsfreiheit definiert sich nicht über Versammlungsgesetze sondern aus dem Selbstbewusstsein und dem Mut aufgeklärter und zur kritischen Reflektion gewachsener Bürger, friedlich und gewalfrei, und gleichzeitig aktiv und engagiert handelnd.

„Das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewußten Bürgers.“ (Bundesverfassungsgericht, Brokdorf-Beschluß)

 

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung von Micha wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

Bilder und ihre Quellen (von oben nach unten):

– Protest in Bonn, April 1974: Bundesarchiv, B 145 Bild-F042511-0014 / Schaack, Lothar / CC-BY-SA
– Hungerstreik in Neu-Delhi, Indien, Juni 2012, CC-BY-SA Sandigonsalvis
– Protestcamp in Großbritannien, London, August 2010, CC-BY-SA Green Lane
– Hungerstreik-Camp in Ungarn, September 2012, CC-BY-SA Szilas
– Protestcamp auf dem Tahrir-Platz in Kairo, Ägypten, Januar 2011, CC-BY-SA Al Jazeera English
– Hungerstreik in Erfurt, März 1990, Bundesarchiv, Bild 183-1990-0331-035 / Ludwig, Jürgen / CC-BY-SA
– Protestcamp in Jerewan, Armenien,Februar 2008, public domain von Serouj
– Protestcamp in Tel Aviv, Israel, September 2011, CC-BY-SA Roi Boshi
– Hungerstreik-Camp in Washington, USA, September 2009, CC-BY-SA AgnosticPreachersKid

spd-oppositions-aussagen

Mit dem heutigen Donnerstag beginnen in Niedersachsen SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit den Koalitionsverhandlungen für eine gemeinsame Landesregierung, die voraussichtlich am 19. Februar 2013 ihre Arbeit aufnehmen soll.

Leider hatte sich die niedersächsische SPD als einzige gewählte Partei nicht dazu bereit erklärt, die zwölf Standpunktabfragen unserer Ortsgruppe in Hannover zu beantworten, so dass wir uns dazu entschlossen haben, die Sozialdemokraten anhand ihrer Aussagen in der Opposition der letzten fünf Jahre zu messen:

Dazu haben wir uns die 2.195 offiziellen Pressemitteilungen der niedersächsischen SPD seit der Landtagswahl 2008 vorgenommen und hinsichtlich innenpolitischer Aussagen zu den uns interessant erscheinenden Themen untersucht.

Herausgekommen ist ein insgesamt 15seitiges, aber dennoch sehr übersichtliches Dokument, in dem wir wesentliche Aussagen und Forderungen der niedersächsischen SPD während ihrer Oppositionszeit von 2008 bis 2013 belegen und für die Öffentlichkeit festhalten.

Mit der Veröffentlichung möchten wir die SPD genau daran erinnern und uns nicht auf das innenpolitisch eher weichgespülte SPD-Wahlprogramm verweisen lassen. Wir sind der Meinung, dass die SPD ihre Worte halten muss.

Die Dokumentation enthält Aussagen und Statements aus den vergangenen fünf Jahren zu folgenden Themengebieten:

  • Polizei
  • Justiz
  • Strafvollzug
  • „Sicherungsverwahrung“
  • Privatisierung / PPP
  • Verfassungsschutz/Geheimdienste
  • Online-Durchsuchung / Behörden-Computerwanzen („Staatstrojaner“)
  • Staatliche Überwachung
  • Terrorgefahr und -hysterie
  • Vorratsdatenspeicherung
  • Fußball und Fußball-Fankultur
  • Videoüberwachung
  • Datenschutz und Datenschutzbehörde
  • Versammlungsfreiheit
  • Transparenz und Bürgerbeteiligung
  • Umgang mit Menschen muslimischen Glaubens
  • „Netzpolitik“
  • Aufarbeitung von Vorgängen aus den letzten fünf Jahren

Wir hoffen damit, die uns am Herzen liegenden innenpolitischen Themen davor zu bewahren, zur degenerierten Verhandlungsmasse zwischen niedersächsischen „Grünen“ und „Sozialdemokraten“ werden zu lassen, denn innerhalb dieser haben diese Themen während des Wahlkampfs erschreckend wenig Beachtung und Betonung gefunden.

Uns erscheint die Gefahr groß, dass die beiden Parteien ihre Prestige-Themen betonen und vorantreiben werden – zu Ungunsten wichtiger innenpolitischer Standpunkte. Die Vorratsdatenspeicherung ist nur einer davon.

Weitere Informationen:

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung von Micha wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

Bild: eigenes Bild, CC-BY-SA

Bundesarchiv_Bild_183-H0812-0031-001_Werbung_RFT_Color_20_Fernseher-mod4

Seit Ende Oktober 2012 haben wir uns in der hannoverschen Ortsgruppe des AK Vorrat bemüht, von allen in Niedersachsen am kommenden Sonntag zur Wahl stehenden Parteien Stellungnahmen zu zwölf von uns zur Debatte gestellten Forderungen einzuholen.

Am letzten Freitag haben wir die Ergebnisse zusammengefasst und in Form eines übersichtlichen Dokuments veröffentlicht, die dazugehörige Pressemitteilung gibt es hier.

Man mag über die von uns vorgenommene Ampelbewertung vielleicht an wenigen einzelnen Stellen diskutieren können, was aber eklatant auffällt ist die Tatsache, dass sich die niedersächsische SPD einer Stellungnahme völlig verweigert. Und das, obwohl wir die SPD insgesamt drei mal über insgesamt vier verschiedene E-Mail-Adressen um Stellungnahme oder wenigstens Rückmeldung gebeten hatten. Auch die Pressemitteilung zur Veröffentlichung der Wahlprüfsteine ging per E-Mail an wenigstens eine Person in der SPD – ebenfalls ohne irgendeine Reaktion bis heute. An eine organisatorische Panne noch zu glauben fällt schwer …

Das darf aber auf keinen Fall darüber hinwegtäuschen, dass sich die niedersächsische CDU bei zwölf Sachfragen auch zwölf rote Ampeln eingefangen hat – wen wundert’s? Fast lustig ist die Rückmeldung dieser Partei auf die Frage, ob sie nicht endlich die Ausschuss-Sitzungen des Landtags den interessierten Bürgern öffnen will. Dazu schreibt die CDU nämlich:

„Die CDU will die Transparenz der parlamentarischen Arbeit (…) u.a. durch ein eigenes Landtagsfernsehen nachhaltig stärken.“

Und es soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass die FDP in Niedersachsen mit ihren Äußerungen zu unseren Thesen zwar gar nicht soo übel da steht, dass dabei aber nicht vergessen werden darf, dass das Handeln der von der FDP mitgetragenen Landesregierung in den letzten Jahren in vielen konkreten Punkten diametral dem gegenüber steht, wofür die FDP sich nun angeblich einzusetzen verspricht.

Weitere Informationen:

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung von Micha wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

Bild: Bearbeitung des Bildes “Werbung, RFT Color 20, Fernseher”, Bundesarchiv, Bild 183-H0812-0031-001 (CC-BY-SA) unter Einbeziehung von aktueller Wahlwerbung, wie sie derzeit hier im öffentlichen Raum Hannovers vielfach zu sehen ist.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Was ist Sache?

In 2010 wurde seitens der Bundesregierung eine markante Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) vorgeschlagen, der insbesondere den so genannten „Beschäftigtendatenschutz“ neu regeln sollte.

Es geht um Überwachung der Beschäftigten von Arbeitgeber, Konzernen und Vorgesetzten und betrifft Fragen wie z.B.

  • Videoüberwachung von Arbeit in Betrieben und Büros,
  • Erfassung und Sammlung von persönlichkeitsprofilbildenden Daten,
  • das Scannen betrieblicher und privater E-Mails von Mitarbeitern,
  • das Recht von Arbeit“gebern“ auf ärztliche Untersuchungen an ihren Arbeitern und Angestellten
  • bis hin zu innerbetrieblicher privat betriebener Polizeiarbeit und konzerninterne Strafverfolgung oder gar Rasterfahndung.
  • Und vieles mehr.

Der Entwurf von 2010 wurde heftig kritisiert, Datenschützer, Arbeit“nehmer“-Verbände und Oppositionsparteien brachten zahlreiche Kritik vor bis zum Vorwurf der Verfassungswidrigkeit (Stichwort Petitionsrecht).

Ende 2010 verstummte plötzlich die Diskussion um das Gesetz.

Zwei Jahre lang passierte gar nichts, die Kritik am Inhalt wurde ausgesessen und nun soll das Gesetz binnen weniger Wochen plötzlich die letzten noch fehlenden Gesetzgebungs-Stationen passieren und Anfang Februar in Kraft treten!

Was soll das?

 

Aufklärung tut not – Aktivisten eröffnen einen Themenblog

Eine Gruppe aus engagierten und kompetenten Aktivisten hat in aller Eile ein Webportal eingerichtet und informiert über die Hintergründe zur Sache.

Die dort sich ansammelnden Beiträge sind sehr informativ und geben den Stand der Kritik von verschiedenen Seiten beleuchtet gut wieder.

Aktuell finden sich dort lesenswerte Beiträge von:

Werner Hülsmann hat eine hilfreiche Synopse der vorgeschlagenen Gesetzesänderungen erarbeitet.

(Warum kann uns unsere Bundesregierung eigentlich nicht mal so ein wichtiges Dokument erarbeiten?)

Monika Heim bietet in ihrem Beitrag eine gute Übersicht über die bisherige Entwicklung der ganzen Chose.

Vor allem bietet die Seite ein Musteranschreiben an, mit dessen Hilfe man sofort Abgeordnete und/oder Verantwortungsträger seiner Wahl anschreiben und auf das drohende Desaster hinweisen kann. Eines der wenigen Mittel, die zur akuten persönlichen Intervention in der Sache bestehen.

 

Stand der Kritik von 2010

Mit Stand vom August 2010 haben wir in der OG Hannover eine Neuauflage des Flyer „Beschäftigten-Datenschutz“ veröffentlicht, in der wir unsere Kritik wie folgt summiert haben:

  • Keine Klärung der offenen Frage, bis zu welchem Punkt die Betriebe Verdächtigungen und Betrugsversuchen eigenständig nachgehen dürfen und ab wann staatliche Strafverfolgungsbehörden (Polizei) einzuschalten sind.
  • Erlaubnis zur innerbetrieblichen Rasterfahndung. Die dort eingefügte Bedingung zur Anonymisierung der Fahndung lässt sich in der Praxis nur schwer umsetzen, einhalten, kontrollieren.
  • Bußgelder oder Sanktionen fehlen, so dass die im Gesetz definierten Grenzen in der Praxis vermutlich kaum eingehalten werden.
  • Bestimmte soziale Netzwerke dürfen im Zusammenhang mit der Prüfung von Bewerbungen nicht mehr durchforstet werden. Welche das genau sind, bleibt ebenso unklar wie die Frage, wie die Einhaltung dieser Regel zu kontrollieren sei. Das ist Symbolpolitik.
  • Erlaubnis zur Erhebung von Daten über die sexuelle Orientierung sollte es grundsätzlich nicht geben dürfen.
  • Regeln zur offenen Videoüberwachung werden faktisch gelockert. Das eigentlich selbstverständliche Verbot heimlicher Videobespitzelung will die Arbeitgeber-Lobby kippen und betreibt eine starke Medienkampagne dazu.
  • Unklare Definition zur Erlaubnis von verdeckten Maßnahmen gegenüber den Angestellten: Nicht jede Straftat rechtfertigt die im Gesetz beschriebenen Datenerhebungen.
  • Es darf grundsätzlich keine Erlaubnis für den Arbeitgeber geben, Inhalte privater Kommunikation zu speichern oder zu benutzen, selbst wenn er darauf hingewiesen hat. Betriebsräte müssen in diesem Zusammenhang auf der Hut sein, entsprechend gute Betriebsvereinbarungen abzuschließen. Das kann bei „schwachen“ Betriebsräten oder in anderen Zusammenhängen schwierig werden…

 

Und was ändert sich jetzt?

Die Bundesregierung preschte mit der Headline „Super: Heimliche Videoüberwachung wird verboten“ vor und versuchte dadurch zu punkten, vor allem aber abzulenken. Dass die öffentliche Diskussion die Abwendung von der Legalisierung verfassungswidriger Überwachungsmaßnahmen für Private nun so langsam richtig stellt ist zwar gut, aber stellt inhaltlich leider nur einen einzelnen Punkt dar – vielleicht war der PR-Ansatz sogar als Nebelkerze gedacht und insofern auch sehr erfolgreich.

Wie fast immer in neuerer Gesetzgebung üblich ist das ganze Gesetzespaket unübersichtlich und für den Laien derart unverständlich und undurchschaubar, dass alleine durch diesen Umstand eine breite öffentliche Diskussion unterbunden wird. Die Masse des Textes und die Raffinesse der Formulierungen erschlagen den unbedarften Leser.

In aller möglichen „Kürze“ ein paar der neuesten Änderungen:

  • Unter gewissen Bedingungen darf das beschäftigende Unternehmen Informationen über Vermögensverhältnisse, Vorstrafen oder laufende Ermittlungen des/der Beschäftigten speichern. Ebenso Daten zu seiner/ihrer „sexuellen Identität.“ Letzteres zu erheben und zu speichern gehört generell verboten! Und Angaben zu Strafverfolgung und Vorstrafen gehören nicht in private Hände. Das erlaubte Befragen eines Arbeitnehmers nach laufenden und völlig offenen Ermittlungsverfahren gegen ihn zersetzt Privatsphäre wie Unschuldsvermutung gleichermaßen.
  • Dem Arbeitgeber wird allgemein erlaubt, sich im Internet der allgemein verfügbaren personenbezogenen Informationen frei zu bedienen, zu speichern und diese zu nutzen. Der Betroffene muss darüber aber nicht informiert werden!
  • Eignungstests müssen nun nicht mehr nach „wissenschaftlich anerkannten Methoden“ durchgeführt werden. Der Durchführung von manipulierenden, einseitigen, manipulierenden oder anderen beliebigen „Psychotests“ nach Wunsch der Unternehmen werden Tür und Tor geöffnet – die eingeräumte „Zweckmäßigkeit“ als Bedingung hierfür wird ganz sicher nicht als Garant dagegen wirken können sondern erlaubt einen weiten Ermessensspielraum.
  • Die Einfügung des Wortes „und persönlich“ an anderer Stelle erlaubt es den Arbeit“gebern“ faktisch, bei angeblichen Überlegungen zu innerbetrieblichen Versetzungen Persönlichkeitsprofile von Arbeitern und Angestellten anzulegen und zu nutzen. Das betrifft zum Beispiel das, was die Arbeitnehmer je nach Gustus unter „soft skills“ wie z.B. „Sozialkompetenz, Teamfähigkeit oder Zuverlässigkeit“ zu definieren meinen zu müssen.
  • Arbeit“geber“ und Unternehmen dürfen ihre Beschäftigtendaten für private Rasterfahndungen einsetzen. Es wird noch nicht einmal die Anoymisieurng der Daten gefordert – eine Pseudonymisierung genügt und ist doch tatsächlich faktisch das gleiche wie eine Nicht-Pseudonymisierung persönlicher Daten. Abgesichert wird diese Maßnahme durch die Bedingung der „Verhältnismäßigkeit“, die zumindest in Vergangenheit nicht ausgereicht hat, um Mißbrauch wesentlich zu verhindern. Zwar soll dieses nun nicht mehr in pauschalisierter Form zur Aufdeckung jeglicher Form von Straftaten genutzt werden dürfen, ob aber die Bedingung des „Vorliegens tatsächlicher Anhaltspunkte“ zur Verhinderung einer unternehmensfreundlichen Umdeutung ausreicht, bleibt fraglich. Und die Hinzufügung der Bedingung „oder zur Erfüllung gesetzlicher Prüf- und Kontrollpflichten“ mag manch andere Pforten zur interessengeleiteten umfangreichen Nutzung sensibler Beschäftigtendaten neu öffnen.
  • Die Grenzen dafür, wann auch ohne Kenntnis des Betroffenen Daten über einen Beschäftigten erhoben werden dürfen, werden durch eine Neuformulierung der Bedingungen erheblich aufgeweicht und anhand von subjektivierten, unbestimmten Regeln neu gesetzt. Ein Freibrief für geheimdienstliches Vorgehen der Unternehmen.
  • Die Neueinführung eines „Konzernprivilegs“ erlaubt Konzernen den Datenaustausch über einzelne Unternehmen hinaus. Diese Regelung untergräbt das Prinzip der Mitarbeitervertretung durch Betriebsräte enorm.
  • Die Überwachung von Telefongesprächen von Beschäftigten (z.B. in Call Center, aber nicht nur dort!) wird ausgeweitet und darf von Vorgesetzten auch durchgeführt werden, ohne dass die abgehörten Beschäftigten im Einzelnen darüber informiert werden. Selbstverständlich „nur“ zu „Qualitätssicherungs- und Schulungszwecken“ – von den Auswirkungen dieser potentiellen Dauerüberwachung auf die Menschen keine Rede.
  • Das Fehlen von wirksamen Sanktionen bei Verstößen: Illegal durchgeführte heimliche Videoüberwachung und Bespitzelung genau so schlimm wie Falsch-Parken? o_O

Noch viel mehr wirklich wichtige Punkte lassen sich im detaillierten und verständlich geschriebenen Beitrag von Peter Wedde nachlesen.

 

Zum Abschluß

Meiner Meinung nach stellen sich ein paar grundsätzliche Fragen:

  • Was ist der wirkliche Grund für das überstürzte Handeln und warum scheint eine breite öffentliche Diskussion unerwünscht zu sein?
  • Inwieweit will man es Konzernen und Unternehmen erlauben, als quasi-polizeilich und quasi-geheimdienstlich und ohne Hinzuziehung staatlicher Gewalt zu recherchieren, zu ermitteln, zu rastern, strafzuverfolgen?
  • Welche Erkenntnis ist daraus zu ziehen, dass einige der großen Datenschutzskandale der letzten Jahre mittels der nun vorgeschlagenen Änderungen ganz oder in Teilen faktisch legalisiert oder zumindest akzeptierend gutgeheißen werden?

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung von Micha wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

bild: „Surveillance_video_cameras,_Gdynia.jpeg“ vonPaweł Zdziarski, CC-BY-SA

20121229-29c3demo02

Nachdem dem „Umzug“ des Chaos Computer Congresses von Berlin nach Hamburg war der AK Vorrat nun zum sechsten Mal in Folge mit einem Stand zu Gast mit dabei und bei dieser Gelegenheit:

Danke an alle im CCC, die uns über die Jahre hinweg so kräftig unterstützt haben!

Unseren Stand hatten wir im untersten von fünf Geschossen des Hamburger Congress Centrums direkt am Eingang zum bzw. sogar im Hackcenter. Gegenüber Wikipedia/Wikimedia und Openstreetmap, nebenan die Leute von FIfF und nochmal etwas weiter der Stand vom FoeBuD bzw. digitalcourage. Also in guter Nachbarschaft.

29c3-02Hier waren wir zwar nicht inmitten der sprudelnden Menge der anderen Geschosse, trotzdem kam aber wohl so ziemlich jeder und jede mal am Stand vorbei, alleine schon weil sich die zwei kleineren der insgesamt drei Vortragsräume im untersten Geschoß befanden.

Die Resonanz war gut, wenn auch insgesamt weniger Gespräche mit „Passanten“ als in Berlin am dortig angestammten Platz unter der Wendeltreppe zustandekommen sind. Dafür waren die „internen“ Gespräche z.T. sehr intensiv und fruchtbar. Außerdem waren eine Menge von „AKV’lern“ vor Ort – der Stand fungierte immer wieder als Ausgangs- und Treffpunkt mit der wie bekannt von Ryo so gut vorbereiteten technischen Infrastruktur. Für mich hat dieses Treffen zum wiederholten mal deutlich vor Augen geführt, wie wichtig und ergiebig die persönlichen Treffen jenseits der Mailinglistenstruktur sein können. Der Chaos Congress zwischen den Jahren ist eine guter Ort, eine gute Gelegenheit dafür.

Wie schon gewohnt haben wir auch auf dem 29c3 eine kleine aber feine Demo organisiert und die Kongressteilnehmer dazu eingeladen. Für einige Kongressteilnehmer ist das ein inzwischen fester Bestandteil, um über die Vorträge und das kongresshafte Brüten über Technik und Politikfragen hinaus den Schritt in die Welt der „anderen“ zu tätigen. Regelmäßig werden wir dazu angesprochen bzw. wird die Demon nachgefragt.

29c3-06Jedes Jahr versuchen wir, neben dem Übertitel „Freiheit statt Angst“ bzw. „Freedom not Fear“ einen Namen für den Straßenprotest zu finden, der sich an das Motto des Congresses anlehnt und so nannten wir die diesjährige Demo entsprechend:

„Fear is not my department“

20121229-29c3demo04Nach Patrick und mir hat nun Fred als Vertreter des AK Vorrat die Verantwortung und Organisation der Demo übernommen, viele andere haben beim Vorbereiten geholfen – allen einen großen Dank dafür!

Obwohl dem Congress in Hamburg gegenüber den vorherigen Treffen in Berlin ungefähr eineinhalbmal so viel Besucher mehr beschert waren, ist die Anzahl der Leute, die die Gelegenheit zum „Protest-Spaziergang“ genutzt haben in etwa konstant geblieben: Circa 100 bis 150 Leute machten sich von der uns gegenüber freundlichen Polizei begleitet auf den Fußmarsch bis zum Jungfernstieg.

20121229-29c3demo03Michi war mit seinem Demolauti eigens angereist, um auf der gesamten Strecke und während der Kundgebung mit seiner Elektroakustik für Aufmerksamkeit und Verstärkung der Redebeiträge zu sorgen. Auch dafür: Vielen Dank.

Die Stimmung war – und das ist kein hohles Gerede – wie schon in den Jahren zuvor ausgesprochen fröhlich und freundlich und das bei ungewöhnlich gutem Wetter. Die wenigen hundert Flyer, die wir für die Passanten zur Information über unser Anliegen vorbereitet hatten, waren schon nach weniger als der halben Strecke restlos weg, die Passanten der Hamburger Innenstadt waren unerwartet offen gegenüber unserem Anliegen und am Anliegen dieser „bunten Truppe“ sehr interessiert.

Auf dem Jungfernstieg in Sichtweite des Hamburger Rathaus20121229-29c3demo07es angekommen gaben Thomas Lohninger vom „österreichischen“ und Volker Birk vom „deutschen“ AK Vorrat zwei kurze Ansprachen zum besten und informierten über die jeweilige Situation in den beiden Ländern.

20121229-29c3demo01Mit Absicht halten wir die Organisation der kleinen Demos auf dem Chaos Computer Congress relativ einfach und überschaubar. Zudem haben wir in den letzten Jahren dafür gesorgt (und wollen das in den kommenden Jahren beibehalten), dass wir hier denjenigen Leuten Gelegenheit für ein Statement ermöglichen, die ansonsten in der Öffentlichkeit trotz wichtiger Botschaften eher zu kurz oder gar nicht zum Zuge kommen.

20121229-29c3demo06Alles in allem waren wir nach gut einer Stunde bei bester Stimmung wieder zurück zum Kongress und so war für alle genügend Zeit zum Ausklingenlassen oder zum Essen, bevor die nächsten – ebenfalls netzpolitisch angehauchten – Vorträge begannen.

Von einigen einzelnen Teilnehmern gab es im Nachhinein noch freundliche und dankbare Worte – das hat uns sehr gefreut!

Bis zum nächsten Jahr, Hamburg.

 

Weitere Informationen:

Bilder: Alle Bilder unter Creative Commons BY-SA. Bilder 1 und 4 – 8 von ubiquit23 (auf Flickr). Bilder 2 und 3 von muzungu (auf AK Vorrat)

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung von Micha wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.