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In Niedersachsen sind die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen abgeschlossen, gestern wurde der knapp 100seitige Koalitionsvertrag veröffentlicht.

Auf dessen Seiten 18ff. und 78ff. finden sich eine Reihe von interessanten innenpolitischen Aussagen bzw. Absichtsbekundungen, die eine klare Abkehr vom bisherigen, vorwiegend konservativen und obrigkeitsdenkenorientierten Regierungsstil von CDU und FDP deutlich machen sollen.

Lobenswert sind die relativ deutlichen Ansagen gegen Herstellung und Export von Soft- und Hardware zur Repression, die Absage an Landestrojaner bzw. behördliche Computerwanzen und die klaren Worte gegen einen Einsatz von Polizeidrohnen bei Demonstrationen und Veranstaltungen.

Aber nicht alle innenpolitischen Aussagen sind so eindeutig.

Drei Beispiele:

1. Zur Vorratsdatenspeicherung

„Die rot-grüne Koalition wird sich auf Europa- und Bundesebene, im Bundesrat und in der Innenministerkonferenz, gegen die derzeit diskutierten Varianten der Vorratsdatenspeicherung einsetzen. Sie hält dieses Verfahren für einen hochproblematischen Eingriff in die Grundrechte.“ (Seite 80)

  • Was ist mit „derzeit diskutierte Varianten der Vorratsdatenspeicherung“ genau gemeint?
  • Folgte die niedersächsische SPD der im Dezember 2011 zementierten Linie der Bundes-SPD, so würden wir mit einer vollständigen Speicherung aller TK-Verbindungsdaten und deren Speicherung für sieben Tage sowie mit einer 90tägigen Vorratsdatenspeicherung der besonders sensiblen IP-Daten konfrontiert werden.
  • Warum schafften es Rot-Grün nicht, sich grundsätzlich gegen das Prinzip der Vorratsdatenspeicherung auszusprechen? Die Grünen haben so etwas vor der Wahl postuliert und selbst die sozialdemokratischen Jurist*innen, Richter*innen und Staatsanwält*innen bewerten jede Form der Vorratsdatenspeicherung als Paradigmenwechsel und lehnen diese ab. Hier soll es aber nur „gegen die derzeit diskutierten Varianten“ gehen?
  • Es wäre schön, wenn sich die niedersächsische SPD an dieser Stelle ähnlich wie in der Gorleben-Standortfrage eine eigene durchdachte Meinung zulegen könnte und zu dieser stehen würde. (Wir stehen gerne zu Gesprächen und Diskussionen zur Verfügung!)

2. Zur Videoüberwachung

„Die rot-grüne Koalition wird die von der abgelösten Landesregierung ausgeweitete Videoüberwachung einschränken. Für die verbleibenden Überwachungsanlagen wird ein öffentlich einsehbares ‚Anlagenkataster‘ geschaffen. Anlasslose Überwachungen von Großveranstaltungen werden eingeschränkt. Jede Überwachung ist kenntlich zu machen.“ (Seite 18)

  • Die Einführung eines Katasters wurde vom Forderungskatalog des AK Vorrat Hannover übernommen. Das freut uns. Aber scheint sich die Forderung der rot-grünen Koalition in Niedersachsen nur auf die Polizeikameras beziehen und damit begnügen zu wollen. Das wird an der gewählten Formulierung zumindest nicht ganz klar.
  • Wir in Hannover (= AK Vorrat OG Hannover) fordern jedoch eine Melde- und Katasterpflicht nicht nur für die polizeilichen Videoüberwachungskameras sondern für jede Videoüberwachungsanlage!
  • Ebenfalls unklar ist die Frage, nach welchen Vorgaben Videoüberwachung überhaupt zugelassen werden soll. Wie ist das mit den geheimnisumwitterten neuen hochauflösenden Kameras in den Fußballstadien, was ist mit privat betriebenen Kameras im öffentlichen bzw. allgemein öffentlich zugänglichen Raum?
  • Und schließlich fordert der Koalitionsvertrag etwas, was schon jetzt eine Gesetzesgrundlage hat: die Kennzeichnung jeglicher Form von Videoüberwachung. Sehr viel wichtiger wären klare Regelungen inklusive Sanktionsmaßnahmen, um diese Kennzeichnung endlich vernünftig um- und durchzusetzen.
  • Auch privat betriebene Videoüberwachungsanlagen gehören grundsätzlich abgebaut, wenn es nicht eine ganz konkrete, fallbezogene und mit Tatsachen untermauerte Begründung für jede einzelne Kamera gibt.
  • Anlasslose Überwachungen müssen nicht nur „bei Großveranstaltungen eingeschränkt“ werden, anlasslose Überwachungen gehören grundsätzlich und in allen Zusammenhängen verboten!
  • Der Einsatz von Videoüberwachungsanlagen muss zur Ausnahme und nicht zur Regel werden!
  • Von alledem ist im Koalitionsvertrag nichts zu lesen.

3. Zur Versammlungsfreiheit

„Die rot-grüne Koalition wird das Demonstrationsrecht stärken. Ziel ist ein bürgerfreundliches Versammlungsrecht, das möglichst vielen Menschen Demonstrationen, Kundgebungen oder sonstige Versammlungen ermöglicht. Eingeschränkt werden sollen Datenabfragen bei Anmeldungen und Polizeiaufnahmen in geschlossenen Räumen. Das Vermummungsverbot soll schärfer eingegrenzt und der Datenschutz für Anmelderinnen und Anmelder sowie Ordnungskräfte verbessert werden. Die Bannmeilenregelung vor dem Niedersächsischen Landtag wird aufgehoben.“ (Seite 19)

  • Es wird nicht klar, was die Koalition genau damit meint. In welcher Form soll das in Karlsruhe zur Prüfung vorliegende niedersächsische Versammlungsgesetz geändert werden?
  • Ein Versammlungsrecht muss allen Menschen die Durchführung von und Teilnahme an freien, selbst entwickelten und staatsfernen Versammlungen ermöglichen und nicht nur „möglichst vielen“.
  • Die kritisierten, derzeit gesetzlich verbrieften Rechte auf polizeiliche und geheimdienstliche Durchleuchtung von Anmeldern und Ordnern von Demonstrationen sollen offenbar nur bei geschlossenen Versammlungen entschärft werden, nicht aber bei Versammlungen unter freiem Himmel! Das ist schlecht.
  • Rot-Grün schafft es nicht, das Vermummungsverbot grundsätzlich von der Straftat zur Ordnungswidrigkeit zu degradieren, obwohl es selbst in Polizeikreisen Verständnis für einen solchen Schritt geben würde. Stattdessen soll es „schärfer eingegrenzt“ werden. Also mehr Sonderregeln und Spezialfallbeschreibungen statt ein einfacheres, schlankeres und für „normale“ Menschen verständlicheres Gesetz zu besorgen – so scheint es jedenfalls.
  • Der „befriedete Bezirk“ soll endlich abgeschafft werden. Das ist gut. Aber es ist gegenüber vielen anderen Problemen des niedersächsischen Versammlungsgesetzes ein kleineres Übel, wenn auch als populäre Maßnahme besser zu verkaufen.
  • Rot-Grün täte gut daran, ein Ende der bundesweit voranschreitenden Zersplitterung des Versammlungsrechts zu fordern und dafür einzutreten. Doch davon leider kein Wort.
  • Fragen wie die Erleichterung für Kleinversammlungen, die Entfernung von Spezialgesetzteilen (z.B. das Verbot von Demonstrationen an bestimmten Tagen oder Orten), Anfangsbedingungen für polizeiliche Bild- und Tonaufzeichnungen und zur kritischen Bewertung der polizeilichen Auflagenpraxis werden leider nicht gestellt.

Trotz aller Kritik:

Der Koalitionsvertrag strahlt ganz klar den Willen zu einem bürgerfreundlicheren Neuanfang in der niedersächsischen Landespolitik aus.

Ich wünsche viel Erfolg dabei!

Von Hannover aus werden wir das ganze kritisch und konstruktiv zu begleiten versuchen. :)

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung von Micha wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

Bild: Eigenes Bild, CC-BY-SA

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In Niedersachsen finden zur Zeit die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Grünen statt. Heute morgen wurde bekannt, dass man sich dabei auf das Einbringen eines Transparenzgesetzes geeinigt hat. Das freut uns, war es doch einer der Wünsche der hannoverschen Ortsgruppe des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung für die kommende Legislaturperiode.

Zusammen mit Mehr Demokratie e.V. dem Chaos Computer Club Hannover e.V. (C3H) haben wir einen auf dem Hamburger Modell basierenden Gesetzentwurf für ein niedersächsisches Transparenzgesetz (NdsTG) erarbeitet und heute veröffentlicht.

Uns ist wichtig, dass dieses Gesetz so entworfen und beschlossen wird, dass es den Ansprüchen an ein Transparenzgesetz gerecht wird. Denn ein Transparenzgesetz – im Zusammenhang mit einer ernsthaften Umsetzung der „Open Data“- und „Open Government“-Prinzipien – hat das Zeug dazu, einzelne Menschen und zivilgesellschaftliche Gruppen und Bürgerinitiativen einzubinden und deren Engagement auch außerhalb von Partei- und Vereinsmitgliedschaften zu stärken. Vertrauen kann gestärkt und ganz neue Möglichkeiten der Mitbestimmung „von außen“ tun sich auf. Mittels „Open Data“ können aber ggf. auch erhebliche Einsparungen in Land und Kommunen erzielt und die Arbeit in den Behörden vereinheitlicht und erleichtert werden.

Eine möglichst umfangreiche Pflicht zur Veröffentlichung von Beschlüssen, Verträgen, Gutachten und anderen mit Steuergeldern bezahlten Informationen von Land und Kommunen (unter Berücksichtigung von Datenschutz und Privatsphäre) gehört für uns genau so dazu wie die Zusammenführung in einer zentralen Informations-Datenbank.

Der Zugang zu diesen Informationen muss für die daran interessierten Menschen (und Journalisten!) einfach und verständlich sein, kostenlos und anonym.

Wenn es SPD und Grüne in Niedersachsen ernst mit ihren Ankündigungen für einen neuen Regierungsstil in Niedersachsen meinen, dann werden sie die daran interessierten Gruppen bei der Entstehung der Gesetzes beratend hinzuziehen. Wir stehen jedenfalls bereit. :)

 

Weitere Informationen:

 

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung von Micha wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

Bild: eigenes Bild, CC-BY-SA

Bonn, Protest gegen § 218

Mit der Occupy-Bewegung, aCAMPada, den Flüchtlings-Protesten und in anderen Zusammenhängen haben Menschen in diesem Land ihr Grundrecht auf Versammlung und Meinungsfreiheit wahrgenommen und die Idee einer Dauermahnwache neu belebt. Viele dieser Demonstrationen wurden polizeilich in umstrittener Weise geräumt (Beispiel Occupy Frankfurt), zum Teil unter Anwendung von erheblicher Gewalt (Beispiel aCAMPada Berlin).

Freedom_FastDie Versammlungsfreiheit ist ein Grund- und Menschenrecht. Eine Zersplitterung und die zunehmende Beschneidung dieses einzigen auf gemeinschaftlichem Handeln und Agieren beruhenden Grundrechts hat mit der Föderalismusreform 2006 eingesetzt. Denn mit dieser Reform wurde den Bundesländern das Recht auf ländereigene Versammlungsgesetze eingeräumt und Deutschland wird seitdem zunehmend zum Flickenteppich unterschiedlicher, komplexer und zumeist behördenorientierter und -freundlicher Länder-Versammlungsgesetze.

Umso mehr ein Grund dafür, das Verständnis von Bedeutung und Wesen der Versammlungsfreiheit vom Grunde auf neu zu überdenken und aufzufrischen.

Grundlage ist der mit Leben zu erfüllende Artikel 8 GG Absatz 1:

„Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“

Peace_camp,_St_Margaret_Street_-_DSC08112Ist damit nicht alles gesagt? Sind Versammlungsgesetze, wie sie der zweite Absatz des Artikel 8 erlaubt, überhaupt notwendig?

Die bisherigen zur Versammlungsfreiheit ergangenen Rechtsprechungen, die nach wie vor und abseits aller Gesetzgebungen Gültigkeit besitzen, sind nur in wenigen anderen Fällen so klar und belebend wie der Brokdorf-Beschluß vom 14. Mai 1985.

Darin heißt es unter anderem:

„[Versammlungen bieten] die Möglichkeit zur öffentlichen Einflussnahme auf den politischen Prozeß, zur Entwicklung pluralistischer Initiativen und Alternativen oder auch zu Kritik und Protest …; sie enthalten ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren.“

Und an anderer Stelle:

„[Der Schutz von Versammlungen] umfaßt vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen. Es gehören auch solche mit Demonstrationscharakter dazu, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird.“

Gyurcsány_-_Hunger_Strike_for_the_Free_Elections-2Mahnwachen und Protestcamps sind genau solche zu schützende Versammlungen, bei denen Menschen in persona durch ihre andauernde Anwesenheit mahnen, hinweisen, aufrütteln wollen. Sie nehmen ihr über Jahrhunderte erstrittene Recht auf Teilnahme am politischen Meinungsbildungsprozess wahr, zu der ihnen z.B. mangels Geld, Macht, Einfluß und Wortgewandtheit keine oder kaum eine andere Möglichkeit als die eines wirksamen und Aufmerksamkeit erregenden Protestes bleibt.

Einigen (oder vielen?) Polizei- und Versammlungsbehörden sind diese Mahnwachen ein Dorn im Auge. Aus der Sicht der „Ordnungshüter“ durchaus nachvollziehbar: Ursprünglich-ungebändigter Protest, der sich nicht nach starren Gesetzen oder normierenden Vorschriften „behandeln“ oder kategorisieren lässt, ist aus der Sicht der Polizeikräfte nichts, was wünschenswert wäre. Es ist ein fraglos schwieriges Geschäft.

Doch damit muss die Polizei leben, sie muss es aushalten können und sie darf schwierige Einsatzlagen im Zusammenhang mit friedlichen Protesten nicht zu unerwünschten Ereignissen deklarieren oder gar diese zu bekämpfen versuchen.

Genau aber dahin scheint die Reise zu gehen …Tahrir_Square_-_Flickr_-_Al_Jazeera_English_(7)

Der Düsseldorfer Polizeipräsident spricht

In der aktuellen Ausgabe des monatlich erscheinenden „Behörden-Spiegels“ hat sich der Düsseldorfer Polizeipräsident Herbert Schenkelberg über sein Verhältnis zu Protestcamps und Mahnwachen geäußert.

Anlass ist der in Düsseldorf durchgeführte Protest im Rahmen der „Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migranten“ in 2012 gewesen. Das Polizeipräsidium Düsseldorf hatte strenge und einschränkende Auflagen zur Verwendung von Schlaf- und Ruhegelegenheiten gemacht, zunächst vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf dazu Recht bekommen, dann aber vom Oberverwaltungsgericht NRW zurechtgewiesen und korrigiert worden.

Herr Schenkelberg offenbart eine merkwürdige Einstellung gegenüber den Demonstrierenden, wenn er in dem (leider online nicht verfügbaren) Beitrag des „Behörden-Spiegels“ die Überzeugung vertritt, dass Protestcamps „naturgemäß“ Konflikte erzeugen würden. Dass „Beschwerden an den Oberbürgermeister oder den Polizeipräsidenten vorprogrammiert“ seien, scheint weiterhin von besonderer Bedeutung für den Autor zu sein.

Erfurt, Hungerstreik für Einsicht in Stasiakten„Nach ordnungspolitischen Maßstäben ließen sich diese Camps schnell beseitigen“ schreibt Herr Schenkelberg. Schließlich fehle die „erforderliche Sonderbenutzungserlaubnis“. Leider aber, so führt der „beseitigungs“-willige Behördenvertreter sinngemäß weiter aus, würden die in diesem Rahmen demonstrierenden Menschen der Meinung sein, dass sie eine Versammlung im Sinne der Versammlungsfreiheit darstellen würden und deswegen die „Privilegien des Versammlungsrechts für sich in Anspruch nehmen.“

Die Versammlungsfreiheit als missbräuchlich in Anspruch genommenes Privileg?

Der Polizeipräsident vertritt die außerdem Ansicht, dass auf einer Mahnwache nicht ausgeruht oder gar geschlafen werden dürfe:

„Mahnwache kommt von Wachen und nicht vom Schlafen.“

Und weiter in diesem kruden Interpretationsstil:

„Wer in den Schlaf hinübergleitet, verlässt gleichsam die Versammlung, nimmt also bis zum Erwachen nicht mehr an dieser Teil. Nimmt er jedoch nicht mehr an der Versammlung teil, so unterliegt er den Regelungen des allgemeinen Ordnungsrechts, das das Campieren auf öffentlichen Straßen und Plätzen ausdrücklich verbietet.“

800px-Armenian_Presidential_Elections_2008_Protest_Day_10_-_Opera_Square_-_tents_southeast_from_east_podiumDass ein Hungerstreik, eine Mahnwache, ein Protestcamp gerade erst durch den zum Teil aufopfernden und körperlich zehrenden persönlichen Einsatz der Demonstrierenden diejenige bedeutsame Ausdruckskraft erhält, die das Wesen dieses Protests ausmacht, das wird bei dieser Auffassung völlig verkannt und unter den Teppich gefegt.

Zum Schlafen und Duschen könne ein Mahnwachen-Teilnehmer ja „seine Wohnung aufsuchen“ und müsse deswegen nicht ununterbrochen an der Mahnwache teilnehmen, so der Polizeipräsident. Mit dieser Interpretation greift die Polizei allerdings tief in das Selbstbestimmungsrecht zur Ausgestaltung eines Protests ein und bricht die Kraft der selbstgewählten Form des Dauerprotests. Und angesichts der konkreten Umstände der Düsseldorfer Proteste, wo einige der Protestierenden gar keine „Wohnung zum Schlafen und Duschen“ besitzen, wirkt dieser Kommentar fast zynisch.

Eine höchst fragwProtest_encampment_in_Lewinsky's_garden._South_Tel_Aviv._Sep._2011ürdige Handlungsanweisung

Was darf sich die Polizei erlauben?

Herr Schenkelberg beendet seine Erläuterungen mit einer Aufforderung, die man aus meiner Sicht fast als Aufruf zum Brechen der Versammlungsfreiheit verstehen könnte:

„Die bisherige Rechtsprechung [zur Protestform der Dauermahnwache] vermag keine verlässliche Orientierung zu geben. Den sich damit bietenden Ermessungsspielraum sollten die Versammlungsbehörden nutzen.“

Ich finde das skandalös.

Wie weiter?

Versammlungsfreiheit muss immer wieder verteidigt, neue Formen der friedlichen und Versammlung spielerisch ausprobiert und durchgesetzt werden.

Die Versammlungsgesetzgebung muss von der immer weiter ausufernden Zersplitterung zu einer bundesweiten Einheit zurückgeführt werden.

Day_53Ausgehend von der ernst gemeinten Frage, ob überhaupt ein Versammlungsgesetz notwendig ist, gehört die dazugehörige Debatte in die breite Öffentlichkeit. Das heißt: Versammlungsfreiheit darf nicht mehr von Rechtsexperten und Behördenvertretern behandelt und festgelegt werden sondern muß ein Thema für jeden Menschen werden.

Gesetze zur Versammlungsfreiheit müssen – wenn überhaupt notwendig – in einfacher und verständlicher Sprache, klar, kompakt und übersichtlich gestaltet werden. Sie müssen sich vorrangig an den Bedürfnissen der Protestierenden und nicht an den Öffnungszeiten, Bearbeitungsprozessen und Wünschen der Behörden orientieren.

Etwaige neue Versammlungsgesetze müssen kürzer statt länger werden!

Versammlungsfreiheit definiert sich nicht über Versammlungsgesetze sondern aus dem Selbstbewusstsein und dem Mut aufgeklärter und zur kritischen Reflektion gewachsener Bürger, friedlich und gewalfrei, und gleichzeitig aktiv und engagiert handelnd.

„Das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewußten Bürgers.“ (Bundesverfassungsgericht, Brokdorf-Beschluß)

 

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung von Micha wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

Bilder und ihre Quellen (von oben nach unten):

– Protest in Bonn, April 1974: Bundesarchiv, B 145 Bild-F042511-0014 / Schaack, Lothar / CC-BY-SA
– Hungerstreik in Neu-Delhi, Indien, Juni 2012, CC-BY-SA Sandigonsalvis
– Protestcamp in Großbritannien, London, August 2010, CC-BY-SA Green Lane
– Hungerstreik-Camp in Ungarn, September 2012, CC-BY-SA Szilas
– Protestcamp auf dem Tahrir-Platz in Kairo, Ägypten, Januar 2011, CC-BY-SA Al Jazeera English
– Hungerstreik in Erfurt, März 1990, Bundesarchiv, Bild 183-1990-0331-035 / Ludwig, Jürgen / CC-BY-SA
– Protestcamp in Jerewan, Armenien,Februar 2008, public domain von Serouj
– Protestcamp in Tel Aviv, Israel, September 2011, CC-BY-SA Roi Boshi
– Hungerstreik-Camp in Washington, USA, September 2009, CC-BY-SA AgnosticPreachersKid

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Mit dem heutigen Donnerstag beginnen in Niedersachsen SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit den Koalitionsverhandlungen für eine gemeinsame Landesregierung, die voraussichtlich am 19. Februar 2013 ihre Arbeit aufnehmen soll.

Leider hatte sich die niedersächsische SPD als einzige gewählte Partei nicht dazu bereit erklärt, die zwölf Standpunktabfragen unserer Ortsgruppe in Hannover zu beantworten, so dass wir uns dazu entschlossen haben, die Sozialdemokraten anhand ihrer Aussagen in der Opposition der letzten fünf Jahre zu messen:

Dazu haben wir uns die 2.195 offiziellen Pressemitteilungen der niedersächsischen SPD seit der Landtagswahl 2008 vorgenommen und hinsichtlich innenpolitischer Aussagen zu den uns interessant erscheinenden Themen untersucht.

Herausgekommen ist ein insgesamt 15seitiges, aber dennoch sehr übersichtliches Dokument, in dem wir wesentliche Aussagen und Forderungen der niedersächsischen SPD während ihrer Oppositionszeit von 2008 bis 2013 belegen und für die Öffentlichkeit festhalten.

Mit der Veröffentlichung möchten wir die SPD genau daran erinnern und uns nicht auf das innenpolitisch eher weichgespülte SPD-Wahlprogramm verweisen lassen. Wir sind der Meinung, dass die SPD ihre Worte halten muss.

Die Dokumentation enthält Aussagen und Statements aus den vergangenen fünf Jahren zu folgenden Themengebieten:

  • Polizei
  • Justiz
  • Strafvollzug
  • „Sicherungsverwahrung“
  • Privatisierung / PPP
  • Verfassungsschutz/Geheimdienste
  • Online-Durchsuchung / Behörden-Computerwanzen („Staatstrojaner“)
  • Staatliche Überwachung
  • Terrorgefahr und -hysterie
  • Vorratsdatenspeicherung
  • Fußball und Fußball-Fankultur
  • Videoüberwachung
  • Datenschutz und Datenschutzbehörde
  • Versammlungsfreiheit
  • Transparenz und Bürgerbeteiligung
  • Umgang mit Menschen muslimischen Glaubens
  • „Netzpolitik“
  • Aufarbeitung von Vorgängen aus den letzten fünf Jahren

Wir hoffen damit, die uns am Herzen liegenden innenpolitischen Themen davor zu bewahren, zur degenerierten Verhandlungsmasse zwischen niedersächsischen „Grünen“ und „Sozialdemokraten“ werden zu lassen, denn innerhalb dieser haben diese Themen während des Wahlkampfs erschreckend wenig Beachtung und Betonung gefunden.

Uns erscheint die Gefahr groß, dass die beiden Parteien ihre Prestige-Themen betonen und vorantreiben werden – zu Ungunsten wichtiger innenpolitischer Standpunkte. Die Vorratsdatenspeicherung ist nur einer davon.

Weitere Informationen:

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung von Micha wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

Bild: eigenes Bild, CC-BY-SA

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Seit Ende Oktober 2012 haben wir uns in der hannoverschen Ortsgruppe des AK Vorrat bemüht, von allen in Niedersachsen am kommenden Sonntag zur Wahl stehenden Parteien Stellungnahmen zu zwölf von uns zur Debatte gestellten Forderungen einzuholen.

Am letzten Freitag haben wir die Ergebnisse zusammengefasst und in Form eines übersichtlichen Dokuments veröffentlicht, die dazugehörige Pressemitteilung gibt es hier.

Man mag über die von uns vorgenommene Ampelbewertung vielleicht an wenigen einzelnen Stellen diskutieren können, was aber eklatant auffällt ist die Tatsache, dass sich die niedersächsische SPD einer Stellungnahme völlig verweigert. Und das, obwohl wir die SPD insgesamt drei mal über insgesamt vier verschiedene E-Mail-Adressen um Stellungnahme oder wenigstens Rückmeldung gebeten hatten. Auch die Pressemitteilung zur Veröffentlichung der Wahlprüfsteine ging per E-Mail an wenigstens eine Person in der SPD – ebenfalls ohne irgendeine Reaktion bis heute. An eine organisatorische Panne noch zu glauben fällt schwer …

Das darf aber auf keinen Fall darüber hinwegtäuschen, dass sich die niedersächsische CDU bei zwölf Sachfragen auch zwölf rote Ampeln eingefangen hat – wen wundert’s? Fast lustig ist die Rückmeldung dieser Partei auf die Frage, ob sie nicht endlich die Ausschuss-Sitzungen des Landtags den interessierten Bürgern öffnen will. Dazu schreibt die CDU nämlich:

„Die CDU will die Transparenz der parlamentarischen Arbeit (…) u.a. durch ein eigenes Landtagsfernsehen nachhaltig stärken.“

Und es soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass die FDP in Niedersachsen mit ihren Äußerungen zu unseren Thesen zwar gar nicht soo übel da steht, dass dabei aber nicht vergessen werden darf, dass das Handeln der von der FDP mitgetragenen Landesregierung in den letzten Jahren in vielen konkreten Punkten diametral dem gegenüber steht, wofür die FDP sich nun angeblich einzusetzen verspricht.

Weitere Informationen:

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung von Micha wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

Bild: Bearbeitung des Bildes “Werbung, RFT Color 20, Fernseher”, Bundesarchiv, Bild 183-H0812-0031-001 (CC-BY-SA) unter Einbeziehung von aktueller Wahlwerbung, wie sie derzeit hier im öffentlichen Raum Hannovers vielfach zu sehen ist.