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Video: Meinungsaustausch mit Strafverfolgern zur Vorratsdatenspeicherung

Posted by Patrick Breyer on 22. April 2012
Posted in: Allgemein.

Gestern waren auf Internetkriminalität spezialisierte Strafverfolger und ich zu Referaten über das Streitthema Vorratsdatenspeicherung eingeladen. Hier eine Aufzeichnung meines Referats und ein Bericht vom Referat der Strafverfolger.

Videoaufzeichnung meines Referats

Aus technischen Gründen ist die zweite Hälfte meines Referats nicht aufgezeichnet, jedoch kann man das Manuskript nachlesen und die Präsentation ansehen (odt, pdf).

Referat der Strafverfolger

Die Strafverfolger haben in ihrem Referat für eine IP-Vorratsdatenspeicherung plädiert, weil die IP-Adresse bei vielen der von ihnen behandelten Straftaten der einzige Ermittlungsansatz sei. In der Präsentation gezeigt wurden unter anderem echte Darstellungen von Kindesmissbrauch, was natürlich eine entsprechend emotionale Wirkung auf die Teilnehmer hatte. Ungeachtet der wenig überraschenden Zielrichtung des Referats gab es doch etliche neue Erkenntnisse:

So stellte sich heraus, dass sich der E-Mail-Anbieter GMX nicht als Telekommunikationsdienst ansieht und die IP-Adresse seiner Nutzer ohne richterliche Anordnung herausgibt. GMX speichert 30 Tage lang die IP-Adresse, mit der sich jeder Nutzer zuletzt angemeldet hat. Weil nach der Anmeldung bei GMX neben E-Mail auch andere Dienste erreichbar sind, stellt sich GMX auf den Standpunkt, die genutzte IP-Adresse unterliege nicht dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses. Wer noch GMX für E-Mail nutzt, dem kann ich nur empfehlen, schleunigst den Anbieter zu wechseln (datensparsame Anbieter hier).

Weiter berichteten die Ermittler, dass sie mit Bestandsdatenabfragen „in aller Regel nicht weiter“ kommen, weil Straftäter bei der Registrierung regelmäßig falsche Daten angeben. Insbesondere der Identifizierungszwang bei Prepaidkarten sei weitgehend nutzlos. Auf die Frage einer Teilnehmerin, ob eine Verifikationspflicht der Anbieter sinnvoll wäre, erklärte der Ermittler, er halte dies nicht für sinnvollerweise machbar.

Die Ermittler bestätigten, dass Kabelanbieter Internetnutzern regelmäßig sog. „semipermanente“ IP-Adressen zuweisen, die monatelang unverändert bleiben. (Anm. d. Autors: Wer einen solchen Internetzugang nutzt, sollte einen Anonymisierungsdienst einsetzen oder auf DSL ausweichen, um sich vor irrtümlichen Ermittlungen aufgrund eines falschen Verdachts zu schützen.)

Zu der Frage des Nutzens von Vorratsdaten konnten die Ermittler einen einzigen Fall aus ihrer benennen, in dem im Jahr 2009 auf Vorrat gespeicherte IP-Adressen weiter geführt hätten: Im Zuge der Ermittlungen gegen ein Internetforum, in dem Kinderpornografie und Missbrauchsdarstellungen ausgetauscht wurden, seien 160 von 500 Teilnehmern identifiziert worden, meist über die IP-Adresse. Die übrigen Teilnehmer hatten wohl Anonymisierungsdienste wie TOR genutzt.

Auf meine Frage, welcher Anteil der Teilnehmer an solchen Tauschringen nach dem Ende der IP-Vorratsdatenspeicherung aufgeklärt werden kann, nannte der Ermittler ein aktuelles Verfahren, in dem (über einen Internet-Chat) ca. 150 von 500 Beteiligte über reale IP-Adressen hätten identifiziert werden können, und zwar über eine Echtzeitüberwachung des Chats. Man könne gegenwärtig also auch etwa ein Drittel der Teilnehmer identifizieren.

Auf meinen Einwand, dies spreche nicht gerade für die Wirksamkeit einer IP-Vorratsdatenspeicherung, entgegneten die Ermittler, bei Kleinverfahren wie Internetbetrug sei eine solche Echtzeitüberwachung zu aufwändig und eine Vorratsdatenspeicherung nötig. Dies bestätigt, dass es bei der IP-Vorratsdatenspeicherung um Kleinkriminalität und nicht um schwere Straftaten wie den Austausch von Missbrauchsdarstellungen geht.

Die Ermittler vertraten die Auffassung, sie könnten nicht selbst verdeckt in entsprechenden Tauschkreisen ermitteln, weil sie keine Straftaten begehen dürften. Tatsächlich ist es zur „Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten“ von Strafverfolgern aber legal, sich oder einem Dritten den Besitz von pornographischen Schriften zu verschaffen, die den sexuellen Mißbrauch von Kindern zum Gegenstand haben (§ 184 Abs. 6 StGB). Hier werden Ermittlungsmöglichkeiten bislang offenbar nicht ausgeschöpft.

Meinem Hinweis darauf, dass während einer bestehenden Internetverbindung der Anschlussinhaber auch ohne Vorratsdatenspeicherung zu ermitteln ist, hielten die Ermittler entgegen: Erstens seien Dorfpolizisten oder nicht spezialisierte Amtsanwälte nicht dazu ausgebildet, hinreichend schnell die erforderlichen Maßnahmen zu veranlassen. Zweitens sei bei den Internet-Zugangsanbietern abends meist nur noch die Putzfrau erreichbar. Drittens würden Straftäter oft über das Ausland operieren.

All diese Hindernisse sind aus meiner Sicht auch ohne flächendeckende verdachtslose Vorratsdatenspeicherung überwindbar, nämlich durch kompetente und erreichbare Zentralstellen bei den Ermittlern sowie erreichbare Internet-Zugangsanbieter. Es verblieb zuletzt das Argument, dies sei teurer als eine Vorratsdatenspeicherung. Ich bin sicher, dass die große Masse der Internetnutzer gerne bereit wäre, etwas mehr zu zahlen, damit ihr Anbieter eine Erreichbarkeit für Eilermittlungen gewährleisten kann, wenn dafür keine verdachtslose Totalprotokollierung aller ihrer Verbindungen erfolgt.

Spannenderweise teilte ein Ermittler mit, nach Inkrafttreten des letzten Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung sei eine „massenhafte Abwanderung zu Anbietern erfolgt, die nicht auf Vorrat speicherten“. Dies bestätigt unser Argument, dass im Fall einer IP-Vorratsdatenspeicherung eine eben solche Massenabwanderung zu ausländischen Anonymisierungsdiensten droht, die dann auch im Verdachtsfall nicht mehr überwachbar sind. Die Ermittler argumentierten, TOR sei für Videos zu langsam. Es gibt aber auch schnelle, kommerzielle Anonymisierungsdienste.

Die Ermittler kannten überraschenderweise alle Zahlen und Statistiken des AK Vorrat zur Vorratsdatenspeicherung. Sie hielten der Aussagekraft der amtlichen Kriminalstatistik aber entgegen, Polizeibeamte würden Bürgern teilweise Strafanzeigen ausreden, weil diese mangels Vorratsdatenspeicherung aussichtslos seien, und diese Fälle würden nicht in die Statistik eingehen. Ich habe darauf hingewiesen, dass diese Behauptung empirisch nicht untermauert ist und ein solches Vorgehen den Straftatbestand der Strafvereitelung im Amt erfüllen würde, was ich mir nicht vorstellen möchte.

Weiteres Gegenargument war, nicht zuzuordnende IP-Adressen würden von der Polizei nicht als Straftat registriert und gingen daher nicht in die Statistik ein. Auch dies belegt aber nicht, dass im Fall einer Vorratsdatenspeicherung mehr IP-Adressen zuzuordnen wären, gerade wenn man die „Massenabwanderung“ zu Anonymisierungsdiensten im Fall einer Vorratsdatenspeicherung berücksichtigt. Auch habe ich argumentiert, dass im Fall des beschriebenen Umgangs mit der Statistik ein Anstieg der registrierten Straftaten im Jahr 2009 (mehr zuzuordnende IP-Adressen) und ein Rückgang im Jahr 2010 (weniger zuzuordnende IP-Adressen) zu beobachten sein müsste, was aber nicht der Fall ist.

Die Ermittler beriefen sich zuletzt auf einen Umstand, der mir neu ist: Angeblich hätten die Internet-Zugangsanbieter die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts so angewandt, dass sie mithilfe von Vorratsdaten nur bei Verdacht schwerer Straftaten im Sinne des § 100a StPO (einschließlich des Austauschs von Kinderpornografie) IP-Adressen identifiziert hätten. Die IP-Vorratsdatenspeicherung sei so, wie sie nun geplant sei (zur Aufklärung auch von Kleinkriminalität), noch nie in Kraft gewesen.

Ich kann diese Information nicht überprüfen. Falls sie zutrifft, zeigt sie jedenfalls, dass eine IP-Vorratsdatenspeicherung zur Verfolgung schwerer Straftaten keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Aufklärung von Internetdelikten hatte. Die Vorratsdatenspeicherung u.a. von IP-Adressen soll ja laut EU-Richtlinie der Verfolgung schwerer Straftaten dienen. Schwere Straftat ist beispielsweise der Austausch von Kinderpornografie und Missbrauchsdarstellungen über das Internet. Verbreitung, Besitz und Verschaffung kinderpornografischer Darstellungen ist während und nach dem Ende der IP-Vorratsdatenspeicherung im Jahr 2009 aber massiv rückläufig (2008: 9.585 Fälle, 2009: 7.069 Fälle, 2010: 5.944 Fälle). Auch die Aufklärungsquote in diesem Bereich weist keinen „Knick“ während der Geltung des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung auf.

Letztlich waren wir uns wohl darin einig, dass nach dem bisherigen Kenntnisstand kein Beleg dafür existiert, dass eine Vorratsdatenspeicherung zu einer signifikant höheren Zahl aufgeklärter Straftaten oder verurteilter Straftäter führte. Wir wollen den Meinungsaustausch fortsetzen. Bei unseren Forderungen zur Verhütung von Internetdelikten beispielsweise gibt es große Übereinstimmung. Die Ermittler sagten, sie könnten fast jede Forderung unterschreiben.

Blog-Beitrag von Patrick. Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.

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