Soziale Netzwerke

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Die Chancen für eine ausgewogene und differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema “Soziale Netzwerke” im Rahmen des 8. münsterschen Sicherheitsgesprächs waren schmal in Anbetracht der politisch und gesellschaftlich einseitig verorteten Veranstalter der Diskussionsrunde: Unter anderem die Deutsche Hochschule der Polizei, das Polizeipräsidium Münster, die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW sowie das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW.

Dennoch bot sich zwischen den teilnehmenden Gesprächspartnern Marina Weisband (ehemalige Geschäftsführerin der Piratenpartei), Marco Höhn (Soziologe und Medienforscher) und Wolfgang Huß (Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW) eine interessante, wenn auch nicht besonders tiefgehende Diskussion.

Die Rollenverteilung entsprach dabei der Erwartung: Während Marina Weisband und Marco Höhn sich für Freiheit, Datenschutz, Transparenz und Anonymität ausprachen, ließ Wolfgang Huß keine Gelegenheit aus, die Angst vor “Internet-Verbrechern” zu schüren und die Einschränkung von Freiheit (bis hin zur Zensur, die er aber als solche nicht benannt wissen wollte) zum Wohle der Sicherheit hervorzustellen. Letzteres wirkte teilweise an den Haaren herbeigezogen, wenn Herr Huß z.B. beim Thema Cyberbullying ohne Not auf ein Beispiel umlenkte, bei dem es um die Verfolgung eines serbischen Kriegsverbrechers ging.

Darin offenbarte sich jedoch sehr anschaulich die generelle Desinformations-Strategie der Polizei in Deutschland: Anstatt auf die tatsächlichen Fragen und Sorgen von Datenschützern und Bürgerrechtlern einzugehen, wird immer die gleiche Mörder/Kinderschänder/Terroristen-Keule rausgeholt und dabei die Tatsache geflissentlich ignoriert, dass diese Sachverhalte nur einen verschwindend geringen Anteil der Straftaten ausmachen und in der Regel nicht auf das Internet beschränkt sind.

Es schien, als würde Wolfgang Huß dem Internet allgemein eher skeptisch gegenüber stehen. So attestierte er beispielsweise Facebook eine technische Unreife, weil es möglich wäre versehentlich eine Party-Einladung an alle Mitglieder zu verschicken. Marina Weisband antwortete darauf mit dem Straßen-Gleichnis: man könne sich ja auch auf einen Marktplatz stellen und dort seine Einladung verkünden. Wenn dann zu viele Leute kämen, sei ja auch nicht der Marktplatz daran Schuld.

Auch bei einem anderen Problem kam der Straßen-Vergleich zum Zuge: die Sorge, dass (vor allem junge) Menschen zu viel Zeit in sozialen Netzwerken o.ä. verbringen und damit unter Internet-Sucht leiden, käme der Vermutung einer Straßensucht gleich, wenn Menschen sich zu viel auf der Straße aufhielten um dort soziale Interaktion zu vollziehen, so Frau Weisband.
Während der Vergleich in der Gesprächsrunde in beiden Fällen Wirkung zeigte, sollte man jedoch vorsichtig sein: er kann auch gegen die Freiheit im Internet verwendet werden, wenn es z.B. um die Forderung nach stärkerer Reglementierung geht.

Beim Thema der vermeintlich um sich greifenden Internetsucht wies Marko Höhn auch darauf hin, dass viele der Studien, die zu solchen Ergebnissen kämen, methodisch sehr fragwürdig seien. Ende des 18. Jahrhunderts habe es auch unzählige Studien gegeben, die vor Lesesucht gewarnt hätten. Seine Vermutung ging dahin, dass kulturelle Eliten ihren Status in Gefahr sähen und daher Bücher wie “Die digitale Demenz” veröffentlichten. In erster Linie ginge es bei dem Thema um Geld, so Höhn.

Fast unausweichlich kam auch die Vorratsdatenspeicherung kurz zur Sprache, als Wolfgang Huß beteuerte, dass es sich um Gefahrenabwehr und nicht um Zensur handelte, wenn ein soziales Netzwerk in dem sich viele Kinder aufhalten und daher in der Gefahr stehen von Pädophilen belästigt zu werden, geschlossen würde. Darauf antwortete Frau Weisband, dass niemand garantieren könne, dass es dann bei der einen Schließung bleiben würde und dass statt Zensur und Vorratsdatenspeicherung eher klassischer Polizeiarbeit und besserer Ausbildung der Beamt_Innen der Vorzug gegeben werden solle.
Allgemein wurde ein großer Fokus auf die Schaffung von Medienkompetenz gelegt, sowohl auf Seiten von Polizei, als auch bei Lehrer_Innen, Eltern und Kindern.

Ein Aspekt, dem die Gesprächsteilnehmer gern noch mehr Zeit hätten einräumen können, kam noch gegen Ende der Diskussion beim Thema Cyberbullying zur Sprache. Auf die Frage wie denn gegen dieses Phänomen anzugehen sei, antwortete Frau Weisband sehr treffend, dass es sich hierbei keineswegs um ein Problem der neuen Technologie handele, sondern dass vielmehr nach den Ursachen innerhalb der Schulklassen zu suchen sei.
Das ist eine Erkenntnis, die sich auf sehr viele der zuvor besprochenen Themen anwenden lässt: Zensur, Überwachung und gesetzliche Einschränkung beheben niemals die gesellschaftlichen Ursachen für Fehlverhalten in sozialen Netzwerken bzw. im Internet allgemein. Vielmehr hat Letzteres das Potential grundlegende sozio-kulturelle Probleme transparent zu machen und sollte auch dementsprechend genutzt und nicht als Sündenbock herangezogen werden.

Abschließend kann man sagen, dass das Gespräch, wie bereits eingangs erwähnt, weniger einseitig ausfiel, als befürchtet. Das grundlegende Konzept ist aufgrund der einseitigen Trägerschaft jedoch weiterhin kritisch zu betrachten.
Allgemein sind beim Thema Facebook die datenschutzrechtlichen Bedenken und die Alternativen (Diaspora wurde immerhin kurz erwähnt) zu kurz gekommen.
Auch die Interaktion mit dem Publikum fand nur rudimentär statt (lediglich zwei Wortmeldungen wurden aus zeitlichen Gründen zugelassen). Und dass gerade bei diesem Thema keine Online-Diskussions-Plattform eingerichtet wurde ist eine verpasste Chance.

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung der Ortsgruppe Münster des AK Vorrat wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.