Anlässlich der Freiheit statt Angst Demonstration in Münster am 15.8.2015 haben wir folgenden Redebeitrag gehalten:
Wir werden überwacht. Jetzt. Hier. Ausnahmslos. Die Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden haben uns dies in den letzten beiden Jahren deutlich vor Augen geführt. Seine Informationen legen eine systematische globale Überwachung offen, die selbst langjährige Aktivist*innen (wie wir) in ihrer technischen Raffinesse und ihrem gigantischen Umfang zwar für theoretisch möglich, aber nicht für realistisch gehalten hatten.
Nach der ersten Welle von verhaltener Empörung und seichter Verleugnung folgte die große Resignation. Zu abstrakt, zu weit weg und zu übermächtig erschien die Allianz aus Geheimdiensten, Polizei, Militär und ihren Helfer*innen aus der Wirtschaft. Viele fanden sich mit dem Gedanken ab, dass ihnen über die Schulter geguckt wird, vorausgesetzt, dies geschieht diskret und ohne größere Störung des eigenen Alltags. Anstelle von wütenden Forderungen nach radikalen Veränderungen trat ein unerschütterliches Vertrauen in die deutschen Sicherheitsbehörden.
Wie ist dieses Vertrauen trotz aller Skandale bei Polizei & Geheimdiensten zu erklären? Sowohl der NSA-Untersuchungsauschuss als auch die NSU-Untersuchungsausschüsse, die sich um die Aufklärung der 10 Morde an größtenteils Migrant*innen kümmern soll, liefern eindrückliche Zeugnisse dafür, dass Sicherheitsbehörden wie Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst vieles verdienen, aber kein blindes Vertrauen.
Ein maßgebliches Verkaufsargument für Überwachung ist das Versprechen von Sicherheit. In Zeiten der stetigen Krise steht sie stellvertretend für die Sehnsucht nach stabilen und vertrauten Verhältnissen. Sicherheit verspricht einen Halt, für den wir bereit sind, große Teile unserer Freiheit zu opfern. Wie diese Sicherheit konkret aussieht, wird jedoch nicht genauer erklärt. Sie bleibt ein diffuses Versprechen für die Verteidigung eines undefinierten Status Quo.
Überwachung schafft jedoch keine Sicherheit. Sie schafft Unsicherheit bei denen, die überwacht werden. Sie hat viele Facetten, kommt sichtbar und unsichtbar daher, erfasst uns in der Öffentlichkeit, im Internet, bei der Arbeit und im Privaten. Sie trifft insbesondere diejenigen, die bereits von anderen Formen von Ausgrenzung und Diskriminierung betroffen sind.
So wird z.B. von Sicherheit im öffentlichen Raum gesprochen, gemeint ist aber die Kontrolle eines einheitlichen und von unliebsamen Personen bereinigten Stadtbildes.
Kontrolle ist von der Überwachung nicht trennbar und soll es auch nicht sein. Verbunden mit mehr oder minder subtilen Kontroll- und Repressionsmöglichkeiten erzeugt Überwachung Konformitätsdruck. Menschen ändern ihr Verhalten, um nicht aufzufallen, keinen Ärger zu bekommen oder aber um eine kleine Belohnung abzustauben. Ganz im Sinne der neoliberalen Selbstoptimierung wird so Verhalten steuerbar.Auch der politische Zombie Vorratsdatenspeicherung fügt sich in dieses Muster ein. Immer wieder wird mit einem Zugewinn bzw. einem ansonsten drohenden Verlust an Sicherheit argumentiert: Schwere Verbrechen seien nicht aufzuklären, die Polizei gerate an ihre Grenzen, Terroranschläge würden letztendlich drohen. Diese Bedrohungsszenarien sind jedoch trotz jahrelanger Phasen ohne Vorratsdatenspeicherung nicht eingetreten. Während ihrer Laufzeit wurde sie vielmehr für die Aufklärung kleinerer Drogendelikte und Betrugsfälle eingesetzt und selbst das nur in den seltensten Fällen erfolgreich. Ungeachtet dessen steht die Vorratsdatenspeicherung nun vor einem Comeback. Weniger aus einer realpolitischen Notwendigkeit als vielmehr aus dem Wissen, wie die Überwachung unserer gesamten Telekommunikation unser Verhalten beeinflusst.
Diese Mechanismen gilt es zu erkennen und zu benennen: Die konstruierte Gegensätzlichkeit von Freiheit und Sicherheit zu entlarven!
Wir stellen uns dem entgegen und sagen: Eure Sicherheit macht uns Angst! Sie basiert auf Kontrolle, Ausgrenzung und Repression. Vorratsdatenspeicherung, Videoüberwachung, Überwachung an den tödlichen Außengrenzen der EU, die Schnüffelei der Polizei und der Geheimdienste – wir haben es mehr als satt!
Überwachungssystemen den Stecker ziehen! Geheimdienste abschaffen!
Die Mauern um Europa einreißen!
Freiheit statt Angst!