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EU-Gutachten zur Vorratsdatenspeicherung: Thema verfehlt

Posted by Patrick Breyer on 19. Mai 2012
Posted in: Allgemein.

Unter Berufung auf ein Rechtsgutachten ihres Juristischen Dienstes behauptet die EU-Innenkommissarin Malmström, es sei rechtlich unmöglich, den EU-Mitgliedsstaaten das „Ob“ einer flächendeckenden Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten künftig freizustellen. Doch in dem Rechtsgutachten steht etwas anderes.

Nach monatelanger Korrespondenz, hunderter von Eingaben, einer Abgeordnetenanfrageund einer Klage hat die EU-Kommission endlich das Rechtsgutachten Ares(2010)828204 herausgegeben (pdf, englisch), aus dem sich ergeben soll, dass die EU auch künftig allen Mitgliedsstaaten vorschreiben müsse, das Telekommunikationsverhalten ihrer sämtlicher Bürger ohne jeden Verdacht „auf Vorrat“ erfassen zu lassen.

Nun stellt sich heraus: Das ominöse Rechtsgutachten vom 10. November 2010 behandelt eine ganz andere Frage. Es besagt, dass es nicht möglich wäre, den EU-Mitgliedsstaaten freizustellen, ob sie die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung anwenden oder nicht. Gut so! Denn wäre die Anwendung der Richtlinie freigestellt, könnte Polen beispielsweise den extremen Vorschlag wieder aufgreifen, Verbindungsdaten 15 Jahre lang auf Vorrat speichern zu lassen. Die EU-Richtlinie begrenzt die maximale Speicherdauer auf zwei Jahre, und das ist besser, als wenn es keine verbindliche Obergrenze gäbe.

Die Anwendung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung freizustellen, steht nicht zur Debatte. Es geht um etwas anderes: Die Zivilgesellschaft fordert ein EU-weites Verbot von Gesetzen zur Vorratsdatenspeicherung. Auf diese Option geht das Rechtsgutachten nicht ein.

Einige Organisationen schlagen als Kompromiss vor, dass die katastrophale EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung künftig nur noch verbindliche Obergrenzen und Schutzvorschriften für solche Mitgliedsstaaten definieren könnte, deren Parlamente, Bürger und Verfassungsgerichte sich überhaupt für eine vollkommen verdachtslose Vorratsdatenspeicherung entscheiden. Mit einem solchen Inhalt wäre die EU-Richtlinie weiterhin für alle Mitgliedsstaaten verbindlich. Sie würde nur nicht mehr europaweit zu einer flächendeckenden Vorratsdatenspeicherung zwingen, sondern alternativ auch eine nur anlassbezogene Speicherung im Verdachtsfall zulassen. Insoweit wäre eine teilweise Rückkehr zu der Situation vor Verabschiedung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gegeben. Es bliebe jedoch bei den grundrechtsschonenden Obergrenzen für EU-Staaten, die ohne Anlass speichern lassen wollen.

Dass es unmöglich wäre, den Mitgliedsstaaten eine verdachtslose Vorratsdatenspeicherung (nicht die Anwendung der Richtlinie!) freizustellen, besagt das Rechtsgutachten nicht. Es behandelt die Frage einer optionalen Richtlinie, nicht aber den Vorschlag einer Aufhebung der Vorratsdatenspeicherungspflicht. Insofern verfehlt das Gutachten das Thema.

Soweit die EU-Kommission meint, ein Wahlrecht der Mitgliedsstaaten würde zur Wiedereinführung von Hemmnissen für den Binnenmarkt führen, erlaubt das EU-Recht selbstverständlich die (teilweise) Rücknahme von Harmonisierungsmaßnahmen. Im Übrigen hat die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in Wahrheit eine Fragmentierung und keineswegs eine Harmonisierung der Pflichten von TK-Anbietern erreicht. Ein enges Wahlrecht, wie von Nichtregierungsorganisationen vorgeschlagen, könnte eine viel stärkere Vereinheitlichung als bisher bewirken (Näheres hier).

Gänzlich ins Abstruse driftet die Argumentation der EU-Kommission ab, wenn der EU-weite Zwang zur Erfassung aller Kontakte als „gemeinsamer Mindeststandard für […] Grundrechte“ dargestellt wird. Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung kann allenfalls als einheitliche Aushöhlung der Grundrechte angesehen werden. Ein Zwang zur unterschiedslosen, pauschalen Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten ist das Gegenteil von Grundrechtsschutz.

Auf meine Nachfrage hat der Europarechtler Prof. Dr. Fischer-Lescano bestätigt, dass das oben als Kompromiss skizzierte „Konditionalmodell“ möglich und umsetzbar wäre. Leider weigert sich das EU-Innenkommissariat standhaft, dieses Modell in seine laufenden Überlegungen (Folgenabschätzung) zur Änderung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung auch nur einzubeziehen. Es wird daher wohl dem EU-Parlament und dem EU-Gerichtshof überlassen bleiben, diese Kompromissmöglichkeit zu erörtern. Die Frage der Vorratsdatenspeicherung ist viel zu sensibel und wird in Europa viel zu unterschiedlich beurteilt, als dass ein EU-weites Einheitskorsett möglich wäre.

Anders als der Juristische Dienst andeutet ist es der EU übrigens nicht möglich, eine Vorratsdatenspeicherung auf der Grundlage von Art. 87 Abs. 2 Buchst. a AEUV zu erzwingen, weil Vorratsdatenspeicherung die nationale Strafverfolgung erleichtern soll und die internationale polizeiliche Zusammenarbeit nicht betrifft (Details hier).

Beitrag von Patrick – Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.

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