Auf circa 130 Seiten stellen die Herausgeberinnen des Gen-ethischen Netzwerks eine lesenswerte Sammlung von Beiträgen zusammen, die sich aus verschiedenen Perspektiven mit der polizeilichen DNA-Vorratsspeicherung in Deutschland und anderen Ländern beschäftigen. Der bei Assoziation A erschienene und u.a. von der Wau Holland und Sebastian Cobler Stiftung geförderte Sammelband entstand im Nachgang der Kampagne “DNA-Sammelwut stoppen!”, die in den Jahren 2011 und 2012 den Fokus bürgerrechtlicher Kritik auch auf diese biometrischen Datensammlungen lenken sollte. Damals hatte beispielsweise das überdimensionierte Wattestäbchen – bekannt unter dem Namen “Willi Watte” – auf der Demonstration “Freiheit statt Angst” für Aufmerksamkeit gesorgt.

“Über eine Million Profile: DNA-Sammelwut in Deutschland”

Im ersten Teil des Buches wird neben den historischen, rechtlichen und biostatistischen Grundlagen vor allem über die Fehlerquellen, Unwägbarkeiten und ständigen Ausweitungen dieser polizeilichen Ermittlungsmethode aufgeklärt. Beispielsweise thematisiert die Journalistin Heike Kleffner in ihrem Beitrag, wie die DNA-Spur einer “unbekannten weiblichen Person” die Ermittlungen im Mordfall Kiesewetter in die Irre leitete. Die unter dem Begriff “Phantom von Heilbronn” bekannt gewordene falsche Verdächtigung, verursacht durch eine Verunreinigung von Wattestäbchen für DNA-Probennahmen, war allerdings nur eine Seite des schockierenden Falls, dessen gesamte Dimension erst später im Rahmen der NSU-Ermittlungen offenkundig wurde. Begünstigt wurde die falsche Ermittlungsrichtung nämlich nicht nur durch die vorgeblich so beweiskräftigten DNA-Spuren, sondern mindestens ebenso durch rassistische Stereotype der ermittelnden Polizeibeamten und der aufmerksamkeitsheischenden Medien, die unter der Überschrift “Landfahrer” und “Spur ins Zigeunermilieu” mehrere Sinti- und Roma-Familien unter Generalverdacht stellten.

Die rassistische Komponente von DNA-Datenbanken wird auch im Beitrag von Susanne Schultz über die Methode der Verwandtensuche deutlich: Da in den USA afroamerikanische Familien durchschnittlich größer sind als die Familien weißer US-Amerikaner, geraten durch das in einigen Bundesstaaten übliche, aber unscharfe “familial searching” diese Bevölkerungsgruppen häufiger in den Fokus polizeilicher Ermittlungen. Vorurteile gegenüber Menschen mit dunkler Hautfarbe durch die überwiegend von weißen besetzten Polizeiberufe führen zu einer diskriminierenden Strafverfolgungspraxis, die sich unter dem Stichwort “racial profiling” auch in Deutschland wiederfindet.

Der Beitrag über den ausgehöhlten Datenschutz und die Rechtslage in Deutschland zeigt die Problematik der DNA-Sammelwut: Die beim Bundeskriminalamt (BKA) im Verbund mit den Ländern betriebene DNA-Analyse-Datei (DAD) enthält derzeit 1.085.348 Datensätze, davon 826.924 Personen- und 258.424 Spurendatensätze. Anders als vom BKA behauptet, sind die meisten der Einträge jedoch nicht aufgrund schwerer Verbrechen gespeichert. Stattdessen werden dort vorwiegend Diebstahldelikte und Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz gespeichert. Zudem sind die gesetzlichen Vorschriften mit unbestimmten Rechtsbegriffen durchsetzt und in der Praxis werden selbst die wenigen Datenschutzgesichtspunkte – beispielsweise bei der Durchführung von Massengentests – nicht eingehalten. Insgesamt wird damit deutlich, dass für den Gesetzgeber und die Exekutive die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen auch in diesem Bereich polizeilicher Datenspeicherung als nachrangig gelten.

“Individuell und gemeinsam: Kampagnen, Protest, Widerstand hierzulande”

Der zweite Teil des Buchs gibt einen Überblick zu Kampagnen, Protest und Widerstand gegen die Praktiken der biometrischen Erfassung und die Vorratsdatenspeicherung von DNA-Profilen. Die meist relativ kurzen Beiträge zeichnen ein trauriges Bild: Einerseits wird zwar deutlich, dass es durchaus gezielte Kritik und Widerstand gegen diese Ermittlungsmethode gibt; schon in der gemeinsamen Erklärung verschiedener Frauenverbände zur Errichtung der DNA-Analyse Datei von 1999 hatten diese deutliche Worte gefunden. Dort ist beispielsweise von einem “trojanischen Pferd” und der Instrumentalisierung der Opfer für “Justizinteressen” die Rede. Andererseits sind die wenigen Versuche einer Verweigerung der DNA-Abgabe oft nicht erfolgreich.

Beispielsweise hat die Polizei trotz fehlender richterlicher Anordnung durch Zwangs- und Einschüchterungsmaßnahmen bei der Freiburger Wagengruppe “Sand im Getriebe” die Abnahme von DNA-Proben erreicht. Auslöser war eine geringfügige Sachbeschädigung in einer Straße in der Nähe. Auch ein Göttinger Antifa-Aktivist musste trotz renitenter Weigerung schließlich eine Speichelprobe abgeben, weil sich das Bundesverfassungsgericht letztendlich für seine Beschwerde als nicht zuständig erklärte. Allerdings sind solche Verweigerungen zugleich oft folgenschwer für die Betroffenen, wie der Beitrag von Winfried Wessolleck zeigt: In Gütersloh wurden 27 Verweigerer eines Massengentests von der Polizei kurzum zu “Tatverdächtigen” gemacht und von ihnen ein Alibi gefordert. Bei zehn Personen wurde anschließend eine richterliche Anordnung zur Speichelprobe eingeholt, obwohl die Beteiligung an Massengentests eigentlich “freiwillig” ist. Einer der Verweigerer wurde dann – ohne über die richterliche Anordnung informiert zu werden – von der Polizei in seiner Wohnung überfallen und gefesselt, mit Pfefferspray handlungsunfähig gemacht und auf der Polizeiwache zur Speichelprobe gezwungen. Zwar war die nachträgliche Beschwerde des Anwalts des Betroffenen erfolgreich, da kein Anfangsverdacht vorlag und kein Mensch gezwungen werden kann, den Nachweis seiner Unschuld selbst zu führen. Allerdings blieb die Strafanzeige wegen Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Nötigung gegen die Polizei sowie wegen Verfolgung Unschuldiger gegen Staatsanwaltschaft und Amtsrichterin folgenlos. Ein Klageerzwingungsverfahren wurde ebenfalls abgelehnt.

Ein ermutigendes Beispiel wird hingegen im Beitrag von Katrin Lange geschildert: Als in Erfurt wegen der Verwüstung von Büroräumen und des Diebstahls einer Spardose mit ca. 15 Euro alle Mitarbeiter der betroffenen Liegenschaft zur Abgabe einer “freiwilligen Speichelprobe” zum Zweck des Spurenabgleichs aufgefordert worden, zögerte eine Mitarbeiterin aus Unbehagen. Wenig später drohte die Kriminalpolizei in einem Telefongespräch damit, dass die Verweigernde möglicherweise selbst in den Fokus der Ermittlungen gelangen könnte – samt richterlicher Anordnung der gewünschten DNA-Speichelprobe. Daraufhin verweigerten auch die näheren Kollegen der Mitarbeiterin ihrerseits die Abgabe der Vergleichsprobe.

“Europa – USA – Global: DNA-Datennetze und Protestkampagnen”

Im dritten Teil des Buches erweitert sich der Fokus auf internationale Aspekte und Kampagnen. Dass Großbritannien nicht nur in Sachen Videoüberwachung eine weltweite Vorreiterrolle einnimmt, wird im Bericht von Alexander Schwarz deutlich: Weil er vor 20 Jahren in London einen unzulässigen Fahrschein benutzte und deshalb kurzerhand festgenommen wurde, ist sein DNA-Profil noch heute in der britischen DNA-Datenbank (NDNAD) gespeichert – zusammen mit den Profilen fast fünf Millionen weiterer Personen. Zu dieser Unmenge kommen noch ca. 450.000 Spurendatensätze hinzu, wie Helen Wallace in ihrem ausführlichen Beitrag beschreibt. Der Kampagne “GeneWatch” und einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist es zu verdanken, dass seit 2011 zumindest die DNA-Daten von Unschuldigen – solange es sich nicht um ein schweres Delikt handelt – gelöscht werden müssen.

Eric Töpfer nimmt in seinem Beitrag den Vertrag von Prüm und das europäische DNA-Datennetz in den Blick, welches maßgeblich vom SPD-Sicherheitsarchitekten Otto Schily ersonnen und vorangetrieben wurde. Dieser Vertrag dient auch als Vorbild für bilaterale Abkommen, mit denen beispielsweise die USA ihre biometrischen Datenbanken weltweit vernetzen. Zu Recht ordnet Töpfer diese Strategie als “transatlantischen DNA-Freihandel” ein, obgleich mit Deutschland wegen technischer Schwierigkeiten der automatisierte Abruf nach dem so genannten Hit/no-Hit-Verfahren noch nicht in die Praxis umgesetzt worden ist. Schließlich beleuchtet Uwe Wendling die Lobbypolitik der Biotech-Branche. Am Beispiel der in Washington ansässigen Firma “Gordon Thomas Honeywall ‘Governmental Affairs’” (GTH-GA) wird gezeigt, mit welchen Tricks die Lobbyisten vorwiegend in afrikanischen Staaten für eine umfassende DNA-Vorratsspeicherung und die Übernahme der FBI-Software CODIS werben.

Den Abschluss des Buches bildet ein Kompendium für Betroffene von DNA-Speicherungen, das auch im Internet auf den Webseiten des Gen-ethischen Netzwerks oder bei der Initiative Datenschmutz.de zur Verfügung steht. Darin wird neben der komplexen Rechtslage auch die dahinter wirkende DNA-Analysetechnik sowie die Vernetzung von DNA-Datenbanken kurz und übersichtlich erklärt. Schließlich kommen auch Strategien der Gegenwehr zur Sprache.

Fazit

Ein äußerst lesenswertes Buch, welches uns vielschichtig und unterhaltsam vor Augen führt, dass Regierungen und Polizeibehörden das Mittel der Vorratsspeicherung nicht nur für den Bereich der Telekommunikationsverbindungsdaten auf der Agenda hatten und haben. Einziges Manko: Die DNA-Sammelwut von Konzernen und privaten Forschungsinitiativen kommt bei der gewählten Fokussierung auf staatliche Bedarfsträger leider nicht zur Sprache. Gut das diese Datenberge unlängst in anderem Zusammenhang einer ausführlichen Kritik unterzogen worden sind.

Gen-ethisches Netzwerk (Hg.): Identität auf Vorrat – Zur Kritik der DNA-Sammelwut, Assoziation A, 2014, ISBN: 978-3-86241-439-0

Am 27. November findet ab 20 Uhr im Berliner Café k-fetisch (Wildenbruchstr. 86) die Buchvorstellung und Release-Party statt.

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors V. wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

Unsere Freunde von der Humanistischen Union rufen für den 7.11. dazu auf, den Inlandsgeheimdienst symbolisch in den Ruhestand zu schicken. Ein guter Vorschlag, den auch die Ortsgruppe Berlin des Arbeitskreises Vorratsspeicherung unterstützt, weil der „Verfassungsschutz“ und seine Führungskräfte immer eifrige Verfechter und Nutznießer von Bestandsdaten sowie der anlasslosen Erfassung der Telekommunikationsverbindungsdaten aller Menschen waren (und teilweise noch immer sind).

Aus der Einladung der Kampagne „ausgeschnüffelt“ der Humanistischen Union:

Am Freitag, den 7. November 2014, wird der deutsche Inlandsgeheimdienst mit dem irreführenden Namen „Verfassungsschutz“ 64 Jahre alt. Wir schicken ihn in Frührente! Dafür stellen wir uns vor die Tore des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin-Treptow – mit einem überdimensionalen Rentenbescheid im Gepäck und lassen die Sektkorken knallen. Kommt zur Aktion!


Wann: Freitag, 7. November, 11:00 – ca. 12:00 Uhr
Wo: Elsenstr. 22, vor der Einfahrt zum GTAZ (nahe S-Bahnhof Treptower Park, Berlin)

Es gibt gute Gründe, den „Verfassungsschutz“ in Rente zu schicken: Seine Blindheit auf dem rechten Auge hat mit fortgeschrittenem Alter nur zugenommen. Wer als Sicherheitsbehörde über zehn Jahre lang ein rechtes Mördernetzwerk (NSU) unentdeckt lässt trotz zahlreicher Hinweise, hat versagt. Er ist eine Erfindung des Kalten Krieges und hat sich längst überholt. Schon zur Wende hätte man ihn abwracken sollen. Und er scheint an Inkontinenz zu leiden, da er immer wieder Dokumente an die NSA durchsickern lässt.

Ein Problem sind auch die Gemeinsamen Zentren mit anderen
Sicherheitsbehörden wie das GTAZ in Berlin. Sie entbehren bis heute jeder rechtlichen Grundlage. Geheimdienste und Polizeien sitzen hier Tür an Tür und treffen sich zu Lagebesprechungen. Dabei sollten die Behörden getrennt arbeiten, damit Geheimpolizeien wie die Stasi oder die Gestapo Vergangenheit bleiben.

Schreibt bitte eine kurze Rückmeldung an , wenn ihr zur Aktion kommen wollt, damit wir planen können. Und bringt gerne Banner und Plakate mit, die zu dem Thema passen.

Daher rufen wir als Ortsgruppe Berlin zu reger Beteiligung an dieser Aktion auf!

The Commission has released documents showing that DG Justice harshly criticised the Data Retention Directive even while the Commission was defending it in Court.

According to a DG Justice statement of 2012,

  • the evidence -both qualitatively and quantitatively- provided in support of [the Directive] was „insufficient“
  • data preservation – ‚quick freeze‘ and ‚quick freeze plus‘ – was „a measure much less invasive in the fundamental rights of much less individuals and is therefore more proportionate than the current rules of Directive 2006/24/EC“

The Commission chose not to disclose those observations to the European Court of Justice but instead submitted observations according to which

  • „considerable empirical evidencen attests that data retention is valuable, and in some cases indispensable, for investigating and prosecuting crime“
  • data preservation was „less effective than data retention in combating crime“
  • „Directive 2006/24 strikes an appropriate balance between the requirements of law enforcement and the need to keep interference with privacy to a minimum by requiring only traffic and location data“

I find it striking that the Commission internally knew well about the disproportionality of blanket data retention but still defended it in Court as though no doubts existed whatsoever. Subsequently to the annullment, Commissioner Malmström even had the cheek to claim that the judgement „confirms the critical conclusions in terms of proportionality of the Commission’s evaluation report of 2011 on the implementation of the data retention directive.“

This is so sickeningly dishonest.

All documents obtained in relation to the ECJ judgement on data retention

The information and views set out in this post are those of the author and do not necessarily reflect the opinion of the Working Group on Data Retention (AK Vorrat).

Nach jahrelangem Kampf der internationalen Bürgerrechtsbewegung hat der EU-Gerichtshof die EU-Richtlinie zur flächendeckenden und anlasslosen Protokollierung unseres Telekommunikations- und Bewegungsverhaltens, die sogenannte Vorratsdatenspeicherung, im April für grundrechtswidrig und nichtig erklärt. Doch welche Auswirkung hat die Nichtigkeit der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung auf die fortbestehenden nationalen Umsetzungsgesetze?

Nachdem schon der Verfassungsgerichtshof Österreichs mit Urteil vom 27. Juni 2014 das österreichische Umsetzungsgesetz für verfassungswidrig erklärt hatte, hat auch das Verfassungsgericht Sloweniens mit Urteil vom 3. Juli 2014 das dortige Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gekippt. Da diese Entscheidung nur auf slowenisch vorliegt und bisher in Deutschland keine Beachtung gefunden hat, soll sie an dieser Stelle näher beleuchtet werden.

In Slowenien hatte die Datenschutzbeauftragte das Verfassungsgericht angerufen. Das Verfassungsgericht hat mit Urteil vom 3. Juli die slowenischen Bestimmungen zur Vorratsdatenspeicherung insgesamt aufgehoben und die sofortige Löschung der auf dieser Grundlage gespeicherten Daten angeordnet.

Die Leitsätze des Urteils lauten übersetzt:

Die verpflichtende und unterschiedslose Vorratsspeicherung bestimmter Verkehrsdaten aller Kommunikationsvorgänge der Festnetztelefonie, der Mobilfunktelefonie, des Internetzugangs, der E-Mail-Kommunikation und der Internettelefonie (für 14 bzw. 8 Monate) durch Telekommunikationsanbieter entstehen große Sammlungen personenbezogener Daten der Nutzer dieser Dienste, aus denen sehr genaue Rückschlüsse über das Privatleben der Betroffenen gezogen werden können. Eine solche Datenverarbeitung greift in das Individualrecht auf Schutz personenbezogener Daten ein (Artikel 38 Absatz 1 der Verfassung).

Die verpflichtende und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrsdaten greift erheblich in das Recht auf Schutz personenbezogener Daten ein in Anbetracht der Menge betroffener Menschen, der Art der zu speichernden Daten und des Umstands, dass die Schaffung großer Sammlungen personenbezogener Daten der gesamten Bevölkerung das Risiko eines illegalen Zugriffs auf diese Daten erheblich erhöht. Die Tiefe des Grundrechtseingriffs beruht maßgeblich darauf, dass die Personen, deren Daten gespeichert werden, über Speicherung und mögliche spätere Nutzung der Daten nicht in Kenntnis gesetzt werden, so dass die Vorratsdatenspeicherung in ihnen das diffuse Gefühl des Beobachtetseins entstehen lässt, welches sich auf die Ausübung anderer Rechte auswirken kann, besonders auf das Recht auf freie Meinungsäußerung und Information (Artikel 38 Absatz 1 der Verfassung).

Der Gesetzgeber verfolgte mit dem Eingriff in den Datenschutz ein legitimes Ziel, nämlich die Verhütung, Aufklärung und Verfolgung schwerer Strataten, die Landesverteidigung und den Schutz der nationalen Sicherheit mit dem Ziel, Menschenrechte, Grundfreiheiten sowie andere grundlegende Rechtsgüter gegen rechtswidrige Angriffe zu schutzen.

Die angefochtene Maßnahme ist auch geeignet, diese Ziele zu erreichen, wenngleich in bestimmten Fällen wegen technischer Umgehung oder des anonymen Gebrauchs von Telekommunikationsdiensten das Ziel in einem gewissen Umfang nicht erreicht werden kann. Die Maßnahme ist unangemessen, wenn das Mittel nicht in einem angemessenen Verhältnis zu diesem Ziel steht oder wenn sich das Ziel mit dem Mittel überhaupt nicht erreichen lässt.

Die angefochtene Maßnahme ist nicht erforderlich. Eine verpflichtende und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrsdaten greift zwangsläufig hauptsächlich in die Rechte derjenigen ein, die in keiner auch nur mittelbaren Beziehung zu den Zielen der Speicherung stehen und keine Veranlassung für den Eingriff in den Schutz ihrer Daten gegeben haben. Dabei werden selbst solche Kommunikationsvorgänge gespeichert, deren Vertraulichkeit oder Anonymität erforderlich ist um den Zweck der Kommunikation zu erreichen. Die angefochtene Verordnung beschränkt die Vorratsdatenspeicherung nicht auf einen begrenzten Zeitraum, auf eine geografische Gegend oder auf eine Gruppe von Personen, die in einer bestimmten Beziehung zu dem Ziel der Maßnahme stehen. Der Gesetzgeber hat die Gründe für seine Wahl einer Speicherdauer von 14 Monaten bezogen auf Telefondienste und acht Monaten bezogen auf andere Dienste nicht erklärt, so dass kein Grund dafür ersichtlich ist, warum nicht auch eine kürzere Speicherdauer dem verfolgten Zweck Rechnung tragen könnte. Die Maßnahme ist nicht erforderlich, weil die Verarbeitung der Daten nicht auf die Ermittlung, Aufdeckung und Verfolgung schwerer Straftaten beschränkt ist. Weil der Gesetzgeber mit der Anordnung einer verpflichtenden Vorratsspeicherung von Verkehrsdaten erheblich in das Recht auf Schutz personenbezogener Daten eingegriffen hat, ohne die Voraussetzungen dieses Eingriffs sorgfältig auf das unbedingt erforderliche Maß zur Erreichung des Zwecks beschränkt zu haben, hat er unverhältnismäßig tief in das Recht auf Schutz personenbezogener Daten nach Artikel 38 Absatz 1 der Verfassung eingegriffen. Deshalb ist die angefochtene Verordnung verfassungswidrig.

In den Entscheidungsgründen wird die Argumentation der Datenschutzbeauftragten als Antragstellerin zusammengefasst, die sehr interessant ist: Verkehrsdaten sollten ihrer Auffassung nach denselben Schutz genießen wie der Inhalt der Telekommunikation – ein Standpunkt, den die heutigen Verwendungsmöglichkeiten von „Metadaten“ zwingend erforderlich machen, der im deutschen Recht aber bislang nicht angekommen und akzeptiert ist. Die Datenschutzbeauftragte hat auch argumentiert, nur eine signifikant höhere Aufklärungsquote bei schweren Straftaten könnte eine Maßnahme wie eine unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung rechtfertigen – bekanntlich hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags in keinem einzigen EU-Land eine Erhöhung der Aufklärungsquote durch Einführung einer Vorratsdatenspeicherung feststellen können.

Das Verfassungsgericht prüft die Vereinbarkeit mit Europarecht ausschließlich anhand der TK-Datenschutzrichtlinie 2002/58/EG, deren Artikel 15 nationalen Gesetzen zur Vorratsdatenspeicherung nicht entgegen stehe (ich bin dagegen der Meinung, dass diese Bestimmung nur eine anlassbezogene Speicherung abdeckt). Das Verfassungsgericht vertritt die Auffassung, Europarecht stehe nationalen Gesetzen zur Vorratsdatenspeicherung nicht entgegen. Es misst das nationale Gesetz nicht an der EU-Grundrechtecharta und ihrer Auslegung durch den EuGH, ohne dies zu begründen (vielfach wird dagegen die Auffassung vertreten, nationale Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung müssten sich an der EU-Grundrechtecharta messen lassen).

Die Unvereinbarkeit mit der slowenischen Verfassung stützt das Verfassungsgericht – wie zuvor schon der EuGH – auf eine Reihe von Gründen, die in den Leitsätzen zusammengefasst sind. Zwei Absätze aus den Urteilsgründen möchte ich wörtlich übersetzen, weil sie sich gegen das Prinzip einer anlasslosen und unterschiedslosen Vorratsdatenspeicherung als solches richten:

24. Die angefochtene Verordnung sieht eine präventive (vorsorgliche) und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrsdaten bestimmter elektronischer Kommunikationsvorgänge vor. Infolge dieses Verfahrens bewahren die Anbieter für eine bestimmte Zeit die Verkehrsdaten aller Nutzer von Telefonie in festen und mobilen Netzen, sowie Daten betreffend Internetzugang, E-Mail und Internettelefonie auf, wie es in Artikel 164 ZEKom-1 vorgesehen ist. In Anbetracht der wachsenden und unterschiedslosen Vorratsspeicherung von täglich anfallenden Daten, erlauben es die riesigen Datenbanken der Anbieter mit 14 oder acht Monate zurück reichenden Daten jederzeit, sehr detaillierte Schlüsse auf das Privatlebens jedes Benutzers dieser Dienste zu ziehen. Da die moderne Kommunikation hauptsätzlich über elektronische Kommunikationsdienste erfolgt, stellt ein solches Verfahren tatsächlich einen sehr tiefgreifenden Eingriff in die Privatsphäre der gesamten Bevölkerung dar, sowohl gemessen an den betroffenen Personen als auch an den zu speichernden Daten. Der Grundrechtseingriff liegt maßgeblich darin begründet, dass eine solch weitreichende Sammlung personenbezogener Daten der gesamten Bevölkerung das Risiko einer Datenverwendung entgegen den gesetzlichen Verpflichtungen der Anbieter nach Artikel 165 ZEKom-1 sowie eines Zugriffs Unbefugter auf die Daten zu illegalen Zwecken maßgeblich erhöht. Ein solches Verfahren berührt die Menschenrechte und Grundfreiheiten des Einzelnen erheblich, weil er über die Speicherung und die mögliche nachfolgende Nutzung seiner Daten nicht informiert wird, was ein Gefühl der Überwachung erzeugen kann. Ein solches diffuses Gefühl der Überwachung kann sich auf die Ausübung anderer Rechte, besonders des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information nach Artikel 39 der Verfassung und Artikel 11 der Charta, auswirken.

25. Eine präventive und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Daten bedeutet naturgemäß, dass hauptsächlich die Rechte von Menschen betroffen sind, die in keiner auch nur indirekten Beziehung zu den Zielen der Vorratsdatenspeicherung stehen oder stehen werden. Wie bei der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung hat auch der slowenische Gesetzgeber sich nicht auf Informationen über diejenigen beschränkt, die in einer vernünftigen und objektiv belegbaren Beziehung zu den Zwecken der Maßnahme stehen. Eine wahllose und vorsorgliche Vorratsspeicherung von Verkehrsdaten greift notwendigerweise zu einem überwiegenden Teil in die Rechte desjenigen Teils der Bevölkerung ein, der keinen Anlass zu einem solchen Eingriff gegeben hat. Wie der EU-Gerichtshof hervorgehoben hat, trifft dieses zeitlich unbegrenzte Verfahren auch Kommunikationsvorgänge, die ansonsten besonderen Schutz genießen. Das Verfahren lässt die anonyme Nutzung von Kommunikationsmittel in all denjenigen Fällen nicht mehr zu, in denen die vertrauliche und anonyme Nutzung von Kommunikationsmittels notwendig ist um ihr Ziel zu erreichen (z.B. Telefondienste zur Hilfe in psychischen Notlagen). Auch beschränkt die angefochtene Verordnung, ebenso wie die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, die Vorratsdatenspeicherung nicht auf eine begrenzte Zeitdauer, geografische Gegend oder Gruppe von Personen, die in einer bestimmten Beziehung zu den verfolgten Zielen der Maßnahme stehen.

In Anbetracht dieser Ausführungen, die denjenigen des EU-Gerichtshofs nahe kommen, verwundert die Einschätzung des Juristischen Dienstes des Rates nicht. Dieser ist neulich zu dem Ergebnis gekommen, dass die Argumente „nahe legen, dass eine allgemeine, voraussetzungslose Speicherung von Daten künftig nicht mehr möglich ist“. Umso unglaublicher, dass die meisten EU-Regierungen an Gesetzen zur Totalerfassung des Kommunikationsverhaltens der Bevölkerung festhalten und sogar – wie die schwarz-rote Bundesregierung – die Wiedereinführung eines EU-weiten Zwangs zur Vorratsdatenspeicherung betreiben.

Siehe auch:

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors Patrick Breyer wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

Wochenblick 32

#1 Freiheit statt Angst!

In aller Kürze:

* Es wird einen Bus aus Köln geben, der wohl auch in Bielefeld hält. Vielen Dank Lara für das Engagement!

* Die Demostrecke ist offiziell, mehr dazu auf dem Blog
* Ein Aufbauplan ging in aktualisierter Fassung auch schon rum. Nach dem Anmeldergespräch kam jedenfalls raus, dass die Bühne auf der Straße des 17. Juni aufgebaut werden muss, ein paar Meter in Richtung Siegessäule. Also in etwa da, wo am Wochenende die Bühne der Hanfparade war.
* Die Bühne wird dann im übrigen die „mittlere“ Option, die 18.000 Euro
kosten wird und gut 80m² groß sein wird.
* Die Kieztouren von Ingo sind wirklich super, kann ich nur empfehlen!
Alle Infos im Wiki:
http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Kieztouren_Berlin_2014 – morgen
Bergmannstraße zum Beispiel!

Ausführlich:

Und dann sind da noch die über 150 Mails zu zwei großen Diskussionen gewesen: Katta auf der Bühne und die Generation Youtube. Wobei letztere sich kurz zusammenfassen lässt in „wir müssen sexyier werden, die Jugend ist noch nicht verloren“. Ideen dafür wären zum Beispiel Jung&Naiv, wobei der nicht wirklich die Jugend anspricht. Und ich glaube, LeFloid wird auch kontaktiert. Ansonsten fand ich die Diskussion darum sehr kulturpessimistisch und wenig konstruktiv. Aber das ist bloß meine Meinung.

Noch sehr viel intensiver wurde über einen möglichen Redebeitrag von Katta diskutiert.

Warum die Frage überhaupt auf der Liste und nicht beim Bündnistreffen mit Katta diskutiert wurde, sei angebracht zu fragen. Jedenfalls ist damit etwas losgestoßen worden, das, wie Ivo heute richtig bemerkt hat, sehr viel Energie gebunden hat, die auch gut für andere Dinge gebraucht werden konnte. Aber es stimmt ja auch, der Bedarf nach Diskussion war da. Ein zufriedenstellendes Ergebnis gibt es nicht, wohl auch mangels Entscheidungsgremium – die Liste? das Bündnistreffen? – und so bleiben bloß einige Argumente zu nennen:

Pro:
Super engagiert, super Rednerin, bei Campact, die ja immerhin einer DER großen Bündnispartner sind. Und Katta hat kein Amt oder Mandat mehr. Wer Katta kennt, kennt noch unzählige Gründe mehr, die dafür sprechen. Und wer Katta nicht auf die Bühne holt, müsste konsequenterweise auch Peter Schaar nicht reden lassen.

Contra:
Noch zu sehr in der Piratenwahrnehmung, andere Parteien wären damit benachteiligt. Natürlich ist Katta auch noch bei den Piraten aktiv.

Nun mangelt es wirklich an Entscheidungsgremien, um das verbindlich festzulegen. Fabian hat gefragt, ob es einen „verbindlichen“ Konsensantrag gibt, der wohl aber nur für den AK gelten kann, oder hat das Bündnis die gleichen Regeln wie der AK?

In die gleiche Richtung geht auch die Kritik, die aufkam, dass diese Frage überhaupt auf dem Bündnistreffen diskutiert wurde. Denn im Kern  dreht es sich um Entscheidungsgewalt, liegt die bei der Liste oder beim Bündnistreffen? Wie V. richtig zu bedenken gab, müssen aber auch auf den Treffen Entscheidungen gefällt werden, sonst wären die Treffen obsolet. Dass überhaupt darüber auf der Liste und auf dem Treffen ohne Katta diskutiert wurde, darüber lässt sich allerdings streiten.

Eine endgültige Entscheidung ist damit noch nicht getroffen. Allerdings kam von anderen Parteien ein Veto, das nachvollziehbar ist. Somit lässt sich auch keine gütliche Einigung finden, im wahrsten Wortsinn tragisch, denn irgendjemand muss hier vor den Kopf gestoßen werden. padeluun hat die vorläufige Konklusion getroffen und festgestellt, dass es Dissens gibt. Allerdings muss dringend festgestellt werden, wie diese Regel weiter gehandhabt wird. Es kann ja nicht angehen, dass Menschen, die sich in Parteien engagiert haben und Mandate oder Ämter hatten, auf ewig als offizielle Vertreter des AK ausgeschlossen sind und auf unseren Demos nicht reden dürfen.

#2 Vorratsdatenspeicherung für 7 Tage – 1000 Euro dagegen

Wie letzte Woche berichtet hat der BGH erlaubt, dass Provider sieben Tage lang die IP-Adressen speichern, angeblich zur Fehlerbehebung.  Patrick hat bekannt gemacht, dass der Kläger jetzt den nächten Schritt gehen müsste, das aber nur kann, wenn rund 1000 Euro an Spenden dafür reinkommen, weil die Rechtschutzversicherung des Klägers das nicht mehr übernimmt. Wir wollen eine Pressemitteilung und einen  Blogbeitrag draus machen.

Ergänzung vom 16.08.2014: Der Spendenaufruf ist jetzt online, bitte spendet und verbreitet ihn.

#3 Vernetzungsarbeit

Die soll nach der FSA, am 31. August 2014, stattfinden und ein neues, dauerhaftes Bündnis gegen Überwachung etablieren, deutschlandweit. Konsens dazu gibt es, diese Vernetzungsarbeit mit 50 Euro Raummiete zu unterstützen. Ich bin gespannt auf die Diskussionen.

#4 Aktivwoche in Hattingen

Dazu gab es von Leena einen Bericht. Danke für die viele Arbeit, als Frage, die gerade aufkommt, ist dafür wichtig: Soll der Themenkreis des AK-Vorrat erweitert werden. Ilf sprach sich schon dagegen aus, andere Stimmen?

#5 Aus den Ortsgruppen

##1 Berlin
Trifft sich, wie schon angekündigt, am 8. September in der c-base das
nächste Mal – und derzeit läuft ein Konsensantrag, ob die Berliner OG
die Datenflut ideell unterstützt.

##2 Dresden
fragt sich, ob es noch aktiv ist…

#6 links:

http://www.watson.ch/!515544117
Auszug: „Polizei und Staat wollen Sie im Internet umfassend
überwachen. Orange, Sunrise und Swisscom sagen: «Nein»

https://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/de/ec/143498.pdf