Archives

All posts by Kai-Uwe Steffens

In der letzten Woche fand in Brüssel ein Treffen der Justiz- und Innenminister der EU-Mitgliedsstaaten statt, auf dem eine Entscheidung zur geplanten EU-Datenschutzreform getroffen werden sollte. Nachdem im EU-Parlament im Oktober eine gemeinsame Position erarbeitet werden konnte, müssen nun noch EU-Rat und Kommission zustimmen, damit die Vereinheitlichungen und Verbesserungen für den Datenschutz in der EU endlich in Kraft treten können.

Nur leider konnten sich die Ratsvertreter ein weiteres mal nicht einigen. Ob, was schon oft auch aus der EU-Kommission heraus kritisiert wurde, wieder das deutsche Innenministerium auf der Bremse stand, ist nicht bekannt geworden. Klar ist aber, dass damit eine Verabschiedung der Verordnung noch vor den kommenden Europawahlen immer unwahrscheinlicher wird. Und vieles spricht dafür, dass danach die Karten neu gemischt würden.

So weit, so schlecht. Und gänzlich unerwartet kam das nicht. Erschreckend ist aber, welche Denke stellenweise bei den Beteiligten vorherrscht. Zitiert sei dazu exemplarisch der litauische Justizminister Juozas Bertanotis, der im Rahmen der Ratspräsidentschaft seines Landes die Sitzung leitete:

„We … must work to ensure a proper balance between business interests and fundamental rights of citizens.“

In diesem einen Halbsatz manifestiert sich das gesamte Dilemma, an der die Datenschutzgrundverordnung zu scheitern droht.

Um es mal unmissverständlich für die Verantwortlichen und die, die noch immer nichts begriffen haben, zu formulieren: die einzig zulässige Balance in einem Rechtsstaatssystem zwischen Grundrechten, die nicht umsonst das Prädikat ‚unveräußerlich‘ tragen, und Unternehmensinteressen, also Profit, ist der Vollausschlag der Waage auf der Grundrechtsseite. Jede Form von Abkehr von dieser Maxime bedeutet, dass die Grundrechte der Menschen verkauft werden. Für Geld.

Oder anders ausgedrückt: Unternehmen, die zur Durchsetzung ihrer Interessen auf Grundrechtseingriffe angewiesen sind, haben entweder ihr Geschäftsmodell zu ändern, oder ohne Umweg über Rettungspakete in die Pleite zu gehen.

Die Bewohner der Europäischen Union müssen sich darauf verlassen können, dass die gewählten Volksvertreter ihren fundamentalen Rechten zur gebührenden Geltung verhelfen. Abstriche aus monetären Gründen sind da schlicht indiskutabel. So lange aber in den Köpfen von Ministern, die über die Datenschutzgrundverordnung zu entscheiden haben, noch freiheitsberaubende Mauern stehen und das wissen über derartige Selbstverständlichkeiten fehlt, muss man sich über die Zukunft des Rechts auf Privatheit und anderer Grundrechte große Sorgen machen.

Uns allen, die wir für den Erhalt dieser Rechte streiten, wird offensichtlich die Arbeit so schnell nicht ausgehen. Leider.

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors Kai-Uwe Steffens wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

Appeal to the Conference of Presidents of the European Parliament

Dear Presidents,

We write to you on behalf of 23 European non-governmental organisations protecting fundamental rights, including the freedom of expression and information, to lend our support to the selection of Edward Snowden for the Sakharov Prize.

Edward Snowden’s recent disclosures have triggered a necessary and long-overdue public debate in the United States and beyond about the acceptable boundaries of surveillance in a democratic state and about the legitimacy and proportionality of counter-terrorism intelligence activities. The revelations also have prompted debates in the European Union.

The Sakharov Prize for Freedom of Thought was established to recognise individuals actively working to defend human rights and fundamental freedoms, in particular the right to freedom of expression. We believe that by his personal example, Snowden meets these criteria. His nomination to the Prize is in itself a contribution to the development of democracy and the rule of law in the European Union, in particular with regards to the protection of whistleblowers. It also sends a message of respect for international law. Awarding the Prize to Snowden would give a clear signal to the world that the EU values and protects those who are attacked for speaking out on violations of human rights. Daniel Ellsberg and earlier NSA whistleblowers have praised Snowden’s actions. We are convinced that Andrei Sakharov would have done the same.

Sakharov – a nuclear physicist turned opponent of a repressive state – used his position in national security and defence to raise concerns about the preservation of human rights. Similarly, Snowden used his professional knowledge to draw attention to abuses of the fundamental rights of individuals and their effect on entire societies. In their transition from state servants to citizens‘ rights advocates, both men became dissidents, in the full knowledge of the likely cost of this action to them. It is the moral duty of the European Union to acknowledge a man who bravely stood up for our basic human rights, anticipating the cost that his action would have for his personal liberty.

We are fully aware that all shortlisted candidates fully deserve their nomination and we understand that the choice is difficult. However, not all candidates are in the same position. Other nominees have already been provided with many other awards and are less controversial, as their activism is directed against totalitarian regimes.

When deciding the winner of the Sakharov Prize, please remember that Snowden has shown to the world that blanket and unaccountable surveillance is not limited to dictatorships, but that democracies can also undermine citizens‘ fundamental freedoms. Please also keep in mind that one of the few things the European Union can do right now is to support Edward Snowden.

Snowden’s actions represent a challenge to unfettered state power at the global level, and without regard to conventional and simple nationalist dynamics. An award would point the way towards safeguarding activism without borders in a networked world. So far Edward Snowden has received neither recognition for his courageous deeds nor support from the European Union collectively, from any individual Member State or from any single European institution.

As European citizens we believe that the Sakharov Prize would be the best way to change this undesirable state of affairs. Therefore we strongly encourage you to award the Sakharov Prize to Edward Snowden in honour of his courage and commitment to values that the Prize represents.

Sincerely yours

Alternative Informatics Association, Turkey
ApTI, Romania
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, Germany
ARTICLE 19, International
Bits of Freedom, The Netherlands
Chaos Computer Club e.V., Germany
DFRI, Sweden
Digitalcourage, Germany
Digitale Gesellschaft e.V., Germany
Electronic Frontier Finland
European Digital Rights (EDRi)
Foundation for Information Policy Research, UK
Initiative für Netzfreiheit, Austria
Internet Society, Poland Chapter
IT-Political Association of Denmark
Iuridicum Remedium, Czech Republic
La Quadrature du Net, France
Modern Poland Foundation, Poland
Net Users‘ Rights Protection Association (NURPA), Belgium
Open Rights Group, UK
Panoptykon Foundation, Poland
Transnational Institute, The Netherlands
Vrijschrift, The Netherlands

Unterstützt vom Verbraucherzentrale Bundesverband vzbv haben wir 27 Fragen zu Datenschutz, Sicherheitsgesetzen und Netzpolitik formuliert und verschickt, die eingegangenen Antworten ausgewertet und in einer Übersicht dargestellt. Die Veröffentlichung gibt interessierten Wählerinnen und Wählern Gelegenheit, sich über die Positionen der Parteien umfassend zu informieren.

Weil die Fragen bereits im Juni verschickt wurden, waren die Ereignisse rund um die vom Whistleblower Edward Snowden veröffentlichten Dokumente nicht Bestandteil des Fragenkataloges. Das ist aber kein Nachteil: in den letzten Wochen haben zwar viele Politiker den Datenschutz für sich entdeckt. Ob die lautstarke Kritik an den Aktivitäten von NSA, GCHQ und BND aber wirklich immer ehrlich und authentisch war oder eher dem Wahlkampf zuzuordnen ist, kann man gut erkennen, wenn man sie mit früheren Aussagen zu Überwachungsthemen vergleicht. Und das passt nicht immer gut zusammen.

Mit der Veröffentlichung soll ausdrücklich keine Wahlempfehlung abgegeben werden. Es geht uns nicht darum, den Menschen zu sagen, wen sie wählen sollen. Wir wollen vielmehr eine vergleichende Übersicht anbieten, damit man schnell und ohne langes Studium ganzer Wahlprogramme erkennen kann, welche Partei für welche Inhalte in Bürgerrechtsfragen steht. Die Wahlentscheidung soll letztendlich jede Person selbst treffen, und das natürlich auch unter Berücksichtigung aller anderen Themen.

Wir laden unsere Leser dazu ein, in den Kommentaren zu diesem Blogbeitrag Anmerkungen zu unserer Aktion abzugeben. Das schließt ausdrücklich auch die Möglichkeit ein, abweichende Einschätzungen zu den Antworten der Parteien abzugeben.

Wie der Spiegel heute schreibt, handelt ein großes Rechenzentrum in großem Umfang mit Patientendaten. Aus dem Artikel:

In Deutschland werden nach SPIEGEL-Informationen Millionen Ärzte und Patienten ausgespäht. Datenschützer warnen: Das süddeutsche Apothekenrechenzentrum VSA in München verkauft Patientendaten in unzureichend verschlüsselter Form an Marktforschungsunternehmen.

Zu den Kunden zählen Firmen wie der in mehr als hundert Ländern aktive US-Konzern IMS Health. Das Unternehmen verfolgt nach eigenen Angaben die Krankheiten von mehr als 300 Millionen Patienten – darunter auch „42 Millionen verschiedene gesetzlich Versicherte“ in Deutschland. „Viele Patientenkarrieren sind zurück bis 1992 verfolgbar“, heißt es in einem internen Papier.

Dem SPIEGEL liegt ein Angebot von IMS an den französischen Pharmakonzern Sanofi-Aventis vom April 2012 vor. Darin bietet IMS die Informationen aus Insulinrezepten, „patientenindividuell“ und mit „zwölf Monats-Updates“, für 86.400 Euro an.

Auf den ersten Blick betrifft dies ’nur‘ dieses eine Rechenzentrum. Der Fall verdeutlicht aber, mit welchen Machenschaften zu rechnen ist, wenn in großem Umfang an zentralen Stellen personenbezogene Daten, v.a. medizinische Daten von Patienten, gespeichert werden.

Darauf zu hoffen, dass es solche Ereignisse beim geplanten Betrieb des Systems ‚Elektronische Gesundheitskarte‘ mit all ihren Anhäufungen von Patientenakten, eRezepten und ‚Mehrwertdiensten‘ nicht geben wird, wäre naiv. Ganz im Gegenteil würden sich Nachrichten über solche Pannen und Missbrauchsfälle mit dem wachsenden Moloch aus Krankheitsdaten häufen. Kein einziger Patient könnte mehr sicher sein, dass seine privatesten Daten nicht schon im Umlauf wären.

Es kann aus diesem Vorfall – wie aus vielen weiteren – nur eine Lehre für das eGK-System geben: das Anhäufen von Datenhalden muss vermieden werden. Das Projekt gehört eingestellt.

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors Kai-Uwe Steffens wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.

In den letzten Tagen haben sich gleich drei derzeit bzw. ehemals für Sicherheitsfragen verantwortliche Minister zu den Spionageprogrammen fremder Geheimdienste geäußert. Mit den Aussagen des Innenministers Hans-Peter Friedrich (CSU), seines Amtsvorvorvorgängers Otto Schily (SPD), und des Kanzleramtsministers Ronald Pofalla (CDU) war aus jeder der drei Parteien, die im Kern für die Auswüchse des deutschen Überwachungsapparates in den vergangenen fünfzehn Jahren verantwortlich sind, ein gewichtiges Wort zu den in der Geschichte bislang einzigartigen Vorfällen zu vernehmen.

Allen drei Äußerungen war dabei der verharmlosende, relativierende und – wie so oft, wenn es um die Überwachung der Bevölkerung geht – mit der ewigen Terrorbedrohung rechtfertigende Ton gemein. Von ‚es geht alles nach Gesetz und Ordnung vor‘ über ‚es findet keine Wirtschaftsspionage statt‘, ‚wir brauchen das unbedingt‘ und ‚es wird übertrieben‘ bis hin zu ‚die Furcht vor dem Überwachungsstaat ist paranoid‘ war alles dabei, was die Protagonisten des Sicherheitswahns üblicherweise an Floskeln ins Feld führen, um ihr Handwerk des Schleifens unserer Grundrechte zu rechtfertigen. Ganz so, als sei vieles von dem, was vor zwei Monaten noch Paranoia genannt wurde, heute nicht als furchtbare Realität erkennbar.

Dieses Verharmlosen, Relativieren und Schönreden ist ebenso schändlich wie gefährlich. Denn es steht zweifelsfrei fest, dass PRISM und TEMPORA das verfassungsmäßig garantierte Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzen. Jedes Programm einer ausländischen Macht, das dieses Recht substanziell unterminiert, muss als Bedrohung für, wenn nicht gar als Angriff auf unser Land gewertet werden. Es ist die beeidete Pflicht eines jeden Ministers, einer solchen Gefahr mit aller Kraft entgegenzutreten und sie zu beseitigen. Im Amtseid der Bundesminister heißt es dazu wörtlich:

Download Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.

Was wir aber statt dessen erleben, ist, dass sowohl der für die Sicherheitsbehörden des Bundes zuständige Innenminister, als auch der für die Geheimdienste verantwortliche Kanzleramtsminister ihre substanzielle Untätigkeit und unkritische Folgsamkeit gegenüber den mächtigen Freunden, die gar keine sind, hinter den genannten üblichen Floskeln verstecken, und die Attacken auf unser aller Privatsphäre mit dem üblichen ‚alternativlos‘-Aufkleber versehen. Mit dem, was die Herren Friedrich und Pofalla tun bzw. nicht tun, werden sie ihren verfassungsmäßigen Aufgaben aber bei weitem nicht gerecht, und bewegen sich gefährlich nahe an Strafvereitelung und Verletzung des Amtseids.

Jeder Einzelne von uns hat einen Rechtsanspruch darauf, dass die zuständigen Minister ihrer Verpflichtung Folge leisten und die Verletzung von Grundrechten, wo immer sie erkannt wird, nach Kräften zu vermeiden und beenden helfen. Minister, die entweder in Ermangelung von Rückgrat oder aus politischer Überzeugung heraus ihren Aufgaben nicht gerecht werden, braucht unser Land gerade in Zeiten, in denen seine Einwohner angegriffen werden, nicht. Und wenn die Herren Minister nicht willens oder in der Lage sind, einen radikalen Kurswechsel zu vollziehen, ist natürlich auch die Bundeskanzlerin in der Pflicht, ihrerseits ihrem Amtseid gemäß für Abhilfe zu sorgen.

Ob die dafür nötige Besinnung auf den Wert der Grundrechte der Menschen von hinlänglich bekannten Überwachungsfreunden erwartet werden kann, darf allerdings bezweifelt werden.

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors Kai-Uwe Steffens wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.