Der vor kurzem von „Facebook“ präsentierte „Leitfaden für Politiker und Amtsträger – Facebook erfolgreich nutzen“ ist ein bemerkenswerter Meilenstein in der Geschichte des Verhältnisses zwischen diesem Unternehmen und der Gesellschaft.
Es gibt die erste Kritik und offene Briefe an die vier „Netzpolitiker“, die in dieser 22seitigen Broschüre für den Konzern Werbung machen, heute veröffentlichte zudem das ULD eine Pressemitteilung, in der es die Verwendung eines Bildes von Thilo Weichert in einem verstellenden Zusammenhang beklagt und auf zum Teil unrichtige Darstellungen der facebookschen Datenschutzpolitik verweist.
Hier noch ein weiter Baustein zur sich anbahnenden Debatte – ein Blick auf das Bild von einer demokratisch organisierten Gesellschaft, das der Konzern in diesem Dokument mehr oder minder offen transportiert oder transportieren möchte.
Vorab die Frage, warum es Facebook gefällt, für die Gruppe von „Politiker und Amtsträger“ einen eigenen Ratgeber zu entwerfen und zu veröffentlichen. Gibt es etwa vergleichbare „Leitfäden“ für „Menschen mit geringem Einkommen“, für „Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen“ oder einen eigenen Leitfaden für „Freunde der Privatsphäre“? Wenn nein – warum wird die „Politiker-Kaste“ bevorzugt hofiert?
Der Leitfaden erscheint an manchen Stellen eher wie eine abzuarbeitende Liste von Befehlen und strotzt nur so vor Imperativen. Alleine auf Seite 10 des Heftchens gibt es neun davon und es zeugt nicht von besonders viel Freiheit, wenn z.B. geraten wird: „Bauen Sie (…), rufen Sie (…), definieren Sie (…), veröffentlichen Sie (…), seien Sie (…), nehmen Sie (…), zeigen Sie (…), binden Sie (…), bieten Sie (…), feiern Sie (…), schaffen Sie (…), planen Sie (…), posten Sie (…), optimieren Sie (…), laden Sie (…), arbeiten Sie (…), werben Sie (…)“ usw. usf.
Interessanter ist aber, zu welchem Verhalten Facebook die Politiker (und Politikerinnen!) anzuleiten gedenkt.
Der Politiker und das Publikum
Schon auf der Titelseite ist die Rede vom „Publikum“, dem sich die Politiker gegenüber stehen sehen (sollen). Der Begriff taucht auch innerhalb des Leitfadens weitere zehn mal auf: Der Politiker solle „dauerhafte Verbindungen zu seinem Publikum aufbauen“, er soll das Publikum „erreichen“, „einbinden“, „einladen“ und „erweitern“. Und dann, auf Seite 5: „Ihr Publikum wartet.“
Was bedeutet das für die Stellung des Politikers? Der Politiker als Unterhalter, als Schauspieler oder als Zauberkünstler, der sein Publikum in den Bann zu ziehen hat, damit es bloß nicht wegläuft oder – schlimmer noch – zu weiteren Veranstaltungen und Aufführungen nicht wiederkommt? Handelt es sich bei der von gewählten Volksvertretern verrichteten politischen Arbeit um Theater, Drama oder um einen Zirkus? Eine Schmierenkomödie?
Der Politiker und die Performance
Die vorletzte Seite gibt einen weiteren Hinweis darauf, wie Facebook die Arbeit von „Politikern und Amtsträgern“ versteht:
„Um zu vergleichen, wie andere Politiker und Amtsträger Facebook für ihre Kommunikation einsetzen, empfehlen wir einen Blick auf das Social-Media-Analyse- und Benchmarking-Portal Pluragraph.de. (…) Pluragraph ermöglicht z.B. mit wenigen Klicks die Anzeige aller Facebook-Fanseiten der Bundestagsabgeordneten. Anhand der Fananzahl werden diese übersichtlich dargestellt. Mit Klick auf das jeweilige Profil erhält man die Entwicklung der Fanzahlen in Wachstumskurven angezeigt: Auf Basis dieser Graphen kann man tagesaktuell das Wachstum der Profile verfolgen und sehen, welche Politiker erfolgreich Fans hinzugewinnen. Dies ermöglicht dann weitere Recherchen auf den jeweiligen Facebook-Seiten, um sich konkrete Best Practice-Beispiele für den Dialog mit seinem Publikum abzuschauen.“
Politiker sollen also – im Rahmen der facebookschen Auffassung von Volksvertretung – ständig einen schielenden Blick auf die politische Parteikonkurrenz werfen, sich von den dort „erfolgreichen“ Politikergrößen „Best-Practice“-Methoden „abschauen“ (so wie früher in Schule, Ausbildung und Uni?) und (Seite 4 des Leitfadens) ihre „Performance anhand von Statistiken bewerten und optimieren“?
Der Politiker und die Populär-Demokratie
Politische Arbeit hat nichts mit „Leistung“ zu tun die „mit Statistiken optimiert“ werden muss oder kann. Politiker (egal welcher Partei) zeichnen sich m.E. nicht dadurch aus, dass Sie Ihr Tun und Lassen am Maßstab der Popularität ausrichten.
Ein politisch aktiver Mensch hat eine Überzeugung aus der heraus er sich verhält. Diese mag sich in ihren Facetten ändern, wenn der Mensch für Eindrücke und Erfahrungen offen ist, diese reflektiert und Denkprozesse durchläuft. Und doch durchzieht eine Erzählung, einen erkennbarer Strang das Handeln und Wirken.. Falls sich dieser Mensch in einer Partei engagiert, kann man ihn wählen. Aber eben wegen seines Wesens, aus dem heraus er handelt. Und nicht, weil er sich so verhält, um möglichst vielen anderen darin zu gefallen.
Um so tragischer, dass sich vier gewählte Volksvertreter von CDU, SPD, FDP und Grünen so explizit vor diesen Karren der Populär-Demokratie haben spannen lassen.
Weitere Informationen
- Der „Facebook-Leitfaden für Politiker und Amtsträger“
- Heise-Bericht zur Veröffentlichung des Leitfadens
- Offene Briefe an die den Leitfaden bewerbenden Netzpolitiker
- Kritik des Unabhängigen Datenschutzzentrums ULD
Bild: Eigene Bearbeitung von „Europe 1916“ von Boardman Robinson, public domain, Bearbeitung unter CC-BY-SA
Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung von Micha wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.