Nach Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchung und Internetzensur hat der Bundestag heute zum nächsten Schlag gegen die Freiheit des Internets ausgeholt: FDP, CDU/CSU und SPD wollen eine automatisierte Schnittstelle einführen, über die Polizei und Geheimdiensten Internetnutzer ohne richterliche Anordnung identifizieren und ihr Surfverhalten personalisiert auswerten sollen. So drohen unschuldige Internetnutzer ins Fadenkreuz polizeilicher Beobachtung und Ermittlungen zu geraten. Selbst Passwörter zu E-Mail-Postfächern und Internet-Speicherdiensten (Cloud) sollen Geheimdienste ohne richterliche Anordnung anfordern können.
Dieses Gesetz einer großen Überwachungskoalition ist nicht nur inakzeptabel, sondern auch verfassungswidrig. Das sage ich als derjenige, auf dessen Verfassungsbeschwerde das rot-grüne Überwachungsgesetz von 2004 für verfassungswidrig erklärt worden ist.
Ich rufe alle Internetnutzer auf, ihre Innenminister zum Stopp dieses Überwachungsplans im Bundesrat aufzurufen (Kontaktdaten hier)! Insbesondere ist zu fordern, dass Bestandsdaten allenfalls mit richterlicher Anordnung und zur Aufklärung schwerer Straftaten oder zur Abwehr von Gefahren für wichtige Rechtsgüter herausgegeben werden dürfen. Ein Zugriff durch Geheimdienste ist in jedem Fall abzulehnen, ebenso wie die Herausgabe von Zugriffscodes wie PINs und Passwörtern.
Sollten Proteste nicht helfen, werde ich erneut das Bundesverfassungsgericht einschalten müssen. Das wird aber Jahre dauern und nur ein Mindestmaß an Grundrechtsschutz durchsetzen. Politischer Protest ist daher das Mittel der Wahl.
Mit einem FDP-nahen Juristen habe ich die in meinem letzten Blogpost aufgezählten Verfassungsverstöße näher diskutiert und erläutert (seine Argumente sind auf grauem Hintergrund gedruckt):
Nach der vernichtenden Sachverständigenanhörung zum Gesetzentwurf haben die Fraktionen der CDU/CSU, der FDP und der SPD Änderungen beantragt. Diese sind jedoch völlig ungenügend. Passwörter und PINs dürfen in weitem Umfang ohne richterliche Anordnung angefordert werden (in Eilfällen, bei Geheimdiensten, bei Beschlagnahmen), Internetnutzer dürfen sogar stets ohne richterliche Prüfung identifiziert werden.
…
1. Es soll weiterhin eine elektronische Schnittstelle zur vereinfachten Abfrage von Kommunikationsdaten eingeführt werden.
Das gibt es bereits in § 111 TKG und wurde im Urteil des
Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich erlaubt.
Es gibt bisher eine Schnittstelle nur für Name, Anschrift, Geburtsdatum und statischer Rufnummer; nur das hält das BVerfG für verfassungskonform. Künftig soll es eine Schnittstelle auch für dynamische IP-Adressen, Passwörter, elektronische Adressbücher, Kontoverbindungen und alle sonstigen Bestandsdaten geben. Das ist verfassungswidrig:
<http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Bestandsdaten-StN#Abs._5:_Unverh.C3.A4ltnism.C3.A4.C3.9Fige_Abrufschnittstelle>
2. Bundeskriminalamt und Zollkriminalamt sollen in weitem Umfang Zugriff auf Kommunikationsdaten erhalten, wo Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis bisher nicht gestattet sind (z.B. als Zentralstelle, zum Personenschutz).
Alle Behörden, die jetzt in dem Gesetz genannt werden, konnten schon vorher auf die Daten zugreifen.
Das ändert nichts an dem Vorwurf: „Bundeskriminalamt und Zollkriminalamt sollen in weitem Umfang Zugriff auf Kommunikationsdaten erhalten, wo Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis bisher nicht gestattet sind (z.B. als Zentralstelle, zum Personenschutz).“
1. Es fehlt bereits die verfassungsrechtlich gebotene abschließende Bestimmung, welche Vorschriften einen Zugriff auf Kommunikationsdaten erlauben sollen (einfachgesetzliches Zitiergebot).
Mit der vom BVerfG geforderten Doppeltür (Für Abruf und
Auskunftserteilung müssen damit korrespondierende Rechtsgrundlagen bestehen) ist dem ausreichend Rechnung getragen
2. Entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sollen
Zugriffe auf Kommunikationsdaten durch Polizeibehörden nicht beschränkt werden auf Fälle konkreter Gefahr oder des Verdachts
einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat. Entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts soll die Identifizierung von Internetnutzern selbst zur Ermittlung geringfügiger Ordnungswidrigkeiten zugelassen werden.Der neue Gesetzestext heißt jetzt „Die Auskunft darf nur erteilt werden, soweit eine in Absatz 3 genannte Stelle dies im Einzelfall in Textform zum Zweck der Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten, zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der in Abs. 3 Ziff. 3 genannten Stellen unter Berufung auf eine gesetzliche Bestimmung verlangt, die ihr eine Erhebung der in Absatz 1 in Bezug genommenen Daten erlaubt.“ Damit ist genau die oben stehende Forderung erfüllt.
Das BKA, Geheimdienste und andere Behörden sollen Auskunft über TK-Daten allgemein „zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben“ verlangen dürfen, die Aufgaben erfassen nicht nur die Abwehr konkreter Gefahren. Dass Auskünfte nach § 113 TKG n.F. nur zur Gefahrenabwehr erteilt werden dürfen, läuft leer, weil für den Anbieter nicht überprüfbar. „Dabei ist dafür Sorge zu tragen, dass jedes Auskunftsverlangen durch eine verantwortliche Fachkraft auf Einhaltung der in Absatz 2 genannten /formalen Voraussetzungen/ geprüft und die weitere Bearbeitung des Verlangens erst nach einem positiven Prüfergebnis freigegeben wird.“ Die materiellen Voraussetzungen prüft der Anbieter nicht.
Der Bezug auf Ordnungswidrigkeiten wurde im Urteil des BVerfG ausdrücklich zugelassen, solange eben ein Anfangsverdacht oder konkrete Gefahr besteht. Siehe dazu Randnummer 175 bis 177 im Urteil.
Falsch:
<http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Bestandsdaten-StN#Ordnungswidrigkeiten>
3. Entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts soll die
Identifizierung von Internetnutzern durch Geheimdienste keine tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer konkreten Gefahr voraussetzen.Doch, da es in § 113 TKG, also der allgemeinen Norm vor der Klammer, so eingefügt wurde. Wenn der erste Teil der Doppeltür eine konkrete Gefahr oder einen Anfangsverdacht fordert, gilt das für das gesamte Verfahren.
Auch § 113 TKG n.F. fordert im Fall der Geheimdienste nur ein Auskunftersuchen „für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der in Absatz 3 Nummer 3 genannten Stellen“. Zu den gesetzlichen Aufgaben der Geheimdienste zählt nicht nur die Abwehr konkreter Gefahren, für die tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Also wieder klar verfassungswidrig.
4. Es ist unklar und nicht kontrollierbar, unter welchen Voraussetzungen Anbieter Zugriffscodes wie Mailbox-PINs oder E-Mail-Passwörter an Staatsbehörden herausgeben dürfen.
5. Der Bund will Anbietern verbieten, ihre Kunden von Datenabfragen zu benachrichtigen, selbst wo die Länder Stillschweigen nicht anordnen (z.B. bei Suizidgefahr oder Vermissten).
Die nachträgliche Berichtigung wurde ausdrücklich aufgenommen
Benachrichtigung ist nur für IP-Auskünfte und Passwortanforderungen vorgesehen, nicht für sonstige Bestandsdatenauskünfte. Richtig bleibt die Kritik: „Der Bund will Anbietern verbieten, ihre Kunden von Datenabfragen zu benachrichtigen, selbst wo die Länder Stillschweigen nicht anordnen (z.B. bei Suizidgefahr oder Vermissten).“ Das ist verfassungswidrig:
<http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Bestandsdaten-StN#Abs._3_und_4:_Mangelnde_Bundeskompetenz>
6. Den Datenzugriff durch eine elektronische Schnittstelle weiter zu erleichtern, ist unverhältnismäßig und verfassungswidrig.
Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder und muss nicht der Meinung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung entsprechen.