Ein Kommentar von Michael.
Traditionell eröffnen Bundesinnminister und BITKOM-Präsident in jedem Jahr gemeinsam die in Hannover stattfindende CeBIT-Messe.
Bundesinnenminister Friedrich nutzte diese Gelegenheit in diesem Jahr nicht nur zur Verunglimpfung des Prinzips der Datensparsamkeit als „anachronistisch“, er fand darüber hinaus viele lobende und enthusiastische Worte über die de-Mail, über die vielfachen Vorteile und Chancen des Arbeitens in und mit Clouds und … über den neuen elektronischen Personalausweis.
Der E-Perso – der nicht nur von Beamten nur noch als „neuer Personalausweis (nPA)“ bezeichnet und beworben werden soll – sei auf einem guten Wege – in den 1,5 Jahren seit seiner Einführung zum 1. November 2010 seien bereits 11 Millionen dieser Ausweisdokumente ausgegeben worden, so Herr Friedrich am 6. März 2012 in Halle 7 der CeBIT.
Ähnlich begeistert zeigte sich der BITKOM-Präsident Dieter Kempf in seiner Ansprache, immerhin etwas weniger als 40% aller gefertigten E-Persos seien von Bürgern mit der optionalen eID-Funktion beantragt worden.
Jüngst bekannt wurden nun aber die Antworten einer Kleinen Anfrage im Niedersächsischen Landtag unter der Überschrift
„Hat sich der elektronische Personalausweis in der Praxis bewährt?“
die dieses blumige Bild gar nicht bestätigen mögen. Schlüsselt man die Zahlen noch ein wenig weiter auf, stellt man fest:
- Die Akzeptanz der eID-Funktion ist sehr viel schlechter als behauptet – aktuell wollen nur noch ungefähr zwei von sieben Bürgern die eID-Funktion in ihrem E-Perso aktiviert wissen, genauer gesagt: schlappe 28,8%.
- Diese Akzeptanz weist zudem einen stetigen und signifikant fallende Tendenz auf – der schlechteste Einzelmonatswert findet sich in den fünf dokumentierten Vergleichswerten im Februar 2012 sogar mit nur 16,9% wieder. Das bedeutet, dass in diesem Monat nur noch einer von sieben Bürgern die eID-Funktion haben wollten.
- „In Ermangelung entsprechender Erhebungen“ vermag das niedersächsische Innenministerium unter Herrn Schünemann einige der gestellten Fragen nicht zu beantworten, doch die gegebenen Informationen machen deutlich, dass eID nicht nur bei den Bürgern unerwünscht ist, sondern dass es vor allem am Interesse und Angeboten von Behörden und Industrie fehlt.
- Die von Herrn Friedrich genannte Zahl von 11 Millionen ausgegebenen E-Persos passt nicht zu den Zahlen des Landtags-Dokuments (demnach ca. 6 Millionen dieser Ausweise zum Zeitpunkt der CeBIT 2012). Ein Mißverständnis?
Weitere bemerkenswerte Kenndaten:
- Etwa 1,75 Jahre nach Einführung des E-Persos wurden bis heute bundesweit von nur insgesamt 84 Diensteanbietern Berechtigungszertifikate zum Einsatz von eID-Applikationen erworben.
- Von diesen 84 Anbietern wenden nur 37 Anbieter diese Zertifikate auch tatsächlich an.
- In ganz Niedersachsen gibt es nur zwei einzelne Unternehmen, die Berechtigungszertifikate erworben haben. Ob irgendeines der beiden Unternehmen diese auch nutzt, wird nicht gesagt.
- In ganz Niedersachsen gibt es derzeit keine einzige behördliche Anwendung der eID-Funktion. Allerdings seien einige Projekte dazu in Vorbereitung. Besondere Erwähnung erfährt die „Niedersächsische Antragsverwaltung online (NAVO)“ im Rahmen des „neuen Online-Dienstes Bürgerkonto Niedersachsen“.
Die Antwort auf die überschreibende Frage des FDP-Landtagsabgeordneten Herrn Oetjen wird nicht direkt gegeben.
„Nein, die eID-Funktion des elektronischen Personalausweises ist bis heute ein Rohrkreppierer“
wäre dann wohl auch ein wenig zu offen gewesen.
Und? Sollte man sich darüber freuen?
Entwicklung, Einführung und Bewerbung des E-Persos haben eine Menge Steuergeld gekostet. Eine ganze Reihe von Datenschutzbedenken und Fragen zur langfristigen Sicherheit und Vernünfigkeit des E-Perso-Systems stehen zweifelnd und ungeklärt im Raum. Und grundsätzliche Fragen über Sinn und Selbstverständnis des Personalausweissystems, eine Erfindung der deutschen Nationalsozialisten, werden fast überhaupt nicht debattiert.
Nein, Freude kommt nicht auf.
Weitere Informationen
- Dokument mit aufgeschlüsselten Daten der Landtagsdrucksache
- Drucksache 16/5059 des Niedersächsischen Landtags: Fragen und Antworten zur Bewährung und Akzeptanz des E-Persos
- Flyer des AK Vorrat zu den elektronischen Pässen
- Deutschlandradio-Kalenderblatt vom 10.9.2004: Vor 65 Jahren wird der Ausweiszwang eingeführt
Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors Michael wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.
könne sie bitte die quellen der zahlen etwas deutlicher machen. besten dank
@christian
sämtliche zahlen, auch die des dokuments mit der graphik, entstammen der antwort auf die kleine anfrage von herrn oetjen, dokumentiert in der nds. landtagsdrucksache:
http://www.landtag-niedersachsen.de/Drucksachen/Drucksachen_16_7500/5001-5500/16-5059.pdf
einzige ausnahme sind die von herrn friedrich und von herrn kempf genannten zahlen, die sie in ihren ansprachen zur eröffnung der cebit 2012 genannt haben. diese angaben habe ich meinem manuskript, also meiner mitschrift der ansprachen entnommen. ob es ein offzielles redemanuskript der beiden herren gibt, ist mir leider nicht bekannt.